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Das letzte Spiel von Steven Gerrard an der Anfield Road sorgt für Hühnerhaut ohne Ende – watson war beim Abschied von «Captain Fantastic» live dabei

Das letzte Spiel von Steven Gerrard an der Anfield Road sorgt für Hühnerhaut ohne Ende – watson war beim Abschied von «Captain Fantastic» live dabei

Nach 17 Jahren nimmt Steven Gerrard Abschied von seinen Fans an der Anfield Road. Das Abschiedsspiel wird zum Spiegelbild seiner Karriere: Eine Liebesgeschichte mit fehlendem i-Tüpfelchen.
17.05.2015, 12:0118.05.2015, 10:09
reto fehr, liverpool
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«Gerard Houllier sagt, ich sei wie ein schöner Artikel, der noch nicht fertig geschrieben ist. Und er hat recht. Da kommt noch mehr.» So antwortete Steven Gerrard während der Saison 1999/2000 auf die Frage, wo er sich in fünf oder zehn Jahren sieht. Damals stand der Mittelfeldspieler gerade in seiner zweiten ganzen Saison mit Liverpool, Houllier war sein Trainer.

Nochmals fünf Jahre früher wurde Gerrard erstmals in einem offiziellen Spiel des FC Liverpools erwähnt, wie Liverpools Archivar Jonny Stokkeland erzählt. Er wurde am 9. Mai 1995 mit einem «B-Team» gegen Manchester United eingewechselt. Gerrard war 14. Die meisten seiner Mitspieler 17 bis 19.

Die wichtigsten Titel, die Steven Gerrard gewonnen hat

Gestern, fast auf den Tag genau 20 Jahre später, nimmt Steven Gerrard Abschied von der Anfield Road. Es scheint, als will sich selbst die Stadt standesgemäss von seiner grössten Legende – neben den Beatles – verabschieden. Die Hafenstadt in Nordengland strahlt im Sonnenschein. Es bläst zwar ein kühler Wind, aber die ersten Sommergrüsse sind dank der knappen Kleidung der Einheimischen unübersehbar. 

Schon kurz nach dem Mittag warten einige Dutzend Fans – vor allem asiatischer Herkunft – vor dem «Hope Street Hotel», wo Liverpools Team am frühen Nachmittag von der Innenstadt Richtung Stadion abfahren wird. Am Ende der Strasse thront knapp 200 Meter entfernt die imposante Kathedrale Liverpools. Für viele Leute ist sie heute zweitrangig. Sie sind wegen Gerrard hier.

Fans warten Stunden vor dem Spiel vor dem Liverpool-Hotel.
Fans warten Stunden vor dem Spiel vor dem Liverpool-Hotel.bild: watson

Alle wollen Gerrard begrüssen

Später warten Hunderte vor dem Stadion, um die Mannschaft zu begrüssen. Direkt nach Trainer Brendan Rodgers steigt Steven Gerrard aus dem Teambus. Der Lärmpegel steigt, doch er bleibt irgendwie bescheiden. Denn alle müssen diesen Moment, dieses letzte Mal, welches Gerrard vor einem Spiel zur Anfield Road kommt, mit ihren Mobiltelefonen festhalten. Irgendwie schade. Gerrard scheint das nicht zu kümmern. Er winkt kurz und verschwindet entschlossenen Schrittes in den Katakomben.

Es hätte lauter sein sollen, aber alle mussten den Moment filmen. Da fällt das Klatschen schwer.YouTube/Reto Fehr

Er habe diesen Tag gefürchtet, gestand der fast 35-Jährige bei seiner «Farewell»-Pressekonferenz an Auffahrt. Es werde emotional. Dies bewahrheitet sich wenig später im Stadion. Mit gebührendem Abstand rennt der Captain beim Aufwärmen als erster auf das Feld. 50 Meter hinter ihm folgt das Team. Der Extra-Applaus soll ihm gehören. Erstmals gibt es Hühnerhaut in der erst halbvollen Arena.

Steven Gerrard kommt beim Aufwärmen als erster Feldspieler auf den Rasen.YouTube/Reto Fehr

Extra-Applaus und Hühnerhaut im Multipack

Das Duo Extra-Applaus und Hühnerhaut hat bis zum Spielbeginn noch einige Male seinen Auftritt. Die Aufstellung dröhnt über die Lautsprecher. Gerrard wird mit einer künstlerischen Pause erst ganz am Schluss begrüsst – Extra-Applaus/Hühnerhaut. Die Spieler kommen zum Abschluss des Aufwärmens in die Ecke vor der legendären Kop-Tribüne – Extra-Applaus/Hühnerhaut. Gerrard geht kurz zum Flash-Interview mit Jamie Carragher bei Sky Sports – Extra-Applaus/Hühnerhaut. Vor dem Spiel kommt Gerrard mit seinen drei Töchtern durch einen Spalier aufs Feld – Extra-Applaus/Hühnerhaut. Fanlieder auf Gerrard werden angestimmt – Extra-Applaus/Hühnerhaut. You'll Never Walk Alone wird gesungen – Extra-Applaus/Hühnerhaut. Die kleinste Tochter muss sich die Ohren zuhalten. Der Trubel scheint ihr zu viel zu sein.

Und noch mehr Extra-Applaus für Steven Gerrard.YouTube/Reto Fehr

Während dem Spiel bleibt es dann eher ruhig. Gelegentlich wird der «Captain Fantastic» gefeiert, doch der Spielverlauf killt die Stimmung. Crystal Palace führt 2:1. Und als Gerrard sich tief in der zweiten Halbzeit einmal beim Schiedsrichter beschwert, verhöhnen ihn die Gäste-Fans lautstark. Die Reaktion im Rund: Schweigen. 

