Nachdem die ungarische Polizei am Montag den grossteils syrischen Flüchtlingen, die bereits seit Tagen in Budapest am Bahnhof campierten, überraschend die Weiterreise gestattete, sind im Laufe des Abends einige völlig überfüllte Züge mit übermüdeten, hungrigen und durstigen Menschen in Wien angekommen. Fast alle von ihnen sind jedoch nur auf der Durchreise, «Which train to Germany?» werde ich ständig gefragt.
Vor Ort sind am frühen Abend bereits Dutzende Menschen, grossteils in meinem Alter, die die ankommenden Flüchtlinge mit Obst, Wasser und Brot versorgen. Dankbar greifen die Menschen aus den Zügen, die allesamt sehr müde aussehen, schnell nach ein, zwei Bananen und einer Flasche Wasser, bevor sie in den bereits wartenden Zug nach Salzburg drängen, von wo aus es weiter nach Deutschland gehen soll.
In kürzester Zeit ist im Merkur am Westbahnhof die gesamte Obstabteilung leergekauft, auch die Regale mit den Wasserflaschen, wir kaufen, so viel wir zahlen und tragen können, auch Mannerschnitten für die Kinder, Windeln und Babynahrung für die Kleinsten. Später lässt der Filialleiter einen ganzen Wagen mit Getränken aus dem Lager zu den Gleisen bringen.
Plötzlich Aufruhr am Bahnsteig, eine Menschentraube, mitten drin ein verzweifelter junger Mann, der einen weinenden kleinen Jungen hochhält, der seine Eltern verloren hat. Panisch ruft er den Namen des Jungen, «Aziz, Aziz», der Kleine wird auf den Schultern am Bahnsteig herumgetragen, sein Name wird von Dutzenden Menschen laut gerufen und weitergesagt, jeder hilft, schliesslich können unter Tränen die Eltern gefunden werden, es gibt Applaus.
Minuten später steht eine Frau weinend neben mir am Bahnsteig. Ich frage sie was los ist, ein junger Mann übersetzt bereitwillig: ihr 10-jähriger Sohn ist beim Aussteigen verschwunden. Wieder helfen alle zusammen, die Flüchtlinge rufen den Namen des Kindes am Bahnsteig, in den wartenden Zügen. Nach wenigen Minuten wird er von einem Mann gefunden und zur Mutter gebracht.
Mittlerweile werden die Helferinnen und Helfer mehr und mehr, im Minutentakt trudeln Privatpersonen mit Einkaufswagen voller Essen und Wasser ein, auch die Suppenküche der Caritas ist eingetroffen, zwischen Gleis vier und fünf hat eine Gruppe junger Menschen angefangen, die bereits gewaltigen Mengen an Wasserflaschen und Nahrungsmitteln in kleine Pakete abzupacken. Alle helfen zusammen, was fehlt, wird aus eigener Tasche gekauft.
Die ÖBB bedanken sich auf den Monitoren, die sonst über Abfahrtszeiten informieren, bei den Helfern, und geben an, was dringend gebraucht wird: Hygieneartikel für die Menschen, die in den bereitgestellten Quartieren übernachten werden, um am nächsten Tag nach Deutschland weiterzureisen. Viele Menschen, die Arabisch oder Farsi sprechen, sind mittlerweile zum Bahnhof gekommen und übersetzen, wo es notwendig ist, oder sagen einfach nur den Neuankömmlingen, dass sie hier in Sicherheit sind.
Gegen Mitternacht rollt ein weiterer Railjet aus Budapest unter Applaus ein, es ist der vorletzte Zug für heute, mittlerweile sind Hunderte Menschen am Bahnhof, die winkend mit Willkommensrufen auf Deutsch, Englisch und Arabisch die ankommenden Flüchtlinge begrüssen. Ein Mann sagt mir weinend in gebrochenem Englisch, dass er kaum glauben kann, wie herzlich er hier empfangen wird.
Die Flüchtlinge erzählen von schlechter Behandlung in Rumänien und Serbien, viele wissen gar nicht genau, wo sie hier momentan sind, diejenigen, die es wissen, sagen, Österreich ist ein gutes Land.
Ein kleiner Junge zeigt mir strahlend eine Flasche Cola, die er ergattert hat, sein Vater hat eine grosse Flasche Wasser, einige Nektarinen und ein halbes Fladenbrot bekommen, eine Zigarette wird ihm angeboten. Sonst haben die beiden gar nichts, kein Gepäck, keine Koffer, nur was sie am Körper tragen. Der Vater lächelt müde, hält seinen Sohn fest an der Hand, sagt im Vorbeigehen leise «Thank you, thank you, thank you», und wir kämpfen beide mit den Tränen.
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Der Autor: Jakob Bouchal studiert tagsüber in Wien Rechtswissenschaften und ist in der Nacht als DJ in den Clubs unterwegs. Die Flüchtlingskrise hat ihn dazu bewegt, sich persönlich für die hilfsbedürftigen Menschen zu engagieren. Zwei Tage lang war er am Wiener Westbahnhof, um die ankommenden Flüchtlinge zu unterstützen. Dieser Text wurde am Mittwoch auf seiner Facebook-Seite gepostet und uns zur Verfügung gestellt.
Eine tolle Story, bringt wohl jeden wirklich zum Nachdenken dessen Kopf nicht mit braunem Müll gefüllt ist... 👍