Ach, welch ein Luxus! Sie haben wirklich ein aussergewöhnlich schönes Büro.
Diese Sicht hinaus auf das Meer!
Nasser Al Khater: Ja, man hat mir ganz bewusst dieses Büro zugewiesen.
Warum?
Man versucht mich so dazu zu bringen, hier viel Zeit zu
verbringen. Sagen Sie, woher kommen Sie aus der Schweiz?
Aus der Nähe von Bern.
Aha, dann können Sie mir helfen. Kennen Sie Paul Klee?
Ja, warum?
Mein fünfjähriger Junge ist kürzlich zu mir gekommen und
hat mir seltsame Zeichnungen gezeigt, die ihn faszinieren. Er sagte mir,
die seien von Paul Klee und der habe ein Museum in Bern. Stimmt das?
Ja, klar, das ist richtig.
Dann werde ich mit ihm bei unserer nächsten Reise nach
Zürich auch nach Bern fahren.
Sie dürfen sich glücklich schätzen, dass Ihr Sohn von Kunst begeistert ist.
Ja, ja, Sie haben schon recht. Aber er will eigentlich
Motorradrennfahrer werden, nicht Künstler.
Entschuldigen Sie, wenn ich nun sozusagen gleich mit der Tür ins Haus falle.
Die Welt wirft Katar vor, auf den Baustellen für die WM-Stadien Arbeiter unter
unmenschlichen Bedingungen schuften zu lassen. Ist das so?
Wir hatten Schwierigkeiten und ich gebe zu, dass wir noch
nicht alle Probleme gelöst haben. Aber wir tun alles Menschenmögliche. Wir
haben Gesetze erlassen, die nicht nur die Arbeitsbedingungen regeln. Sondern
auch die Unterkünfte der Arbeiter. Wir haben die Anzahl der Baustellen-Inspektoren auf über 300 erhöht. Weil wir feststellen mussten, dass Arbeiter
monatelang auf ihren Lohn warten mussten, haben wir nun ein elektronisches
System installiert, über das alle Löhne pünktlich überwiesen werden müssen.
So können wir kontrollieren, ob die Löhne bezahlt werden. Die Welt sollte uns
schon ein wenig Zeit geben. Ich frage Sie: Wann hat Deutschland den
gesetzlichen Mindestlohn eingeführt, immerhin eines der Menschenrechte?
Ich bin als Schweizer nicht so mit der deutschen Politik vertraut. Aber ich
denke, es war im letzten Jahr.
Richtig. Sehen Sie. Erst vor einem Jahr und erst noch dank
starker Gewerkschaften. Ihr Europäer habt Jahrhunderte und viele blutige
Kriege und zahlreiche Revolutionen gebraucht, um eine demokratische
Gesellschaft zu entwickeln. Wir sind ein junges Land mit einer kaum 50-jährigen Geschichte. Gebt uns also etwas Zeit.
Aber die arabische Kultur ist viel älter. Wir lebten noch in Höhlen, als man bei
Ihnen schon wusste, dass die Erde sich um die Sonne dreht.
Oh ja, da haben Sie recht. Wie hiess doch der berühmte
Mann, der bei euch gesagt hat, die Erde drehe sich doch?
Galileo Galilei, frühes 17. Jahrhundert. Und er wäre beinahe auf dem
Scheiterhaufen gelandet.
Ja, ja, da waren wir euch weit voraus. Aber leider haben wir
bei unserer Entwicklung im Verlauf der Geschichte dann vorübergehend eine
Pause eingelegt.
Ist Katar eigentlich eine Demokratie?
Eine institutionelle Monarchie.
Aber eigentlich regiert von ein paar Familienclans.
Es gibt bei uns tatsächlich die Herrscherfamilie. Aber unsere
Gesellschaft besteht aus vielen Familien und ich gebe durchaus zu, dass es
einen gewissen Tribalismus gibt.
Wie steht es in Katar mit den Rechten der Frauen?
