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«Das Auto der Zukunft wird eine Mischung aus Büro und Wohnzimmer sein»

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Die Zukunft hat begonnen: Dirk Helbing sieht die intelligenten Maschinen nicht als Bedrohung für den Menschen, sondern als grosse Chance. Bild: tumblr/shantrising
Interview

«Das Auto der Zukunft wird eine Mischung aus Büro und Wohnzimmer sein»

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Autos können heute selbstständig parkieren, korrigieren Fahrfehler und treten notfalls sogar auf die Bremse. Das sei erst der Anfang, sagt ETH-Professor Dirk Helbing. Wir erleben einen technischen Innovationsschub, der unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft umkrempelt, uns aber letztlich ein besseres Leben bescheren wird. 
20.05.2015, 10:5303.01.2017, 15:43

BMW wirbt mit dem Slogan «Freude am Fahren». Wird damit nicht bald einmal Schluss sein?
Mindestens ein Jahrzehnt lang werden wir noch entscheiden können, wann wir unser Auto selber steuern, vor allem im komplizierten Stadtverkehr. Irgendwann aber werden Algorithmen Autos sicherer als Menschen fahren. 

Immerhin können Autos schon selbstständig parkieren, die Spur halten und gar bremsen, wenn der Fahrer unachtsam sein sollte. 
Ich habe vor zehn Jahren in Zusammenarbeit mit VW selbst solche Programme entwickelt, auch Algorithmen, die im Stadtverkehr und auf der Autobahn getestet wurden. Es ist erstaunlich, wie natürlich und zuverlässig sich diese Autos verhalten. Wir haben auch Systeme entwickelt, die nicht nur das Fahrverhalten des Menschen imitieren, sondern auch untereinander kommunizieren, so den Verkehrsfluss stabilisieren und Staus reduzieren. Mit technischen Mitteln, beispielsweise Radarsensoren und Fahrerassistenzsystemen, kann man den Abstand und die Geschwindigkeitsdifferenz der Fahrzeuge automatisch regulieren, ein wichtiges Hilfsmittel, um Staus zu vermeiden. Aber Menschen hatten noch die bessere Übersicht, etwa bei Spurwechsel und ähnlich komplizierten Situationen. 

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Gehören Staus bald der Vergangenheit an?gif: giphy

Wie hat sich das entwickelt?
Anfänglich wurden vor allem zentralistische Telematik-Systeme eingesetzt, um den Verkehr zu stabilisieren. Sie haben eine Verbesserung gebracht, doch ihre Möglichkeiten waren beschränkt. Jetzt geht der Trend hin zu dezentralen Systemen, also beispielsweise Interaktionen von Fahrzeug zu Fahrzeug. Das wird auch den Stadtverkehr deutlich verändern. 

Was hat man sich konkret darunter vorzustellen?
Früher haben die Ampeln die Verkehrsströme gesteuert, heute geht es in die umgekehrte Richtung: Die Verkehrsströme steuern die Ampeln. Das wird die Nutzung der Kreuzungskapazität deutlich erhöhen. In einer Studie zusammen mit dem MIT sind wir sogar daran zu erforschen, wie man Ampeln gänzlich abschaffen und sie durch koordiniertes Fahren zwischen den Fahrzeugen ersetzen kann. 

Ampeln, vielleicht auch schon bald nicht mehr nötig.
Ampeln, vielleicht auch schon bald nicht mehr nötig.bild: tumblr/timothygrundy
«Moderne Fahrzeuge können einander wahrnehmen und können sogar gemeinsam Beschlüsse fassen.» 

Wie geschieht diese Koordination?
Wir werden bald das «Internet der Dinge» haben, will heissen: Immer mehr Geräte werden mit Sensoren ausgerüstet, können miteinander kommunizieren und bekommen so immer mehr lebensähnliche Eigenschaften. Moderne Fahrzeuge können einander wahrnehmen und können sogar gemeinsam Beschlüsse fassen. Wir kommen zunehmend in eine Situation, in der künstliche und menschliche Intelligenz in einem Netzwerk zusammenarbeiten.

