«Freiheit» steht in Grossbuchstaben auf dem Brief, den viele Besitzerinnen und Besitzer eines Halbtax-Abos dieser Tage erhalten. Der ÖV-Branchenverband Alliance Swisspass wirbt darin für den Kauf eines Generalabos (GA), mit dem man «jederzeit flexibel unterwegs» sei.
Um möglichst viele von einem Wechsel zu überzeugen, lockt die Branche mit Vergünstigungen: Die angeschriebenen Halbtax-Besitzer erhalten 850 Franken Rabatt auf ein GA der 1. Klasse und 500 Franken auf ein GA der 2. Klasse. Die Gutscheine sind gültig bis am 28. April. Unterzeichnet ist der Brief von der Alliance Swisspass und den SBB.
Insgesamt wurden 130'000 Besitzerinnen und Besitzer eines ungekündigten Halbtax-Abos angeschrieben, wie Nadine Bachmann sagt, Sprecherin der Alliance Swisspass, der Organisation, die für die Tarife im ÖV zuständig ist. Ende 2021 waren etwa 2,8 Millionen Halbtax-Abos im Umlauf.
Nach welchen Kriterien die Empfänger ausgewählt wurden, ist geheim. Es sind laut Bachmann Menschen aus allen Sprachregionen angeschrieben worden und solche, «von denen wir aufgrund diverser demografischer und konsumgebundener Informationen annehmen, dass sie Interesse an einer Weiterentwicklung von einem Halbtax-Abo zu einem GA haben.»
Es ist nicht das erste Mal, dass die Branche auf Rabatt-Aktionen setzt. Anfang Jahr lockte sie etwa Menschen, die ihr GA gekündigt hatten, mit Preisnachlässen zurück. Das berichtete der «Blick».
Damit verärgert sie treue Kundinnen und Kunden, die ein GA seit Jahren ununterbrochen besitzen und keine Rabatte erhalten. Das stösst auch der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) sauer auf, wie Geschäftsleiterin Sara Stalder sagt. Störend sei die Intransparenz diverser Aktionen: «Der ÖV ist eine Service-Public-Leistung, die für alle Personen zu gleichen Konditionen zugänglich sein sollte.»
Solche Upgrade-Aktionen widersprächen diesem Gedanken. «Damit werden sehr viele und auch treue Fahrgäste benachteiligt, was sehr stossend und zudem ungerecht und – als Tüpfli auf dem i – intransparent ist.» Die SKS moniere diese «ungerechtfertigte Ungleichbehandlung». Das tue sie auch bei Privatanbietern wie Telekomfirmen. Aber: «Wenn dieses Anwerbesystem vom Monopolisten und Staatsbetrieb SBB übernommen wird, ist das doppelt stossend, denn ein Ausweichen gibt es nicht, falls man sich ungerecht behandelt fühlt.»
Selbst Ueli Stückelberger, der Direktor des Verbands öffentlicher Verkehr (VöV), äussert Kritik: «Ich bin der Meinung, dass die bestehenden GA-Kundinnen und -Kunden etwas mehr Wertschätzung verdient hätten», sagte er kürzlich dem «Tages-Anzeiger».
Die Alliance Swisspass sieht das anders. Der Rabatt sei einmalig. Im Folgejahr müsse der reguläre GA-Preis bezahlt werden, verteidigt Sprecherin Bachmann die Aktion. Bestehende GA-Kundinnen und -Kunden erhielten zudem Mitfahrtageskarten. Und: Solche Kampagnen seien in vielen Branchen und Unternehmen gang und gäbe.
Während allerdings Telekomfirmen oft auch bestehenden Kundinnen und Kunden Rabatte gewähren, wenn diese insistieren, ist dies beim ÖV nicht der Fall. Die Rabatt-Bons sind personalisiert und dürfen nicht verkauft oder verschenkt werden.
Bei anderen Rabatt-Aktionen hingegen hat die Branche weniger Kontrolle. So erhalten etwa Menschen, die umziehen und bei der Post einen Nachsendeauftrag erteilt haben, automatisch ein Gutscheinheft, in dem Rabatte für das GA enthalten sind. Für ein 2.-Klasse-GA gibt es 200 Franken Ermässigung, für ein 1.-Klasse-GA 250 Franken.
Der Verkauf dieser Bons ist eigentlich verboten. Da sie nicht personalisiert sind, lässt er sich kaum verhindern. Auf Onlineportalen wie Tutti oder Ricardo werden solche Gutscheine täglich versteigert. Die Alliance Swisspass teilt mit, das sei «nicht in ihrem Sinn».
Immerhin: Auch dank Rabatten dürfte die Zahl der GA wohl bald das Niveau vor der Coronakrise erreichen. Im Jahr 2019 waren erstmals 500'000 Stück im Umlauf. Diese Zahl sank auf 406'000 per Ende 2021. Ende letzten Jahres lag sie wieder bei 431'000. Dass sich die Branche so stark um neue GA-Kundschaft bemüht, zeigt auch: Entgegen aller von Branchenvertretern immer wieder gemachten Beteuerungen, das GA sei zu billig, ist es kommerziell nach wie vor eine wichtige Stütze.