Amanda Palmer ist das Schreckgespenst der Musikindustrie. Sie ist die Speerspitze einer Bewegung, die ihre Kunst direkt an die Fans bringt – Labels sind überflüssig. Der Indie-Rockstar verblüffte die Industrie schon mit der Finanzierung des Albums «Theatre is Evil» im Jahr 2012: Auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter kamen 1,2 Millionen Dollar zusammen. Palmer war die erste Musikerin, die die Millionengrenze knackte.
Nun hat Palmer eine neue Plattform am Start, über die sie ihre Kunst finanzieren will: Patreon. Wer sie unterstützen will, kann ihr hier einen Geldbetrag pro Kunstwerk zusichern, das sie veröffentlicht – seien das Lieder, Videos oder Gedichte. Während bei Kickstarter Geld für grosse Projekte gesammelt wird, fliesst das Geld bei Patreon permanent. Zumindest so lange sich Leute bereit erklären, zu zahlen.
Amandas Kult-artige Gefolgschaft lässt sie nicht im Stich: Seit ihrer Ankündigung letzte Woche haben ihr knapp 3500 Leute einen wiederkehrenden Betrag zugesichert. So kommen 27'000 Dollar pro Werk zusammen. Wer mehr hinblättert, erhält «Zückerchen» wie private Blog-Einträge oder Making-of-Bilder.
Die Werke sind jedoch alle frei im Internet zugänglich, sie sind nicht den Unterstützern vorbehalten. Palmer macht ihre Fans zu Mäzenen, die ihr ihre Arbeit ermöglichen. Sie hat sich bedingungsloses Grundeinkommen geschaffen
Mögliche negative Reaktionen adressiert Palmer in ihrem Blog gleich selbst: «Ich höre die Kritiker schon: ‹Aber Amanda, einen Ukulele-Song aufzunehmen kostet keine 50'000 Dollar.›» Das sei richtig, aber ein Videodreh sei teuer. Und man könne einem Lied kein Preisschild anhängen. Es gehe ums Vertrauen. «Ihr bezahlt nicht nur das Studio. Ihr bezahlt alles. Meine Miete, mein Essen, mein ‹New York Times›-Abo. Ihr bezahlt mich, damit ich lebe und arbeite, die ganze Zeit», schreibt Palmer.
Und weiter: «Es liegt an euch, mir zu vertrauen, dass ich das Geld richtig ausgebe. Wenn dir das schräg reinkommt: Tu's nicht.» Das Ganze sei ein «riesiges Experiment». Seit 2008, als sie sich nach einem Streit von ihrem Musiklabel getrennt hat, versucht die 38-Jährige mit ihrer Kunst auf eigene Faust über die Runden zu kommen. Am Montag hat Palmer ihr erstes Lied seit ihrer Patreon-Anmeldung veröffentlicht, ein Stück namens «Bigger on the Inside».
Patreon ist ein weiteres Phänomen, das einen direkten Draht von Künstlern zu Fans ermöglicht. Und zwar nicht nur für Indie-Ikonen, die ihr ganzes Leben finanzieren wollen. Auch Comiczeichner, Video-Blogger oder Komiker, die ihr ambitiöses Hobby finanzieren wollen, finden dort eine Plattform.
Auch Kreative aus der Schweiz nutzen die Plattform, wenn auch wenige. Der erfolgreichste ist Aaron Seigo, der mit einer englischen Video-Serie Gratis-Software thematisiert, die unseren Alltag verändern kann. «Es ist eine grossartige Plattform, um eine Verbindung zu deinem Publikum aufzubauen», sagt Seigo zu watson.
Der in Zürich wohnhafte Kanadier Seigo hat 33 Unterstützer und erhält 80 Dollar pro Video, die er im Zweiwochentakt veröffentlicht. Es gehe ihm nicht darum, das Projekt zu einem Vollzeitjob zu machen. «Aber das Geld erlaubt es mir, neues Material zu kaufen und die Sendung zu verbessern. Und das ist schön», so Seigo.
Patreon wurde 2013 vom Musiker Jack Conte gegründet. «Ich hatte eine Million Ideen in meinem Notizbuch, und eine davon war: ‹Was, wenn ich meine Fans um einen Dollar pro Video bitte?›», sagt Conte dem Guardian. Mit Amanda Palmer an Bord hofft er, neue Künstler und Unterstützer an Bord zu holen.