Und wo bleibt da die Freude am Fahren? Wird sie nicht ersetzt durch – um einen anderen Werbeslogan zu zitieren – den Vorsprung durch Technik?
Es hängt davon ab, woran Sie Freude haben. Wir haben dann mehr Zeit, uns mit anderen Dingen zu beschäftigen. Anstatt die Gänge zu schalten und aufs Gaspedal zu drücken, können wir unsere E-Mails erledigen oder uns mit den Beifahrern unterhalten. Sie kennen ja das alte Drama: Man fährt mit der Familien in die Ferien. Die Kinder sind genervt, die Eltern gestresst. Das kann in Zukunft ganz anders sein. Das Auto fährt selbstständig, und die Familie stimmt sich auf den Urlaub ein, mit gemeinsamen Spielen oder Videos etc. 

Kein Stress mehr im Auto: Spielen ist angesagt.
Kein Stress mehr im Auto: Spielen ist angesagt.bild: bestdriverlesscar

Freuen Sie sich auf diese Art von Auto?
Oh ja. Ich frage mich schon lange: Wann kriege ich endlich ein Fahrzeug mit einem Schreibtisch, in dem ich anständig arbeiten kann? Das wird die Zukunft des Automobils sein: eine Mischung aus Büro und Wohnzimmer.

Wird das Auto auch ohne Passagiere unterwegs sein?
Warum nicht? Das Auto wird selbstständig Aufträge erledigen können. Ich kann mein Auto zum Supermarkt schicken, wo es mit den Dingen beladen wird, die ich zuvor mit meinem Laptop bestellt habe oder die mein Kühlschrank direkt angefordert hat. Vielleicht bringt es auch gleich die Bestellungen meiner Nachbarn mit, damit das Ganze ökologisch Sinn macht. Auf diese Weise wird sich Mobilität dramatisch verändern.

«Wir können Dinge nicht herumstehen lassen, sondern sollten sie nur dann nutzen, wenn wir sie auch brauchen.»

Sie sagen «mein Auto». Brauchen wir überhaupt noch ein persönliches Auto, oder werden wir es mit anderen teilen?
Die materiellen Ressourcen sind begrenzt. Wenn wir immer mehr Menschen auf dem Planeten haben und alle einen immer höheren Lebensstandard wünschen, dann müssen wir uns etwas einfallen lassen. Wir können Dinge nicht herumstehen lassen, sondern sollten sie nur dann nutzen, wenn wir sie auch brauchen. 

«Als Statussymbol ist das Auto ein Auslaufmodell.»

Mit anderen Worten: Die Sharing Economy ist weder Idealismus noch ein Schlagwort, sie wird zu einer Notwendigkeit?
Je mehr Menschen die begrenzten Ressourcen unseres Planeten benutzen wollen, desto schneller müssen sie die Hand wechseln. Seit der Finanzkrise wird vielen Menschen bewusst, dass sie sich nicht mehr alles selber leisten können. Die Sharing Economy war das innovative Resultat. 

Dirk Helbing.
Dirk Helbing.
Zur Person
Dirk Helbing ist Professor für Computational Social Science am Department Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften sowie assoziiertes Mitglied des Computer Science Departments der ETH Zürich. Internationale Bekanntheit erwarb er mit seinen Arbeiten zu Fussgängermengen und Massenpaniken, Strassenverkehr und Computermodellen sozialer Prozesse. Er koordiniert die FuturICT-Initiative, die sich auf das Verständnis techno-sozio-ökonomischer Systeme und der digitalen Gesellschaft konzentriert. 

