Roger Federer, der junge Schweizer mit dem Stirnband und den langen Haaren, ist im Jahr 2002 noch ein ziemlich unbeschriebenes Blatt. Zwar wird ihm grosses Talent nachgesagt, doch die in ihn gesteckten Erwartungen kann der 20-Jährige noch zu selten erfüllen. Ende März gelingt ihm nach dem historischen Sieg gegen Pete Sampras in Wimbledon 2001 aber eine weitere Sensation.
Im Halbfinal des Miami Masters in Key Biscayne besiegt der aufstrebende Federer zum ersten Mal die Nummer 1 der Welt. 6:3, 6:4 bodigt Federer Lleyton Hewitt und kann seinen Stolz danach nicht verbergen: «Der Sieg gegen Pete Sampras in Wimbledon ist nicht zu übertreffen. Aber dann kommt dieser gleich dahinter.»
Federer zieht dank dem verdienten Erfolg ohne Satzverlust in seinen ersten Masters-Final ein, beendet Hewitts Serie von 20 Siegen in den letzten 21 Partien und bezwingt mit der Weltnummer 1 den Dominator der frisch angebrochenen Tennissaison.
Federer versucht erst gar nicht die Euphorie zu bremsen. «Es ist toll, dass ich die Nummer 1 geschlagen habe. Ich hatte zwar Glück mit der Auslosung und der Verletzung von Tim Henman, aber man muss das Glück auch erzwingen können. Jetzt will ich möglichst schnell in die Top Ten und mich da etablieren», so der Baselbieter.
Den Final des Turniers in Key Biscayne verliert Federer gegen den Titelverteidiger Andre Agassi dann allerdings klar. Beim 3:6, 3:6, 6:3 und 4:6 fordert der 20-jährige Basler den Amerikaner kurzzeitig aber mehr ab, als es dem einheimischen Publikum lieb ist. Eine kurze Baisse kostet Federer jedoch den vierten Satz und beschert Agassi am Schluss seinen fünften Titel im siebten Final.
«Plötzlich ging es wahnsinnig schnell. Auf einmal hatte ich verloren», so der verdutzte Federer über den verspielten 4:2-Vorsprung im vierten Durchgang. «Ich musste seinen Bällen dauernd hinterherlaufen. Er diktierte die Punkte, wie er wollte.»
Trotz der klaren Niederlage hinterlässt das erfolgreiche Miami-Abenteuer Spuren. Halbfinal-Verlierer Hewitt spürt, dass mit Federer ein neuer Superstar heranwachsen könnte: «Dieses Jahr kann er den ganz grossen Durchbruch schaffen», sagte der Australier nach dem Match. «Ob es für die Top 4 oder 5 reicht, dies ist eine andere Frage.»
In der Schweiz steigt die Euphorie. «Roger, so wirst du die Nummer 1», titelt der «Blick». Der «Tages-Anzeiger» analysiert, dass wohl «noch nie ein Schweizer besser ausgebildet war als dieser ‹Swiss Borg›, der dank seiner Technik auf allen Courts gewinnen kann.» Noch deutlicher wird der «Bund»: «Wenn Federer sein bestes Tennis zeigt, ist er kaum zu schlagen.»
Diese zehn beeindruckenden Tage in Miami sorgen aber nicht nur für grosse Anerkennung bei Spielern und Presse, die Resultate zeigen auch auf dem Papier ihre Wirkung. Dank des Final-Einzuges macht Federer einen Sprung auf Rang 11 in der Weltrangliste und das lässt ihn so nah an die Top Ten vorstossen wie nie zuvor.
Der ganz grosse Durchbruch lässt entgegen der Aussage von Hewitt dann allerdings noch eine Weile auf sich warten. Im Mai des gleichen Jahres dringt Roger Federer mit dem Turniersieg in Hamburg zwar das erste Mal in die Liste der zehn besten Tennisspieler der Welt ein, danach muss er aber hart um diese Platzierung kämpfen.
Das Jahr 2002 beendet der Schweizer auf Platz 6 der Weltrangliste, ehe im folgenden Jahr der erste Grand-Slam-Titel herausschaut. Dank des Sieges in Wimbledon und weiteren grossartigen Erfolgen kämpft sich Federer bis auf Platz 2 vor. Und ab 2004 ist es nicht mehr Federer, der die Weltnummer 1 schlagen muss. Ab Februar 2004 heisst die Weltnummer 1 Roger Federer und seine lange Herrschaft beginnt. Bis 2008 steht er 237 Wochen – mehr als vier Jahre – unangefochten an der Spitze.