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Freispruch für Amanda Knox: Und wer ist nun der Mörder?

Amanda Knox 2009 bei der Berufungsverhandlung.
Amanda Knox 2009 bei der Berufungsverhandlung.Bild: Alessandra Tarantino/AP/KEYSTONE

Freispruch für Amanda Knox: Und wer ist nun der Mörder?

Der Mordprozess gegen Amanda Knox und ihren Ex-Freund Raffaele Sollecito endet nach über sieben Jahren mit einem spektakulären Freispruch: Sie haben die Tat nicht begangen, sagt Italiens oberstes Gericht. Aber wer dann?
28.03.2015, 06:2728.03.2015, 09:56
Hans-Jürgen Schlamp, Rom
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Ein Artikel von
Spiegel Online

Sex, Drogen und eine barbarische Bluttat: Seit 2007 arbeitet sich die italienische Justiz am Tod der britischen Studentin Meredith Kercher mehr schlecht als recht ab. Jetzt ist endlich Schluss. Die in der Vorinstanz zu 28 Jahren und sechs Monaten verurteilte Amanda Knox und ihr zu 25 Jahren verurteilter Ex-Freund Raffaele Sollecito wurden am späten Freitagabend in letzter Instanz freigesprochen. Wegen erwiesener Unschuld, sagt das höchste Gericht des Landes.

Der Fall: Am 2. November 2007 wird in der Via della Pergola Nr. 7, im malerischen italienischen Universitätsstädtchen Perugia eine Frauenleiche gefunden. Vergewaltigt, halbnackt, von Messerstichen übersät. Es ist die 21-jährige britische Erasmus-Studentin Meredith Kercher.

Ihre Mitbewohnerin, die damals 20-jährige amerikanische Studentin Amanda Knox und deren italienischer Freund, der 23-jährige Musiker Raffaele Sollecito, werden der Tat verdächtigt, kommen in Untersuchungshaft und werden im Oktober 2008 verurteilt. Die Beweislage muss erdrückend, der Fall ganz klar sein. Denn immerhin schicken die Richter zwei junge, nicht vorbestrafte Menschen für ein Vierteljahrhundert ins Gefängnis.

Das Berufungsgericht: Aber so richtig eindeutig kann die Sache wohl doch nicht gewesen sein. Denn nachdem die beiden vier Jahre in der Zelle sitzen, U-Haft inklusive, sagt ein Berufungsgericht 2011, das Urteil gegen sie sei «nicht untermauert von irgendeinem objektivem Beweis». Die DNA-Spuren der Täter auf der mutmasslichen Tatwaffe und auf dem BH-Verschluss des Opfers, die zur Verurteilung der Angeklagten massgeblich beigetragen hatten, seien verunreinigt, mithin unzulässig. Die Mordwaffe fehle, der Tatzeitpunkt sei nie genau festgelegt worden. Dass Knox und Sollecito zur möglichen Tatzeit überhaupt am Tatort waren, sei nicht zweifelsfrei belegt. Auch fehle ein glaubhaftes Motiv. Freispruch also. Ein Sieg der Wahrheit?

Das Drama geht weiter. Das Kassationsgericht, Italiens oberste Instanz, entdeckt zwei Jahre später «Rechtsfehler» im Freispruch und verordnet eine neue Runde juristischer Wahrheitsfindung der unteren Instanzen.

Deren Ergebnis: Knox und Sollecito werden im Januar 2014 in zweiter Instanz erneut schuldig gesprochen. Die Richter haben das Puzzle aus Motiv, Tathergang und allem Drumherum zu einem ganz neuen Bild zusammengefügt, und schon passt es. Es war demnach kein aus dem Ruder gelaufenes, vermutlich drogenbefeuertes Sexspiel, sondern das tödliche Ende eines Gezänks um ein verschmutztes Klo. Aber die Täter bleiben dieselben. Und die Strafe in etwa auch: 28 Jahre und sechs Monate Haft für Knox, 25 Jahre für Sollecito.

Amanda Knox: «Der Engel mit den Eisaugen»

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Amanda Knox: «Der Engel mit den Eisaugen»
Amanda Knox, auch genannt «der Engel mit den Eisaugen», steht im Zentrum beim Justizkrimi um die Ermordung einer Studentin in Italien.
quelle: epa/epa file / pietro crocchioni
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Heute folgte nun der juristische Schlussakkord. Der Urteilsspruch der Vorinstanz sei voller Irrtümer und Widersprüche gewesen, befanden die Richter der letzten Instanz und sprachen beide Angeklagte frei. Nicht ganz eigentlich. Amanda Knox wurde wegen Verleumdung – weil sie vorsätzlich, aber fälschlich einen anderen des Mordes denunziert hatte – zu drei Jahren Haft verurteilt. Aber diese Strafe ist mit den vier Haftjahren abgedient. Also erledigt. «Die Wahrheit hat gesiegt», darf Knox nun jubeln.