Ein Auto, das 90 Prozent der Zeit in der Garage steht, macht so keinen Sinn mehr?
Als Statussymbol ist das Auto ein Auslaufmodell. Die modernen Informationsplattformen schaffen die Voraussetzungen für eine Sharing Economy und damit auch für eine umweltfreundliche Wirtschaft. All die Appelle, weniger Auto zu fahren oder nicht in die Ferien zu fliegen, sind mehr oder weniger nutzlos verpufft. Aber plötzlich ist eine Sharing Economy entstanden, und ohne dass es weh tut, ist nebenbei eine nachhaltigere Wirtschaft entstanden. 

Die Industrie dürfte weniger Freude an dieser Entwicklung haben.
Wahrscheinlich ja, wir müssen uns rechtzeitig darauf einstellen. Es wird weniger Autos, Waschmaschinen, Bohrmaschinen etc. brauchen. Dank der Sharing Economy werden wir den Lebensstandard jedoch trotz begrenzter Ressourcen auf breiter Basis nochmals erhöhen können. Das produziert dann neue Wirtschaftssparten. 

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Lieber so, als wenn das Auto einfach nur blöd rumsteht.bild: pinterest

Und was ist mit den Arbeitsplätzen?
Machen wir uns nichts vor: Viele unserer klassischen Arbeitsplätze werden verloren gehen. Man rechnet, dass in den nächsten 10 bis 20 Jahren etwa die Hälfte verschwinden wird. Aber es wird weiterhin Arbeitsplätze brauchen. Die Menschen müssen ja auch in Zukunft Geld verdienen, das sie dann wieder ausgeben können. Allerdings werden wir nicht nur passive Konsumenten sein. «Ko-Kreation», gemeinsam personalisierte Produkte mit Unternehmen zu gestalten, wird in Zukunft sehr wichtig werden. 

Bildstrecke: Das sind die ersten selbstfahrenden Autos

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Das sind die ersten selbstfahrenden Autos
Das erste selbstfahrende Auto in der Schweiz: Seit Mai 2015 fährt ein VW Passat der Swisscom und der Freien Universität Berlin zu Testzwecken durch Zürich.
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Wo werden die neuen Arbeitsplätze entstehen?
Vor allem im kreativen Sektor. Kreativität wird in Zukunft im Zentrum unseres Wirkens stehen. Das wiederum wird dazu führen, dass unsere Wirtschaft immer vielfältiger, komplexer und differenzierter wird. Um diese Wirtschaft auch noch lenken und organisieren zu können, werden wir die Hilfe von digitalen Assistenten brauchen. Sie erkunden für uns, mit wem wir uns wie engagieren können, sodass dabei ein Mehrwert entsteht. 

«Kreativität wird in Zukunft im Zentrum unseres Wirkens stehen.»
«Kreativität wird in Zukunft im Zentrum unseres Wirkens stehen.»bild: tumblr/the-real-eye-to-see

Heisst das, dass wir ohne intelligente Maschinen verloren sein werden?
Intelligente Maschinen werden uns völlig neue Dinge ermöglichen, auch im interkulturellen Austausch. Multikulturalität hat uns bisher grosse Probleme bereitet. Das wird sich ändern. Es gibt bereits Apps, die in Echtzeit übersetzen. Ich spreche auf Deutsch in mein Smartphone, und heraus kommt eine Übersetzung auf Chinesisch oder Spanisch oder was Sie wünschen. Auch anderer interkultureller Austausch wird auf diese Art und Weise einfacher werden.

Keine sprachlichen Missverständnisse mehr!
Keine sprachlichen Missverständnisse mehr!bild: gamona
«Es schlägt wieder die Stunde der Tüftler und Erfinder, der Edisons, Teslas und Daniel Düsentriebs.»

Nochmals zurück zum Verkehr: Heute spricht man bereits von TaxiBots, führerlosen Taxis, die mich abholen und am gewünschten Ort absetzen. Ist das realistisch?
Ich denke schon. Was ist mit den juristischen Problemen, etwa wenn mein TaxiBot einen Unfall verursacht? Ich habe kürzlich an einem Workshop teilgenommen und habe den Eindruck gewonnen, dass man sich dazu schon fundierte und umfassende Gedanken gemacht hat. Deshalb glaube ich, dass wir bald zu sachdienlichen Gesetzen kommen werden. Dazu kommt, dass wir die Anzahl der Unfälle nochmals deutlich senken werden können. 

