Die Trump-Versteher: Warum die SVP jetzt neue Sündenböcke braucht
Vier Reden hielt SVP-Präsident Marcel Dettling am 1. August. Das Thema war gesetzt: Der Nationalfeiertag war prädestiniert, um die Kampagne gegen die EU-Verträge voranzutreiben. Gegen den «Unterdrückungsvertrag», wie ihn die SVP nennt. Um Unabhängigkeit, Neutralität und Freiheit sollte es gehen. Um 10 Uhr war Dettlings erster Ortstermin im schaffhausischen Thayngen.
Doch US-Präsident Donald Trump vermieste der Schweiz den Nationalfeiertag. In der Nacht hatte er den Zolltarif für Schweizer Produkte auf 39 Prozent festgesetzt. Darüber sprach die ganze Schweiz. Verbände und Parteien verschickten am frühen Morgen Medienmitteilungen. Nur die grösste Partei schwieg zum Zollfiasko.
Doch die Nachrichtenagentur sda-keystone wollte schnell eine Reaktion der SVP. Auf dem Weg nach Thayngen dämmerte es Dettling, dass er sich etwas ausdenken musste. Er hielt an und besprach mit Medienchefin Andrea Sommer die Kommunikation seiner Partei. Die beiden suchten zwei Sündenböcke und fanden sie: Die hohen Zölle seien «eine Quittung für die verantwortungslose und arrogante Haltung von Mitte-Links», schrieben sie der Nachrichtenagentur. Denn Mitte-Bundesrat Martin Pfister habe gefordert, nur noch zehn Prozent der Rüstungsgüter in den USA zu kaufen. Den zweiten Schuldigen machte die SVP in der Person von SP-Co-Präsident Cédric Wermuth aus, der den US-Präsidenten auf Twitter mit dem Satz «Fuck you, Mr. Trump» beleidigt hatte.
Martullo träumte im Februar noch von einem Freihandelsabkommen
Dass die SVP den Ball flach halten wollte, hatte einen guten Grund. Keine Exponenten anderer Parteien sympathisierten in den letzten Monaten so offen mit US-Präsident Trump. Unvergessen ist die Aussage von SVP-Bundesrat Albert Rösti vor den Wahlen im letzten November, er «tendiere eher zu Trump», auch wenn er dessen Persönlichkeit für schwierig halte.
SVP-Vizepräsidentin und EMS-Chefin Magdalena Martullo verglich sich im Februar gar mit Trump: «Wir sind beide Down-to-Earth-Unternehmer, die auch politisch für ihr Land das Beste wollen. Und fügte im Interview mit dem «Blick» an: «Trump mag die Schweiz.» Martullo hielt den raschen Abschluss eines Freihandelsabkommens mit den USA für realistisch. Sie frohlockte:
Die USA als grosse Chance für die Schweiz, während die EU in einer grossen wirtschaftlichen Krise steckt: Diese SVP-Erzählung hat es nach der Zollankündigung schwer.
Muss die SVP ihre Haltung zu Trump korrigieren? SVP-Präsident Marcel Dettling sagt, er habe Trump nie offiziell gelobt: «Meine Haltung war stets klar, dass uns in der Vergangenheit die Republikaner näher gewesen sind als die Demokraten, die zum Beispiel unser Bankgeheimnis begruben.» Er erachtet es allerdings als «Problem, dass die Republikaner im Parlament heute fast keinen Einfluss mehr auf den Präsidenten haben».
Parteivordenker Christoph Blocher analysiert in «Weltwoche Daily» den Zollstreit. Er ortet das Problem darin, dass die Schweiz nicht erkannt habe, was Trump wirklich wolle: die Reduktion des Handelsdefizits. Trump habe das Gefühl, die USA würden bezahlen, damit sich die anderen Länder mit ihren Exporten eine goldene Nase verdienen. «Wir müssen nicht beurteilen, ob das richtig oder falsch ist. Aber wir müssen seine Argumentation ernst nehmen», sagt Blocher.
Doch nicht alle in der SVP analysieren die Lage so zurückhaltend wie Blocher. In den letzten Tagen hat die Partei neue Narrative zum Zollchaos entwickelt.
Neue These: Die EU-Turbos sind schuld
Eine These, die SVP-Politiker wie Nationalrat Franz Grüter und SVP-nahe Publikationen wie die «Weltwoche» und der «Nebelspalter» verbreiten: Das Aussen- und das Justizdepartement hätten die Zoll-Übereinkunft mit den USA verzögert, ja torpediert. Zu diesem Zweck hätten diese Departemente Mitberichte für die Bundesratssitzungen verfasst.
Das Motiv, das die SVP den Bundesräten Beat Jans (SP) und Ignazio Cassis (FDP) unterstellt: Sie wollten in erster Linie das Vertragspaket mit der EU ins Ziel bringen. Eine Vereinbarung mit den USA sei dabei nicht hilfreich. Wenn die Schweiz mit Präsident Trump keine Einigung zu den Zöllen erziele, stehe die Europäische Union umso mehr als verlässlicher Partner da.
In Bundesbern bezeichnen mehrere Personen, die mit dem Zolldossier vertraut sind, die Verzögerungsthese der SVP als «völligen Unsinn». Das Justizdepartement weist darauf hin, dass «Mitberichte zeitgleich mit dem Antrag an den Bundesrat behandelt werden und nicht geeignet sind, ein Geschäft zu verzögern». Das Aussendepartement schreibt:
Der SVP geht es offenbar darum, den in den Zollstreit involvierten Bundesrat Guy Parmelin in Schutz zu nehmen. Zugleich treibt die Partei die Kampagne gegen das Vertragspaket mit der EU voran.
Tatsächlich spielt der Streit mit den USA den Befürwortern der EU-Verträge in die Hände. Sie preisen den verhandelten Mechanismus zur Streitbeilegung als Vorteil an, weil die Schweiz nicht mehr einfach der Willkür eines mächtigeren Partners ausgesetzt ist.
SVP warnt vor neuer Bürokratie
Die SVP will davon nichts wissen. Fraktionschef Thomas Aeschi sagt, die Schweiz solle sich sicher nicht noch enger an die EU binden, weil das noch mehr Bürokratie für Schweizer KMU zur Folge habe – etwa mit dem Green Deal oder der Lieferkettengesetzgebung. Grüter sagt zudem gegenüber «Weltwoche Daily», die Anbiederung an eine Grossmacht sei falsch.
Und so gehört es auch zur neuen Deutung, dass das Aussendepartement von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis heftig kritisiert wird. «Das Aussendepartement hat die USA sträflich vernachlässigt und stattdessen zu viele Ressourcen in Brüssel, bei der Entwicklungszusammenarbeit oder bei regionalen Konflikten in Afrika und im Nahen Osten alloziert», sagt Fraktionschef Aeschi.
Die Sündenböcke der SVP wechseln in rascher Folge. Am 1. August trugen Martin Pfister und Cédric Wermuth die Schuld am Zollfiasko. Mittlerweile sind es Beat Jans und Ignazio Cassis. (aargauerzeitung.ch)