Sie sorgen für leuchtende Augen – mit Zweifel-Chips, Ovomaltine, Kägifret, Giandor-Schokolade, Brändi Dog und handgeschriebener Postkarte. Kapitänin Lia Wälti und die Schweizer Spielerinnen überraschen die Nationalteams an der Euro 2025 mit Paketen. Diese reagieren teilweise euphorisch, wie eine Instagram-Story von Wälti zeigt. Die Italienerinnen machen sogar die Welle. Auch die Instagram-Story schlägt Wellen – internationale.
Aufsehen erregen auch die Fussballerinnen-Ampeln in Basel: Bei Grün ist eine Frau am Ball zu sehen, in der Vorwärtsbewegung. Die Umrüstung war sehr einfach: Der Kanton musste nur eine schwarze Motivfolie auswechseln. Die Wirkung ist bestechend: Die grünen «Ampel-Kickerinnen», wie sie die deutsche Sportschau bezeichnet, gehen viral. Medien aus Australien, Indien, den USA und dem Nahen Osten berichten.
Letztlich bleibt aber ein geradezu ikonisches Bild in Erinnerung von der Frauen-EM: 25’000 Schweizer Fans pilgern vor dem Viertelfinalspiel der Schweiz gegen Spanien vom Bundesplatz in 90 Minuten ins Stadion Wankdorf. Es ist der grösste Fanmarsch, den es bisher an einer Euro im Frauenfussball gab. Die Bilder des rot-weissen Menschenmeers vor dem Zytgloggenturm in der Berner Altstadt – einem Unesco-Welterbe – gehen um die Welt.
Herz, Leidenschaft und Kreativität: Diese drei Attribute vereinen sich in den drei Beispielen – und mit ihnen hat die Schweiz die Frauen-EM auch zum Megaerfolg gemacht. 29 von 31 Spielen waren ausverkauft – inklusive Final vom Sonntag. Das gab es noch nie. Nur bei den beiden ersten Genfer Spielen wären noch Billette zu haben gewesen, wie die Uefa gegenüber CH Media bestätigt. Und zwar 13’054.
Damit verkaufte die Uefa rund 656’000 der total 670’000 erhältlichen Tickets. Das sind 81’000 Tickets mehr, als England an der Euro 2022 absetzte. Damals wurden 574’875 Tickets verkauft, inklusive Rekordfinalspiel im Wembley mit 87’192 Fans.
Turnierdirektorin Doris Keller hat mit ihrer Vision einer total ausverkauften Euro, für die sie lange belächelt wurde, fast recht behalten. Möglich war das unter anderem wegen der tiefen Preise – die billigsten Sitzplätze kosteten nur 25 Franken.
Zum Grosserfolg wurde die Euro auch, weil 35 Prozent der Matchbesucherinnen und -besucher aus dem Ausland anreisten, fast doppelt so viele wie in England. Besonders zahlreich strömten Fans aus Deutschland und England in die Schweiz. In den Spielen gegen Dänemark und Frankreich in Basel sassen je gegen 20’000 deutsche Fans im Stadion und im Letzigrund sahen über 10’000 Deutsche den Halbfinal gegen Spanien. Die englischen Fans pilgerten für den Halbfinal gegen Italien zu Tausenden nach Genf. 18’000 waren im Stadion, weitere Tausende sassen in der Fanzone am Genfersee. Für das Finalspiel werden wieder weit über 10’000 Engländer erwartet.
Diese Invasionen gehen zum Teil auf eine geschickte Kampagne von Schweiz Tourismus zurück. So wurde die Schweizer Botschaft mitten im Berliner Regierungsquartier Projektionsfläche für eine grossformatige Videoinstallation, in der acht Spielerinnen der Nationalmannschaft jeweils eine Host City der Schweiz repräsentierten.
In London warb Schweiz Tourismus mit dem Slogan «I need extra time, I need Switzerland» den ganzen Juli über auf 230 Black-Cab-Taxis, auf Bussen und digitalen Plakatwänden für Sommerferien in der Schweiz. Gesicht der Kampagne war die Nationalspielerin Alayah Pilgrim. Mit ihren 22 Jahren und den marokkanischen Wurzeln verleiht sie der Schweiz ein weltoffenes, junges Gesicht.
Schon im Vorfeld der Euro hatte Schweiz Tourismus mit dem Video «Waiting for the game» einen Youtube-Hit mit bis heute 17 Millionen Zugriffen gelandet. Darin bereist ein (niederländischer) Spielerinnen-Mann die Schweiz, verliert sich in den Naturschönheiten des Landes – und vergisst fast, weshalb er hergekommen ist: nämlich für Fussball.
