Roger Federer, als Sie an der Ski-WM
in St. Moritz waren, verhielten sich selbst Medaillen-Gewinner wie
Tina Weirather oder Michelle Gisin wie kleine Kinder. Ist Ihnen das
manchmal unangenehm?
Roger Federer: Das war schon unglaublich (lacht). Sie
haben zu mir gesagt: Du bist mein Idol. Da wurde ich schon etwas
verlegen. Aber ich kann es verstehen. Hätte ich als kleiner Knirps
die Chance gehabt, Zeit mit Stefan Edberg oder Boris Becker zu
verbringen, wäre ich wahrscheinlich auch hin und weg gewesen. Ich
habe es auch schon ab und zu im Tennis erlebt, dass ich gegen Leute
gespielt habe, die mich als Vorbild haben. Zum Beispiel Mischa Zverev
in Australien.
Welchen Eindruck haben die Skifahrer
bei Ihnen gemacht?
Dass sind alles unheimlich sympathische
Typen. Mich freut es immer, wenn ich mir anschauen kann, wie andere
Sportler arbeiten. Wie zum Beispiel in der Formel 1. Ich interessiere
mich dann dafür, wer gewinnt und wer verliert und wie sich die
Fahrer fühlen.
Sie gelten als Mister Perfect: Gibt
es etwas, in dem Sie nicht perfekt sind?
Ja, natürlich gibt es ganz viele
Dinge, die ich nicht perfekt mache oder überhaupt nicht kann. Auch
ich habe meine Macken und meine Probleme. Zu jedem Zeitpunkt alles
immer richtig zu machen, ist gar nicht möglich. Darum habe ich
dieses Mister-Perfect-Image auch nicht so gerne, denn ich kann die
Menschen so nur enttäuschen. Es ist mir auch ein Rätsel, woher
dieser Ruf kommt.
Was tun Sie dagegen?
Ich versuche, mich locker und natürlich
zu geben. Ich glaube, das kommt bei den Menschen gut an, weil sie
merken: Egal, wie viele Sponsoren ich habe, wie viel Erfolg ich
hatte, wie viele bekannte Persönlichkeiten ich kennenlernen durfte
und egal, in welcher Stadt ich mich gerade bewege: Ich bleibe immer
mich selber. Ich weiss, wo meine Wurzeln sind. Ich weiss, wer meine
Freunde und Familie sind. Ich versuche immer, mich darauf
zurückzubesinnen. Ab und zu darf ich unglaubliche Dinge erleben,
klar. Aber das zählt nicht wirklich zu den wichtigen Dingen in
meinem Leben. Ich glaube, die Leute wissen, dass ich das so sehe.
Seit über 13 Jahren setzten sie
sich mit Ihrer Stiftung in Afrika für die Frühbildung von Kindern
ein. Was war der Auslöser?
Bei der Gründung der Stiftung haben
wir den Zweck bewusst sehr breit formuliert. Ich habe mir vorher
länger Gedanken gemacht, was ich bewirken will: Will ich ein Dorf
bauen? Oder Schulhäuser? Will ich etwas im Bereich Krankheiten
machen? Ich wurde auch immer wieder gefragt, ob ich mich als
Botschafter engagieren will. 2006 war ich zum Beispiel
Unicef-Botschafter. Und mit Adolf Ogi durfte ich bei der UNO unter
dem damaligen Generalsekretär Kofi Annan das Jahr des Sports
einläuten.
Sie haben sich dann für
Bildungsprojekte für Kinder in Afrika entschieden. Weshalb?
Ich erinnere mich noch gut an meinen
ersten Besuch in Port Elizabeth in Südafrika. Dort habe ich ein
Projekt gesehen, das einerseits aidskranke Kinder unterstützt. Auf
der anderen Seite ging es darum, ihnen Zugang zu Bildung zu
ermöglichen. Zu wissen, dass diese Kinder eigentliche keine Chance
haben, war für mich ein emotionaler Moment, der mir sehr nahe ging.
Darum habe ich mich damals entschieden, mich im Bereich Bildung
einzusetzen. Ich bin froh, habe ich diesen Weg eingeschlagen.
War für Sie immer klar, dass Sie
eine eigene Stiftung aufbauen wollen?
Mir wurde erst später klar, was für
ein grosser Schritt es damals war, eine eigene Stiftung zu führen
und nicht eine andere zu unterstützen. Das wäre einfacher gewesen,
klar. Ich habe mir aber gesagt, dass ich es gerne selber mache. Dann
kannst du deine eigenen Ideen, die du hast, umsetzen und kannst genau
verfolgen, was du bewirkst oder eben auch nicht. Für mich war das
gute Bildung für Kinder. Denn ich denke: Was sie lernen, bleibt fürs
Leben. Das öffnet den Kindern Türen. Dieser Gedanke hat sich bei
mir eingebrannt.