Ist bei uns gar kein Thema. Weil die Frauen die genau
gleichen Rechte haben wie die Männer und für die gleiche Arbeit den gleichen
Lohn erhalten. Sie finden inzwischen an unseren Universitäten mehr
Studentinnen als Studenten, immer mehr Frauen in der Arbeitswelt und in
Führungspositionen.
Ich höre die Botschaft wohl, allein mir fehlt der Glaube.
Sie haben Vorurteile. Vor unseren Gesetzen sind die Frauen
absolut gleichberechtigt. Wir ermutigen die Frauen, ins Berufsleben
einzusteigen. Es gibt aber einen starken Vorbehalt in den Familien gegen die
Berufstätigkeit der Frauen. Das braucht Zeit. Daran arbeiten wir.
Was sagen Sie zum Vorwurf der gekauften Stimmen bei der WM-Vergabe
2022?
Wir haben diese Vorwürfe sehr ernst genommen und haben
die offiziellen Untersuchungen der FIFA begrüsst. Aber wir haben auch klar
gemacht, dass wir nur gegenüber diesem Untersuchungsausschuss Red und
Antwort stehen.
Waren Sie beunruhigt?
Nein, nie. Wir haben mit grösster Gelassenheit auf das
Resultat gewartet. Tatsächlich ist dabei nichts herausgekommen, dass
justiziabel wäre. Aber wir empfinden es als stossend, dass ständig nur von uns
die Rede war. Es ging bei diesen Untersuchungen beispielsweise auch um die
WM-Vergabe an Russland. Das scheinen viele vergessen zu haben.
Die Kritik an Katar war weltweit heftig. Wie erklären Sie sich das?
Offenbar mag die Welt junge, erfolgreiche und reiche Länder
nicht.
Wie haben Sie auf die weltweite Kritik reagiert? Haben Sie auch an rechtliche
Schritte gedacht?
Anfänglich dachten wir, es handle sich lediglich um ein
paar Journalisten, die übertreiben. Im Laufe der Zeit haben wir den Eindruck
bekommen, es sei eine regelrechte Kampagne gegen uns im Gange. Ja, wir
dachten auch an rechtliche Schritte. Dürfen wir uns das bieten lassen? Aber
dann haben wir uns an ein sehr altes arabisches Sprichwort erinnert und
entschieden, nichts zu unternehmen: «Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter.»
Die Karawane ist ja nun schon ein gutes Stück vorangekommen. Können Sie in
knappen Worten die WM 2022 zusammenfassen?
Nun, wir bieten eine WM auf sehr kleinem Raum. Jedes
Stadion ist mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in weniger als einer Stunde
erreichbar. Niemand muss während der WM umziehen. Die Spieler
verbrauchen viel weniger Energie als bei den bisherigen Turnieren.
Was dürfen die Fans erwarten?
Das Public Viewing und Partys wird es bei uns auch geben.
Wir wollen aus der WM ein Fest machen, das die Fans aus der ganzen Welt
nicht nur über den Fussball zusammenbringt. Wir wollen auch das Verständnis
für unsere Kultur wecken, die Türe zu unserer Welt öffnen.
Und was ist, wenn jemand ein Bier trinken will?
Dann muss er nur eines bestellen.
Gibt es kein Alkoholverbot?
Nein. Das Alkoholverbot gehört zu den Irrtümern über Katar.
Es gibt bei uns kein Gesetz, das den Alkoholkonsum oder -verkauf verbietet.
Es gibt bloss starke kulturelle Vorbehalte gegen den Alkohol. Wir sind Muslime.
Mit wie vielen Besuchern rechnen Sie für die WM 2022?
Mit 800'000 bis einer Million. Wir achten darauf, dass es für
alle Preislagen Unterkünfte geben wird und dass die Preise vernünftig bleiben.
Wie steht es um die Sicherheit?
Ich kann Ihnen versichern, dass wir alles tun, um die
Sicherheit zu gewährleisten. Wir arbeiten mit den verschiedensten staatlichen
Institutionen zusammen, auch mit Geheimdiensten.
