«Wir sind halt ein kleines Unternehmen», sagt Marcel Schuler fast schon entschuldigend am Telefon, «da bringe ich die Unterschriften noch selbst auf die Post.» 3500 sind an diesem Tag für die Kompass-Initiative zusammengekommen. Diese will die neuen bilateralen Verträge mit der EU dem Ständemehr unterstellen. Es wäre ein grosser Stolperstein auf dem Weg der Annäherung der Schweiz an Europa.
Schuler leitet die Kampagne im Auftrag von Kompass Europa. «Das Sammeln der Unterschriften war für mein Team und mich ein bedeutendes Projekt», sagt er. Die Vergangenheitsform verrät, was niemand offiziell bestätigen will: Das Unterfangen ist gelungen. Der letzte offizielle Sammeltag fand am 19. Juli statt. Sobald das politische Bern aus dem Sommerschlaf erwacht ist, werden die Kompass-Initianten ihr Volksbegehren einreichen.
Möglichst rasch soll der Druck auf National- und Ständerat wachsen, die Vorlage doch noch dem obligatorischen Referendum zu unterstellen. Entgegen dem Willen des Bundesrats.
Dass das Konsortium der Milliardäre rund um Fredy Gantner, Urs Wietlisbach und Marcel Erni die nötigen 100'000 Unterstützer findet, stand nie im Zweifel. Was Schuler derzeit aufbauen soll, geht aber über das Erreichen einer Volksinitiative hinaus. Mit seiner Werbeagentur Campaigneers laboriert er an der ersten bürgerlichen Bewegung der Schweiz.
Die ersten Erfolge können sich sehen lassen. Ende Mai trat Gantner an einer Podiumsveranstaltung der FDP Zürich auf, Titel: «Die Schweiz mit oder ohne Bilaterale III». Stolz verkündete er damals: «Kompass Europa zählt inzwischen mehr als 4000 Mitglieder, viele davon Unternehmer. Wir repräsentieren einen nicht übersehbaren Teil der Schweizer Wirtschaft.»
Man könnte auch einen Vergleich zur Politik ziehen. 4124 Mitglieder (so steht es aktuell auf der Website), das entspricht etwas mehr als der Hälfte der Grünliberalen. Eine Partei mit einer immerhin zwölfköpfigen Bundeshausfraktion. Freilich, die Mitgliedschaft bei Kompass Europa ist gratis und die Identifikationsschwelle eine andere als bei einer Partei. Und doch: Da wächst etwas heran, das nicht nur finanzielle Schlagkraft hat.
Kern des Unterfangens ist die Partners Group aus Baar im Kanton Zug, der Vermögensverwaltungskonzern von Gantner, Wietlisbach und Erni. Viele der 250 ersten Mitglieder stammen aus dem direkten Umfeld dieser Firma. Für einen mittleren sechsstelligen Betrag sicherten sich die EU-Gegner die Dienste der renommierten Beratungsfirma Farner, um das damalige Rahmenabkommen zu bekämpfen. Als der Bundesrat im Mai 2021 den Abbruch der Verhandlungen mit der EU verkündete, endete das Mandat.
Mit dem jetzt vorliegenden EU-Deal ist die Ausgangslage eine andere. Selbst Kritiker Gantner räumt an der FDP-Veranstaltung ein: «Ich bin auch der Meinung, dass wir Fortschritte gemacht haben. Die heutigen Verträge sind deutlich besser.» Geblieben ist Gantners Abneigung gegen die dynamische Übernahme von EU-Recht. Verpackt ist dieses nicht mehr in 34 Seiten wie beim Rahmenabkommen, sondern in 1800.
Die Komplexität der Debatte, die auf die Schweiz zurollt, ist mit ein Grund für den Strategiewechsel in der Kommunikation. Gantner und Konsorten stellen sich auf eine Auseinandersetzung ein, die mehrere Jahre andauert und viel Aufklärungsarbeit beinhaltet. Da lohnt es sich, in die Strukturen zu investieren.
«Wir haben in jedem Kanton eine Anlaufstelle und rund hundert Komitees auf Gemeindeebene», sagt Schuler. «Das schafft Nähe.» Zeitweise waren alle acht Mitarbeitenden von Campaigneers damit beschäftigt, Freiwillige aufzutreiben. Auch eine Hotline richtete Schuler ein, über die man sich bei Fragen ans Kampagnenteam wenden kann.
Schulers Vorbilder finden sich vor allem im linken Lager. Wie die Konzernverantwortungsinitiative plötzlich Tausende orange Fahnen in der Schweiz wehen liess oder wie Politaktivist Daniel Graf mit der Online-Plattform WeCollect teils über Nacht eine kritische Masse aus dem Boden stampft, imponiert dem ehemaligen Kampagnenleiter der FDP. «So eine Begeisterung möchte ich auch im bürgerlichen Lager sehen», sagt Schuler. Die Europa-Diskussion eigne sich dafür, den «Rasen anzusäen», wie er es nennt.
Für sein kleines Unternehmen ist es auch eine Bewährungsprobe. Nicht wenige staunten, als Campaigneers vor rund einem Jahr den Zuschlag für dieses Projekt erhielt – und dabei Farner ablöste. Schuler zahlt das Vertrauen mit viel Engagement zurück. Gleich zu Beginn der Kampagne veranstaltete er 32 Startevents, «mindestens einen in jedem Kanton». Eine Herkulesaufgabe für das achtköpfige Team.
Früh gab es Zweifler, und es gibt sie immer noch, aber sie sind leiser geworden. Die Hauptkritik: Den Bürgerlichen sei es eher fremd, sich mit Verve in die politische Knochenarbeit zu stürzen: Bekannte abtelefonieren, an Ständen ausharren, Flyer in Briefkästen verteilen.
Tatsächlich darf man sich fragen, ob das bestehende Netzwerk der EU-Gegner tatsächlich die demokratische Basisarbeit zu leisten bereit ist. Als gesellschaftlich breit aufgestellt lesen sich die Mitgliederlisten von Kompass Europa nicht. Der erschlagende Teil der Unterstützer ist männlich, gefühlt jeder Vierte notiert als Berufsbezeichnung «CEO», «Geschäftsführer» oder «Verwaltungsratspräsident».
Eine Bewegung ist das noch nicht, noch weniger eine aus dem Volk. Aber ein Start. Und für alles andere bleibt Schuler ja noch ein bisschen Zeit. (aargauerzeitung.ch)
Das politische Ziel dürfte ein Alpen Monaco für Reiche sein.