Sie waren schon in Südafrika,
Äthiopien und Malawi. Wie wichtig ist es für Sie, selber vor Ort zu
sein?
Enorm wichtig. Weil zusätzlich zu
meinem Beitrag auch viele andere Menschen Geld in die Stiftung geben
und mir vertrauen. Auch fast alle Sponsoren unterstützen die Roger
Federer Foundation. Diese Leute sollen sicher sein können, dass ihre
Spende ankommt. Auch für mich ist es wichtig, unsere Programme
besser zu verstehen, zu sehen was und wie viel wir bewirken. Der
Kontakt mit den Menschen vor Ort ist sehr wichtig für mich.
Wie gehen die Kinder in Afrika auf
Sie zu?
Für sie bin ich einfach jemand, der
ihnen helfen möchte. Ich habe das Gefühl, dass sie nicht wissen,
wie berühmt ich bin. Das ist mir Recht! Dort ist es egal, wie gut du
Tennis spielst. Wichtig ist, dass sie Hilfe bekommen. Sie zeigen sich
extrem dankbar, obwohl ich das überhaupt nicht suche. Mich macht es
glücklich, zu sehen, dass es ihnen besser geht und dass ich den
Kindern bessere Chancen ermöglichen kann. Ich bin froh, wenn sie
mich nicht als berühmten Tennisspieler kennen. Deshalb bin ich auch
am liebsten ohne Medien unterwegs, um die Menschen zu spüren und
alleine mit den Kindern Zeit verbringen zu können.
Stattdessen wird Ihnen immer ein
grosser Empfang bereitet …
Bei meinen Besuchen gibt es immer zwei
Teile: Ich nehme mir viel Zeit, die Kinder ohne Medien und Zuschauer
in ihrem Alltag zu erleben. Ich kann dann auf Augenhöhe mit den
Kindern spielen. Das ist für mich das Schönste. Auch wenn ich sehe,
dass man sich gegenseitig hilft: Die Mütter, die Lehrerinnen und
Lehrer. Dass immer mehr Kinder Bildung erhalten. Dass sie eine
gesunde Mahlzeit erhalten, dass die Eltern daran glauben, dass die
Schule eine wichtige Sache ist. Dann muss aber auch gefeiert werden.
Das ist dann der offizielle Teil, der sowohl für die Partner vor
Ort, aber auch für die Bevölkerung sehr wichtig ist. Dort können
die Medien auch gerne kommen. Das hilft dann auch unserem Anliegen,
die Bildung zu fördern.
Welche Begegnungen sind Ihnen
besonders in Erinnerung geblieben?
Als ich in Malawi war, sind mir die
Kinder durch die Haare gefahren. Sie waren total vernarrt in meine
Haare, haben darin gewühlt. Ihre Haare sind ja ganz anders und sie
haben noch nie die Haare eines Weissen angefasst. Das fand ich
faszinierend und unglaublich. Ein schöner Moment war auch, als ich
in einem riesigen Kochtopf für über 100 Kinder gekocht habe und
einem nach dem anderen seine Portion geschöpft habe. Dann denkst du:
Beginnt zu essen, so lange es noch warm ist. Stattdessen haben alle
gewartet. Dann wurde gebetet und still gegessen. Von einem Moment auf
den anderen wird es muxmäuschenstill. Dieser Respekt gegenüber den
anderen Kindern, gegenüber den Lehrern und gegenüber dem Essen hat
mich tief beeindruckt. Das zu sehen, war sehr emotional für mich.
Welche Werte vermitteln Sie Ihren
Kindern?
Dass Familie und Freunde das Wichtigste
sind. Gesundheit. Respekt. Toleranz. Das ist mir enorm wichtig. Das
sage ich auch meinen Kindern. Immer nett sein. Immer höflich sein.
Ich versuche, so durchs Leben zu gehen. Ob jetzt jemand ein Superstar
ist oder nicht, das ist für mich völlig egal. Klar, wenn eine
berühmte Person etwas Unglaubliches erreicht hat, ist er sehr
interessant und hat wahrscheinlich eine unglaublich inspirierende und
motivierende Geschichte zu erzählen und ist ein Vorbild. Aber eine
andere Person, die nicht bekannt ist, hat vielleicht auch eine
unglaubliche Geschichte zu erzählen. Darum versuche ich, mit Anstand
und Respekt gegenüber allen durchs Leben zu gehen. Jemandem in die
Augen schauen. Grüezi und Merci sagen. Das ist für mich absolute
Pflicht.