Gibt es in der arabischen Welt in konservativen Kreisen nicht Vorbehalte gegen
eine Veranstaltung wie die Fussball-WM?
Nein, überhaupt nicht. Es gibt vielleicht unterschiedliche
Grade der Fussballbegeisterung, aber keine grundsätzlichen Vorbehalte gegen
eine Fussball-WM. Wir bekommen aus allen Kreisen grosse Unterstützung und
spüren auf allen Ebenen eine grosse Solidarität. Diese WM wird in der
arabischen Welt als grosse Chance wahrgenommen.
Schliessen wir Korruption aus. Mit welcher Strategie haben Sie die WM-Bewerbung eigentlich gewonnen?
Wir haben jahrelang sehr intensiv gearbeitet. Wir waren
überall präsent und haben so dafür gesorgt, dass Katar ein Gesprächsthema
geworden ist. Wir haben auf der ganzen Welt alle möglichen Fussballanlässe
besucht. Turniere, Kongresse, Konferenzen. Auch wenn wir nicht eingeladen
waren. Wir haben die Leute angesprochen, am Rande von Sitzungen, in Hotellobbys, auf der Tribune, und Werbung für unser Land gemacht. Wir haben
Vorurteile abgebaut und Verständnis geweckt. Wir haben unsere Türen für die
Welt geöffnet. Und wer uns zuhörte, wer sich näher mit uns befasste, hat
bald einmal gesehen, welche Vorteile wir bieten. Unser Land ist so etwas wie
die Mitte der Welt. Innerhalb von vier Flugstunden von hier leben zwei
Milliarden Menschen.
Wer organisiert diese WM? Mit Billigarbeitern geht das nicht. Holen Sie
Fachleute aus Europa?
Wir bilden rund 300 Fachkräfte aus unserer Region für die
verschiedensten Fachgebiete aus. Sie kommen aus unseren Nachbarländern
und sie werden den Kern unseres Teams bilden.
Also ausschliesslich Araber?
Nein, nicht ausschliesslich. Heute arbeiten Männer und
Frauen aus 53 Nationen für diese WM.
Wieso investiert Katar so viel in den Sport?
Es gibt mehrere Gründe. Ganz am Anfang war der Sport
eine Möglichkeit, um unser Land auf die Weltkarte zu bringen. Aber inzwischen
ist der Sport ein Mittel, um die Entwicklung unseres Landes voranzutreiben.
Wir brauchen den Sport aber auch für unsere Jugend und unsere
Volksgesundheit. Wir haben viel zu viele Diabetiker. Da müssen wir etwas tun.
Aber ein Fussballland ist Katar eigentlich nicht.
Unterschätzen Sie uns nicht. Wissen Sie, dass wir 1981 den
Final der U20-WM gegen Deutschland erreichten?
Ja, das ist mir bekannt.
Wissen Sie auch noch das Resultat?
Nein.
Wir verloren 0:4.
Aber ich kenne eine Geschichte über diese lange zurückliegende WM. Ich habe
gehört, dass Katar damals gemogelt haben soll.
So? Das ist mir neu. Erzählen Sie!
Wenn ich mich richtig entsinne, dann ist erzählt worden, dass Katar damals mit einer
Mannschaft von 25- oder 26-jährigen Spielern angetreten und deshalb gegen
die Junioren der anderen Länder so weit gekommen sei. Man habe angeblich
einfach die Geburtsdaten in den Pässen gefälscht und als protestiert worden
sei, habe man sinngemäss erklärt, die jungen Spieler sähen eben wegen des
harschen Wüstenklimas älter aus. In dem Klima gehe der Alterungsprozess
zügiger voran.
Diese Story habe ich noch nie gehört. Wo haben Sie die
denn her?
Das weiss ich auch nicht mehr. Es könnte sogar sein, dass ich die Geschichte bei einem meiner Besuche irgendwo hier in Katar aufgeschnappt habe.
