Heute ist es um das schwedische Männertennis schlecht bestellt. Kein einziger Spieler taucht in den Top 300 der Weltrangliste auf. In den 1980er- und 1990er-Jahren ist das noch ganz anders. Mats Wilander gewinnt sieben Grand-Slam-Turniere, sein Landsmann Stefan Edberg sechs. Beide klettern bis auf Platz 1 der Weltrangliste. Zwischen 1983 und 1989 steht Schweden jedes Jahr im Davis-Cup-Final, zwischen 1975 und 1998 holen die Skandinavier die Team-Trophäe sieben Mal.
Ende 1996 tritt Edberg von der Tennisbühne ab. Der Davis-Cup-Final vor eigenem Publikum in Malmö soll zum letzten grossen Triumph werden. Doch der Abschied wird zum Fiasko. Edberg verliert zum Auftakt nicht nur gegen Cédric Pioline, bei der Drei-Satz-Niederlage verletzt er sich auch noch.
«Ich habe einen falschen Schritt gemacht. Vielleicht war das mein letztes Spiel», mutmasst Edberg am Freitag nach dem Spiel. «Es ist nichts Gravierendes, aber es ist geschwollen.» Und zwar so sehr, dass er tatsächlich kein zweites Einzel bestreiten kann.
Die Franzosen gehen mit einer 2:1-Führung in den Sonntag, weil Guy Forget und Guillaume Raoux überraschend das Doppel gegen Jonas Björkman und Nicklas Kulti gewonnen haben.
Pioline kann den Sack nun zumachen. Doch Thomas Enqvist, die Nummer 9 der Welt, gleicht nach viereinhalb Stunden und fünf umkämpften Sätzen auf 2:2 Siege aus. «Das war wahrscheinlich das längste Match meiner Karriere, sicher eines der wichtigsten und emotionalsten», strahlt Enqvist, der die ersten beiden Sätze verloren hat.
Wütend zertrümmert sein Gegner Cédric Pioline nach dem 6:3, 7:6, 4:6, 4:6 und 7:9 seinen Schläger. Nun kann er nur noch zuschauen und mit Arnaud Boetsch mitfiebern.
Aus Sicht der Einheimischen liegt es an Edbergs Ersatzmann, dass die Schweden vor 5600 Fans feiern können. Nicklas Kulti war immerhin einmal die Weltnummer 32, er konnte drei ATP-Turniere für sich entscheiden. Das Duell mit Boetsch – ebenfalls drei Turniersiege, höchste Platzierung Rang 12 – scheint also eines auf Augenhöhe zu sein.
Boetsch gewinnt den Startsatz im Tiebreak, doch dann läuft es Kulti besser. Er gewinnt die Durchgänge zwei und drei, und im vierten Satz hat er drei Matchbälle. Nur jeweils ein Punkt trennt Schweden vom Triumph, trennt den grossen Stefan Edberg von seinem fünften Davis-Cup-Titel.
Aber Arnaud Boetsch wehrt alle drei Matchbälle ab. Er gewinnt den vierten Satz im Tiebreak und erzwingt einen fünften. Der Krimi geht weiter. Fast fünf Stunden dauert es, bis um 22.59 Uhr der Sieger feststeht – Frankreich. Boetsch schlägt den am Ende entkräfteten Kulti 7:6, 2:6, 4:6, 7:6 und 10:8.
«Das ist unglaublich! Das war mein grosser Traum», jubelt Boetsch. Fünf Jahre zuvor war er beim bislang letzten französischen Sieg im Davis Cup schon dabei, aber nur als Ersatzmann. «Dieses Mal habe ich selber gespielt und nur schon das war mir eine Ehre. Aber dann auch noch so zu gewinnen, mit drei abgewehrten Matchbällen … das ist magisch!»
So wenig hat den Schweden gefehlt, so wenig für den perfekten Karriere-Abschluss von Stefan Edberg. Er wird im Anschluss an die Pokalübergabe geehrt und findet lobende Worte für das, was er miterlebt hat. «Das war ein wunderbarer Tag fürs Tennis. Ich fühle mich privilegiert, dass ich dabei sein durfte, denn das war eine der aufregendsten Davis-Cup-Begegnungen, die ich erlebt habe.»
Der spätere Trainer von Roger Federer, der danach tatsächlich kein Match mehr bestreitet, freut sich in den Jahren darauf bestimmt mit seinen Landsmännern: 1997 (5:0 gegen die USA) und 1998 (4:1 gegen Italien) gewinnt Schweden den Davis Cup zwei Mal in Folge. Neben Jonas Björkman, Magnus Larsson und Magnus Norman ist beide Male auch Nicklas Kulti dabei, der tragische Verlierer des Finals von 1996.