Damit freilich ist die ebenso blutige wie tragische Geschichte um den Mord an einer jungen Frau noch lange nicht zu Ende. Längst hat sich das menschliche und juristische Drama medial verselbständigt. Vor allem die schöne Amanda Knox – «der Engel mit den Eisaugen», wie sie von Medien getauft wurde – ist eine Person weltweiten öffentlichen Interesses geworden. Als sie gleich nach dem Freispruch 2011 in ihre Heimat, in die US-Westküsten-Metropole Seattle, zurückkehrte, wurde sie mit Jubel und Begeisterung empfangen. Dort gilt sie als Opfer einer Hexenjagd italienischer Behörden, das Ganze sei ein Fall «haarsträubender Frauenfeindlichkeit», wütete die US-Journalistin Nina Burleigh.

«Nie wieder Italien»

«Nie wieder», sagt Knox, werde sie nach Italien zurückkehren. Sie hat ihre Erlebnisse in einem Buch beschrieben («Zeit, gehört zu werden») und dafür, wie es hiess, etliche Millionen kassiert. Ihre Hochzeit mit einem einstigen Schulfreund fand Aufmerksamkeit rund um den Globus. Heute wird ganz Amerika jubeln und «ihre Amanda» feiern.

Das Thema wird auch von britischer Seite weiterhin befeuert werden. Eher nicht jubilierend. Dort ist Amanda nämlich das Biest: Schön, aber schuldig. Aus Protest über die Glamour-Laufbahn der verurteilten Mörderin seiner Tochter hat auch der Vater des Mordopfers ein Buch geschrieben («Meredith: Our Daughter's Murder And The Heartbreaking Quest For The Truth»). Wie Knox «einen Fastberühmtheitsstatus erlangte, regte mich mehr und mehr auf», sagte John Kercher.

Und in Kürze kommt der Film «The Face of an Angel» in die Insel-Kinos, mit Kate Beckinsale und Daniel Brühl in den Hauptrollen. In Deutschland soll er «Die Augen des Engels» heissen und im Mai starten. Grosses Kino also, für einige weitere Jahre.

Auch Knox Ex-Freund Sollecito hat natürlich längst ein Buch zum Fall geschrieben, «Honor Bound» («Der Ehre verpflichtet»). Darin erzählt er, wie er mit Amanda in der Mordnacht Marihuana geraucht habe und sich deshalb an manche Details nicht mehr erinnern könne. Immerhin kann er noch mitteilen, dass Amanda zwar unschuldig am Tod von Meredith gewesen sei, sich oft aber «unangenehm und aufdringlich» aufgeführt habe. Doch zum Bestseller reichte das nicht.

Und wer ist nun der Mörder?

Nun bleibt, nach dem Freispruch, nur die Frage, wer denn nun die junge englische Studentin in Peruigia so bestialisch ermordet hat.

Einer sitzt dafür schon länger im Gefängnis: Rudy Guede, zum Tatzeitpunkt 21 Jahre alt, geboren in der Elfenbeinküste, mit sechs Jahren nach Italien gekommen. Als er unter Verdacht geriet, weil die Polizei seine DNA-Profile auf und in Meredith Kercher fand, flüchtete er nach Deutschland, wurde dort gefasst, ausgeliefert und in Italien zunächst zu 30, später zu 16 Jahren Haft verurteilt.

Jetzt auf

Die Strafverkürzung verdankt er seinem Geständnis in einem «verkürzten Verfahren». Sein Anwalt hatte ihm dazu geraten. Er habe ohnehin keine Chance, freigesprochen zu werden, habe der seinem Mandanten geraten. Inzwischen sagt Rudy Guede, er sei unschuldig, habe nur aus Angst gestanden und fordert ein neues Verfahren. Aber das gibt es bei dieser Art von Verfahren nicht. Die Strafe ist endgültig.

Damit könnte alles, zumindest juristisch-formal in Ordnung sein. Wenn denn nicht bei den Ermittlungen immer wieder versichert worden wäre, allein könne Guede die Tat nicht begangen haben. Logisch, sonst hätte man ja Knox und Sollecito nicht den Prozess machen dürfen. Aber jetzt sind die draussen – und nun?

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