Aber vielleicht ist es ja auch nur eine der vielen bösen Verleumdungen.
Na gut. Das Ganze liesse sich ja eigentlich nachprüfen. Also
wie gesagt – diese Geschichte habe ich wirklich noch nie gehört.
Es gibt die Agenda 2030 für die Entwicklung Ihres Landes. Da dürfte die WM
2022 eine zentrale Rolle einnehmen.
Ja, richtig. Die Agenda 2030 ist das grosse Bild, die Strategie
für die Entwicklung unseres Landes, und die WM 2022 ist ein wichtiger Schritt
auf dem Weg dorthin.
Wird sich Ihr Land nochmals für Olympische Spiele bewerben?
Wir haben uns schon um die Spiele 2016 und 2020
beworben und ich gehe davon aus, dass wir es wieder versuchen werden.
Sie fördern den öffentlichen Verkehr und eine U-Bahn ist im Bau. Wird Doha
2030 gar die erste autofreie, grüne Hauptstadt der Welt sein? Das wäre ein
PR-Coup ganz besonderer Art.
Sie belieben zu scherzen. Eine autofreie Hauptstadt wird es
vielleicht einmal in Skandinavien geben. Aber doch nicht bei uns, in einem
Land, in dem das Benzin billiger ist als Wasser. Aber es ist so, dass wir Doha
fussgängerfreundlicher machen wollen.
In Katar sind schon viele Fussballspiele im Sommer ausgetragen worden.
Warum ist die WM in den Spätherbst verlegt worden? Das Geschrei war
deswegen in Europa gross.
Eine Task Force der FIFA hat das so entschieden und wir
akzeptieren diese Entscheidung.
Aber es wäre problemlos möglich, die WM zum traditionellen Termin
auszutragen?
Problemlos. Wir haben von allem Anfang an klar gemacht,
dass bei uns während des ganzen Jahrs gespielt werden kann. Wir haben seit
2008 die Technologie, um die Stadien und öffentliche Plätze zu klimatisieren.
War dieser Vorbehalt, dass Katar eine WM nicht im Sommer spielen kann, ein
Teil der Kampagne gegen Ihr Land?
Das ist denkbar. Vielleicht versuchte man so, unserer
Bewerbung zu schaden und zu suggerieren, dass es völliger Unsinn sei, bei
uns eine WM durchzuführen.
Was wünschen Sie sich für die WM 2022?
Unser Motto bei der Bewerbung war «Expect Amazing» («Erwarte Erstaunliches»). Für die WM haben wir noch kein
Motto. Aber es wird in diese Richtung gehen. Wir wollen der Welt eine
unvergessliche WM mit denkwürdigen Spielen geben und, wie ich schon sagte,
eine Brücke zwischen den Kulturen bauen.
Und wir hoffen alle, dass Sepp Blatter bei Ihnen zu Gast sein darf, vielleicht
gar als FIFA-Präsident.
Wer weiss? Wir wünschen Sepp Blatter beste Gesundheit
und Wohlergehen.
Ich sehe das ganze durchaus ambivalent, einerseits ist dieser Wahn Katars sich in de Sportwelt zu profilieren mindestens fragwürdig, auch betreffend der angewanten Mittel und ich bezweifle, dass alles legal nach unserer Sichtweise ablief.
Andererseits ist die Aussage Nasser Al Kathers auch korrekt, dass der Sport und solche Anlässe eine Möglichkeit sind, die Gesellschaft zu modernisieren und zu liberalisieren. Und die arabische Kultur hat dahingehend noch viel vor sich und lieber die Menschen mittel Stadien beeinflussen als wie Saudi-Arabien mittels Fundamentalismus.
"Ich habe noch keinen einzigen Sklaven in Katar gesehen. Ich weiß nicht, woher diese Berichte kommen. Ich war schon oft in Katar und habe deshalb ein anderes Bild, das glaube ich realistischer ist."
Also das wird eine grandiose WM in Katar! 5 Glühweine und alles ist paletti.