Mit dem Genickbruch startet die Party

Ironischerweise startet die Abschiedsparty erst mit dem Genickbruch – dem 3:1 kurz vor Schluss. Ab jetzt dröhnt es die restlichen Minuten bis zum Schlusspfiff aus fast 40'000 Kehlen:  

«Steven Gerrard is our captain. Steven Gerrard is a red. Steven Gerrard plays for Liverpool, he is a scouser born and bred.»
Die Mitspieler zollen Gerrard Tribut. Und wir fragen: Naaa, von welchem Mitspieler sind wohl die beiden Nummern 2 die Kinder? (Nein, David Luiz spielt beim PSG. Aber die Haare verraten den Daddy trotz ...
Die Mitspieler zollen Gerrard Tribut. Und wir fragen: Naaa, von welchem Mitspieler sind wohl die beiden Nummern 2 die Kinder? (Nein, David Luiz spielt beim PSG. Aber die Haare verraten den Daddy trotzdem)Bild: Carl Recine/REUTERS

In seinem 2012 publizierten Buch «My Liverpool Story» schrieb er, es sei das Grösste für ihn, wenn die Fans seinen Namen rufen: «Beim ersten Mal haute es mich fast um.» Dabei sei er doch nur «der Junge aus der Region, der beim Fussball 100 Prozent geben will», wie er im Matchprogramm zu seinem Abschiedsspiel erklärt. Auch jetzt macht er das wieder. Beim Stand von 1:2 vergibt er zweimal aus ziemlich guter Position, einmal spitzelt er mit letztem Einsatz Jordan Henderson den Ball im Strafraum zu, einmal grätscht er das Leder im Sechzehner zurück. 

Das Abschiedsspiel als Spiegelbild der Karriere

Es gibt Applaus, aber irgendwie ist dieser Tag etwas typisch für die Karriere von Gerrard. Es ist zwar alles super und er erreicht mehr, als dass sich die meisten Fussballer je erträumen könnten. Doch das i-Tüpfelchen fehlt. In der Karriere ist es der englische Meistertitel oder die Chance, seine Laufbahn mit dem FA-Cup-Final an seinem 35. Geburtstag zu krönen. Beim Abschiedsspiel vom Heimpublikum fehlt der Sieg und ein persönliches Tor. Man hätte es ihm so gewünscht, dass er noch einmal unnachahmlich aus 25 Metern den Ball ins Tor drischt, einen Freistoss verwandelt, einen Kopfball versenkt oder doch wenigstens einen letzten Elfmeter verwertet. Es soll nicht sein.

Trotzdem wird Stevie G. nach dem Schlusspfiff auf der Ehrenrunde ausgiebig gefeiert. Tränen fliessen bei ihm nicht, doch bei so manchem Zuschauer, als er sagt: «Ich bin am Boden zerstört, dass ich hier nie mehr für Liverpool spielen kann.» 17 Jahre lang blieb er dem Verein, seinem Verein, treu: «Als ich das erste Mal hier spielen durfte, ging für mich ein Traum in Erfüllung. Alles was danach kam, war wie ein Bonus.» 

Die besten Szenen des Abschiedspiels.YouTube/max ever

Dieser endet um Punkt 20.01 Uhr Lokalzeit über eine Stunde nach Spielschluss, als Gerrard sich nach unzähligen Fotos in die Katakomben aufmacht und den Anfield-Rasen ein letztes Mal verlässt. Noch stehen Hunderte Fans um den Spielereingang, einer wirft ihm seinen Schal zu, als ob er ihm sagen wollte: «Ohne dich ist Liverpool nichts mehr wert.»

Steven Gerrard verlässt als Liverpool-Spieler letztmals den Anfield-Rasen.YouTube/Reto Fehr

Steven Gerrard mit einem Wort beschreiben?

Vielleicht ist es aber auch genau anders herum. Denn Steven Gerrard ist Liverpool. Trainer Brendan Rodgers schreibt im Matchprogramm, dass ihm die Frage, ob er Gerrard in einem Wort beschreiben könnte, immer wieder gestellt werde. Und nach langem Überlegen sei er zum Schluss gekommen, dass nur ein Wort passt: Liverpool.

Aus dem von Houllier genannten «schönen Artikel, der noch nicht fertig geschrieben ist», wurde viel mehr. Es wurde ein dickes Buch. Ein packender Thriller mit Hochs und Tiefs. Eine Liebesgeschichte. Eine Ode an einen Verein. ein Standardwerk in Sachen Treue und Hingabe. Und Gerrard erklärt selbst: «Ich werde in irgendeiner Form zum Verein zurückkehren.» Viele hoffen als Trainer. Wir freuen uns auf Fortsetzung. Irgendwann. 

Steven Gerrards Abschied

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6 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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's all good, man!
17.05.2015 13:11registriert September 2014
Ein ganz Grosser, dieser Gerrard. Bin zwar Sympathisant von Man Utd, aber da muss man auch mal einem Spieler vom Erzrivalen applaudieren können. Für Fussballromantiker natürlich ein Traum, mit welcher Hingabe und Treue er 17 lange Jahre alles für seinen Verein gegeben hat. Ich ziehe meinen Hut.
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Mcd27
17.05.2015 14:10registriert Mai 2015
Ich bin Chelsea Fan, aber ich finde er ist die grösste Legende von England. So viele andere Teams wollten Ihn haben, aber er hat immer abgelehnt und ist Liverpool treu geblieben. Vor allem auch in den schlechten Zeiten bei Liverpool ist er der Mannschaft treu geblieben und hat sie nicht verlassen. So muss ein Captain sein!grosses Respekt!
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