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«Das ist schlicht falsch»: So kontern die SBB die Spionagevorwürfe

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«Das ist schlicht und einfach falsch»: So kontern die SBB die Spionagevorwürfe

Wollen die SBB ihre Kundschaft in den Bahnhöfen künftig auf Schritt und Tritt überwachen? Der zuständige Bewirtschaftungschef Alexis Leuthold wehrt sich im Interview gegen die Vorwürfe – und verteidigt die Kommerzialisierung der Bahnhöfe.
22.02.2023, 13:0928.03.2024, 14:08
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Die SBB wollen in 57 Bahnhöfen Videokameras mit Gesichtserfassung installieren, um das Kaufverhalten auszuwerten und die Einnahmen zu erhöhen. Das berichtete vergangene Woche der «K-Tipp». In weiteren Medienberichten war die Rede von einer Verknüpfung dieser Daten mit dem Swisspass. SBB-Bewirtschaftungschef Alexis Leuthold dementiert.

Alexis Leuthold
SBB-Bewirtschaftungschef Alexis Leuthold.Bild: SBB Immobilien

Die SBB wollen Kameras zur Gesichtserkennung installieren, hiess es in verschiedenen Medien von «Blick» bis SRF. Warum?
Alexis Leuthold: Das ist schlicht und einfach falsch. Wir möchten keine Gesichtserkennung einführen, und wir haben kein Interesse an Personendaten, geschweige denn an biometrischen Daten. Wir wollen keine Personen identifizieren und auch keine Daten mit dem Swisspass verknüpfen. Wir haben kein System ausgeschrieben, das diese Dinge kann.

Was wollen Sie denn?
Wir wollen Personenströme besser erfassen. Zwar tun wir das schon heute. Künftig möchten wir aber genauer wissen, wo Kundinnen und Kunden durchlaufen und wo sie sich aufhalten.

Wofür brauchen Sie diese Daten?
Es gibt verschiedene Anwendungsfälle. Wenn wir etwa eine grosse Ansammlung von Personen sehen, können wir schnell intervenieren und Sicherheitsdienste aufbieten. Zudem können wir das Angebot anpassen. Wo die Kundinnen und Kunden schnell durchlaufen, braucht es einen Take-away-Stand, wo sie länger Zeit haben, vielleicht ein Restaurant. Dann soll das System uns zeigen, wo beispielsweise viele Skifahrer oder Menschen mit Kindern durchlaufen. So können wir dort Rampen oder Lifte installieren.

Geht es beim neuen System nicht einfach darum, den Umsatz in den Läden zu steigern?
Es geht darum, das richtige Konzept am passenden Ort zu bieten. Natürlich können uns diese Daten auch bei der Auswahl der Mieter helfen. Wir wollen das Angebot in den Bahnhöfen auf die Kundinnen und Kunden ausrichten. Wenn das stimmt, stimmt auch der Umsatz.

Die Frage ist doch: Wozu muss ein solches System Geschlecht, Altersklasse und Grösse erkennen?
Es hilft uns, das Angebot zu optimieren, wenn wir wissen, wo sich etwa viele Kinder oder ältere Menschen aufhalten. Eine solche Segmentierung hilft nicht nur in kommerziellen Fragen, sondern auch bei der erwähnten Umsetzung von Liften oder Rampen. Die Erkennung der Altersklasse und des Geschlechts ist aber als optional gekennzeichnet. Wenn wir sehen, dass sich das technologisch nicht in Einklang mit dem Datenschutz umsetzen lässt, verzichten wir darauf. Nochmals: Wir wollen niemanden identifizieren. Es interessiert uns nicht, wer Passant Nummer 7 im Bahnhof ist.

Wie sollen das Alter und das Geschlecht erkannt werden, wenn nicht durch eine Gesichtserfassung?
Die Technologie kennen wir noch nicht. Das wissen wir erst, wenn interessierte Firmen ein Angebot eingereicht haben. Wir wissen aber, dass es Systeme gibt, die etwa mithilfe von Sensoren Bewegungsmuster und Körpergrössen erkennen und über eine künstliche Intelligenz rein mit statistischen Methoden das Geschlecht und das Alter schätzen. Solchen Systemen ist es gar nicht möglich, Personen zu identifizieren. 3D-Sensoren filmen beispielsweise keine Gesichter erkenntlich.