Wie gehen Sie mit dem Kontrast
zwischen Armut und Elend in Afrika zum Leben in der Schweiz um, wo
wir alles bis zum Überfluss haben?
Manchmal ist es einfach Glück oder
Pech, wo du aufgewachsen bist. Das ist mir sehr bewusst, ich weiss,
um was es geht und weiss, wie viel Glück ich in meinem Leben gehabt
habe. Ich versuche mir und meinen Kindern immer wieder zu erklären:
Das, was wir alles erleben dürfen, ist sehr aussergewöhnlich. Ich
weiss, ich lebe in einer Fabelwelt. Wir fliegen dauernd von einem Ort
zum anderen. Da ist es für mich schon auch wichtig: Wo fliege ich da
drüber? Ich sehe diese Länder und wünsche mir, einmal zu sehen,
wie es dort ist. Darum sind mir die Besuche in Afrika enorm wichtig.
In Melbourne sagten Sie: «Es ist
wie bei der Musik. Du spielst nicht nur für dich selbst.» Spielen
Sie heute mehr denn je auch für Afrika und Ihre Stiftung?
Absolut. Es wird nie mehr so einfach,
Geld für die Stiftung zu beschaffen wie jetzt in dieser Phase meiner
Karriere. Dessen bin ich mir bewusst, und versuche, noch möglichst
viel Geld zu generieren, wie mit dem «Match for Africa». Aber ich
möchte auch nicht den Fokus verlieren auf meine eigene Karriere.
Auch dort habe ich Ziele. Später werde ich aber viel mehr Zeit
haben, mich noch stärker einzubringen. Darauf freue ich mich. Wir
gleisen auch alles so auf, dass die Stiftung langfristig Erfolg hat.
Das ist für alle motivierend.
Sie selber spielen seit fast zwei
Jahrzehnten. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Man muss es gerne machen. Sonst
verpufft die Energie. Du musst es lässig gestalten, auch den ganzen
Trainingsaufbau. Mit wem trainierst du? Wie gestaltest du dein
Umfeld? Wo trainierst du? Die Reisen, die Autogramme, die Fotos und
das erkannt werden – das alles darfst du nicht als mühsam empfinden.
Das erachte ich als wichtig.
Machen Sie das nach all den Jahren
noch immer mit Freude?
Ich habe auch schon einmal eine Phase
erlebt, in der ich mich ausgebrannt gefühlt habe. Wo ich sagte, dass
ich für einmal weniger Fotos mache, weniger Autogramme gebe und
andere Wege gehe als normal, oder woanders trainiere. Weil ich merke,
dass ich, wenn ich so weitermache, müde bin in den Matches. Danach
fühlte mich wieder frisch und hatte danach nie mehr ein Problem.
Generell musst du einfach gerne Matches spielen. Gerne gewinnen und
nicht gerne verlieren. Diese Leidenschaft muss sein. Dieses Feuer und
Eis finde ich enorm wichtig. Ich bin zwar stolz auf das, was ich
erreicht habe, ohne zu sehr in der Vergangenheit zu leben. Du bist
immer nur so gut wie dein letzter Match. So kannst du dich antreiben.
Eine absolute Zielsetzung ist eminent wichtig. Kurzfristig und
langfristig. Wenn du keine Ziele und Träume mehr hast, macht es
keinen Sinn.
Welche Ziele und Träume haben Sie
für Afrika?
Wir konnten schon 28,5 Millionen
Franken in Programme in Afrika und in der Schweiz investieren und
damit 650‘000 Kinder unterstützen. Bis 2018 sollen es eine Million
Kinder werden. Dies wird rund 40 Millionen Franken kosten. Wir haben
also noch ein gutes Stück Weg vor uns, weshalb der «Match for
Africa» als Einkommensquelle wichtig ist.
Eigentlich hätte das Match for
Africa ja schon im November stattfinden sollen.
Ja, aber jetzt kommt es fast noch
besser. Es ist ein Traumszenario: Ich habe in Australien gewonnen und
Andy Murray ist die Nummer 1 der Welt.
Haben Sie eine Vision für Afrika?
Das ist schwierig, zu beantworten.
Afrika ist ein riesiger Kontinent mit unheimlich viel Potenzial. In
Malawi zum Beispiel besuchen heute 40 Prozent der Kinder einen
Kindergarten. Das ist auf der einen Seite toll, weil es das vor ein
paar Jahren noch gar nicht gab. Auf der anderen Seite ist es
natürlich viel zu wenig. Das Ziel sollte ja sein, dass alle Kinder
den Kindergarten besuchen. Mein grosser Wunsch mit meiner Stiftung
und für Afrika ist es, dass die Bildung vom Kindergarten bis zur
Hochschule höchste Priorität geniesst.