Zero Unfälle dank künstlicher Intelligenz? 
Es gibt keine Garantie. «Intelligente Maschinen sind auch nur Menschen», hätte ich beinahe gesagt. Aber das Auto wird sicherer, effizienter und bequemer. Endlich, ist man versucht zu sagen: Rund 100 Jahre hat sich ja erstaunlich wenig verändert. Autos haben immer noch vier Räder und ein Lenkrad. Wo blieb da die Innovation? Jetzt endlich erleben wir fundamentale Innovationen. Es schlägt wieder die Stunde der Tüftler und Erfinder, der Edisons, Teslas und Daniel Düsentriebs. In der digitalen Gesellschaft werden wieder grosse Würfe möglich.

Vielleicht werden die intelligenten Maschinen unsere künftigen Helferlein sein.
Vielleicht werden die intelligenten Maschinen unsere künftigen Helferlein sein.bild: antenne

Was Sie grosse Würfe nennen, sehen viele Menschen als Bedrohung.
Sicher können wir schwere Fehler machen, wenn wir nicht gut aufpassen, aber unter dem Strich gibt es viel mehr Chancen. Wir erleben, wie allmählich ein weltweites Netz von menschlicher und künstlicher Intelligenz entsteht. Wir werden in Zukunft auch immer mehr Zeit in virtuellen Welten verbringen.

Und so das Verkehrsproblem quasi automatisch lösen?
Man kann sich tatsächlich fragen: Müssen wir überhaupt so viel herumreisen, um etwas Bestimmtes zu erleben? An den bekannten Touristenorten tritt man sich gegenseitig auf die Füsse, alle Menschen sind genervt, es ist eng und laut – und teuer ohnehin. Könnten wir uns die Welt nicht nach Hause holen? Es wird bald möglich sein, dass Miniroboter einen Raum multifunktional umgestalten, und das mehrmals am Tag. Die Wände werden riesige Displays, auf denen die schönsten Orte der Welt realitätsgerecht abgebildet werden. 

Was hat man sich konkret vorzustellen?
Wir könnten morgens das Gefühl haben, uns am Meer zu befinden. Mittag verbringen wir dann auf der Akropolis, ohne 40 Grad Hitze. Am Abend versetzen wir uns in eine Bar in Manhattan, zusammen mit Avataren von Freunden, die sich zur gleichen Zeit in Singapur und Tokio befinden. 

Aber machen zwei Finger am Bildschirm schon Ferien?
Aber machen zwei Finger am Bildschirm schon Ferien?bild: instagramal

Das tönt nun schon ein wenig phantastisch.
Aber all diese Dinge werden irgendwann kommen, davon bin ich überzeugt. Auch die Nutzung der Städte wird sich dramatisch ändern. Die klassische Trennung von Wohnen und Schlafen wird verschwinden. Pendeln ist nicht gut für unsere Gesundheit und auch nicht gut für die Umwelt. Die Frage wird sich stellen: Brauchen wir überhaupt noch so viele Büros? Werden wir in Zukunft nicht Multifunktions-Räume haben, die wir ganz unterschiedlich nutzen? Auch diesbezüglich kann man nur sagen: Endlich! 

Nochmals: Das tönt nach Science Fiction.
Vieles, das noch vor kurzem als Science Fiction galt, ist heute Realität. Nicht nur die Wirtschaft, auch die Gesellschaft wird sich grundlegend verändern. Daher wäre es sinnvoll, wenn wir jetzt schon Raum für innovative Experimente schaffen, in denen wir die Zukunft ausprobieren können. 

(Gestaltung: Anna Rothenfluh)

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