Die Frauen-EM habe der Schweiz eine «bemerkenswerte internationale Sichtbarkeit» verschafft und werde im Ausland «nahezu einhellig positiv» wahrgenommen, heisst es bei Präsenz Schweiz, einer Organisation, die im Namen des Bundesrats den Auftritt der Schweiz im Ausland fördert und ein entsprechendes Monitoring betreibt.
Auch ausserhalb Europas – etwa in überregionalen US-Medien und in Brasilien – habe sich das Interesse an der Schweiz im Juli stark erhöht, sagt Präsenz Schweiz. Das visuelle Narrativ im Ausland fokussiere sich besonders auf das emotionale Erlebnis: mit den beeindruckenden Zuschauerzahlen, der stimmungsvollen Atmosphäre in den Fanzonen und den grossen Fanmärschen vor schönen Stadtkulissen.
Sogar die «New York Times» nahm den Faden auf. Sie schrieb darüber, «wie die kleine Schweiz dazu kam, ein Turnier auszurichten, das einen kulturellen Wandel auslösen könnte», wie die EM also als Katalysator für gesellschaftliche Veränderung dienen könne. Die spanische Zeitung «El Mundo» bezeichnete die Euro als «Una eurocopa (casi) perfecta», als «Modellturnier».
Nur zwei Kritiken sind in den internationalen Medien zu finden: die unzureichende Anzahl von Frauentoiletten in den Stadien und die hohen Preise in der Schweiz. Auf die Kritik an der Überlastung der Toiletten beim Eröffnungsspiel in Basel reagierte Turnierdirektorin Doris Keller damit, dass sie einen Teil der Männer-WCs den Frauen zuteilte. In Genf blieb das Problem aber bestehen.
Die Frauen sind nicht nur auf dem Rasen die Hauptakteurinnen. Sie spielen auch in den Büros der Turnierorganisation die zentrale Rolle. Neben Direktorin Keller etwa mit Marion Daube als Direktorin des Frauenfussballs im Schweizerischen Fussballverband. Dazu kommen die acht Frauen, die an der Spitze der Organisationen der acht Gastgeberstädte stehen. Nur in Bern gibt es eine Co-Direktion mit Mann.
«Dass überall Frauen stehen, sehe ich als symbolische und strategische Wahl», sagt Cindy Reymond, Generalsekretärin des Vereins Frauen-Euro 2025 in Genf. Die Zusammenarbeit mit den Frauen mache sie «enthusiastisch, weil sie effizient und von gemeinsamen Zielen geprägt» sei.
Reymond geht sogar so weit, dass sie sagt: «Die Frauen haben die Euro 2025 auch in einer neuen Art und Weise gedacht.» So gab es an der Frauen-EM vegetarisches Essen (auch in Kinderportionen), Rutschbahnen und Kleinstfussballplätze statt Bier, Brezel und Bratwurst wie an einer Männer-Euro. Basel und Bern machten zudem mit Kunst- und Kulturprojekten auf sich aufmerksam.
Die Frauen hätten ein gemeinsames Verständnis für die Nachhaltigkeitscharta und für die Verhandlungen mit der Uefa gehabt, betont Sabine Horvath, Projektleiterin der Gastgeberstadt Basel. Zudem sei die Zusammenarbeit zwischen den Städten «toll» gewesen. Ein Eindruck, den Insider teilen, die Einblicke in solche Veranstaltungen haben. Während es bei Männern «ein ewiges Gerangel der Wichtigtuer» gebe, sei es den Frauen um die Sache und um die Zusammenarbeit gegangen.
Adolf Ogi, ehemaliger Sportminister und Bundespräsident von 2000, hat nur Lob übrig für die Frauen-EM. «Die Organisation ist hervorragend, gerade auch was die Zusammenarbeit zwischen den Städten betrifft. Da kann man nur stolz sein auf die Schweiz.» Das zeige: Die Schweiz sei im Hoch, was die Organisation von grossen Anlässen betreffe.
Dennoch warnt Ogi. «Ich sehe eine grosse Gefahr», betont er. «Wir haben in den letzten zwanzig Jahren schon die Swissair und die Credit Suisse verloren.» Auch sei die Regierung nicht bereit, eine neue Landesstellung durchzuführen. «Wir müssen aber aufpassen, dass wir nicht auch noch das Internationale Rote Kreuz, das internationale Genf und das World Economic Forum verlieren.»
Deshalb wäre es für die Schweiz besonders wichtig, glaubt Ogi, wenn sie – «als langfristiges Ziel» – die Olympischen Winterspiele 2038 zugesprochen bekäme. Ogi sagt: «Wir könnten schon morgen Olympische Winterspiele durchführen.» Zunächst warten aber andere Herausforderungen: die Eishockey-Weltmeisterschaften 2026 und die alpinen Ski-Weltmeisterschaften 2027.
Basel hingegen bleibt i Frauenfussballfieber – und bewirbt sich für den Final der Champions League 2027. (aargauerzeitung.ch)
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