Passagiere und Pendler im Hauptbahnhof Zürich: rund 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung besitzt ein GA oder Halbtax. (Archivbild)
Wohin des Weges? Passagiere am Hauptbahnhof in Zürich.Bild: KEYSTONE

Bereits heute setzen die SBB auf solche 3D-Sensoren für Frequenzmessungen. Wieso werden nicht einfach diese weitergenutzt?
Im Idealfall – und das steht so auch in der Ausschreibung – nutzen Firmen die bereits bestehende Technologie weiter. Es kann aber auch sein, dass es eine neue Technologie braucht. Der Nachteil der heutigen Sensoren ist, dass ihr Feld recht eingeschränkt ist und dass es deshalb für grössere Bahnhöfe sehr viele von ihnen braucht. Mir ist aber noch etwas anderes wichtig.

Bitte.
Die ganze Ausschreibung steht unter der Prämisse, dass der Datenschutz eingehalten wird und dass wir keine Personen identifizieren wollen. Das ist die Grundvoraussetzung, die wir schriftlich festgehalten haben. Wir haben deshalb auch den Eidgenössischen Datenschützer im Vorfeld beigezogen.

Im «K-Tipp» hiess es, dieser hätte wegen des Artikels des «K-Tipps» überhaupt vom Projekt erfahren.
Das stimmt nicht. Dann wurde im Artikel auch behauptet, es sei nicht klar, dass der Datenschutz eingehalten würde, dabei ist das in der Ausschreibung als zwingende Voraussetzung festgeschrieben. Später gab es Medien, die von Gesichtserkennung schrieben, was mit keinem Wort in der Ausschreibung erwähnt ist und einfach falsch ist. Wir sind nicht daran interessiert, jemanden zu identifizieren. Wir wollen Personenströme erfassen. Natürlich ist die Diskussion, ob das erlaubt sein soll, legitim und man soll sie auch führen. Die Diskussion wird aktuell aber über etwas ganz anderes geführt: Nämlich über die Zulässigkeit von Gesichtserkennung und das Sammeln von biometrischen Daten. Darum geht es aber eben gerade nicht bei der Ausschreibung. Hier geht es nicht wie bei Google-Diensten oder der Cumulus-Karte darum, wer was einkauft, sondern nur darum, welche Wege Passanten in der Summe zurücklegen, damit wir diese optimieren können.

Misstrauisch stimmte viele auch, dass die SBB anbieten, die Technologie unter Putz zu installieren – also sozusagen versteckt. Warum?
Das hat rein ästhetische Gründe. Die Kabel in Büros sieht man auch nicht. Wir wollen unsere Bahnhöfe nicht mit Technik füllen, sondern möglichst elegante Lösungen. Auch die heutigen Sensoren sind diskret angebracht.

Die Ausschreibung beinhaltet auch einen Teil zu «in-store analytics», also der Datenerfassung in den Läden. Wieso?
Zunächst einmal: Die Installation der Technologie ist in den Läden standardmässig nicht vorgesehen, sondern optional und gegebenenfalls, wenn die Mieter das wollen. Da geht es aber nicht um Verknüpfungen von Personen mit Einkäufen oder Ähnliches, sondern um statistische Daten. Konkret: Wie viele Besucher laufen an einem Laden vorbei und wie viele treten ein? Wenn sehr viele Menschen an einem Laden vorbeilaufen und sein Angebot niemanden interessiert, ist er möglicherweise am falschen Ort. Mit diesen Messungen können wir ableiten, wo in den Bahnhöfen welche Konzepte sinnvollerweise eingesetzt werden. Solche Daten können auch Frühwarnsysteme für Ladenbetreiber sein, dass sie etwas ändern müssen. Aber sie helfen uns auch zu planen, wo es Bänke braucht oder freie Räume.

In den Ausschreibungsunterlagen ist von «Abschöpfungsrate» die Rede. Das tönt nicht nach Sitzbänken zum Verweilen.
Das ist ein unschönes Wort, aber der technische Begriff für den Vergleich zwischen Passantenströmen und Anzahl Personen, die in einem Laden einkaufen. Die Läden in den Bahnhöfen sind auch das Gesicht der SBB gegenüber den Kunden. Deshalb ist das richtige Angebot am richtigen Ort wichtig.

Selbst wenn die Technologie unbedenklich ist: Offenbar ist das Misstrauen gegenüber den SBB hoch. Die Kommerzialisierung der Bahnhöfe können sie nicht abstreiten. Jede noch so kleine Promotionsfläche wird vermietet, im Zürcher Hauptbahnhof darf jeder noch so dümmliche Event die Pendler beschallen. Braucht es eventuell ein Umdenken?
Im Vordergrund steht nicht die Maximierung des Umsatzes. Unsere Bahnhöfe sollen die Visitenkarte der SBB sein. Sie dürfen nicht vergessen: Diese Events, die Sie vielleicht stören, werden von anderen geliebt. Das machen wir nicht nur, um Geld zu verdienen. Viel eher sollen Bahnhöfe Destinationen werden. Die Leute sollen gerne dort verweilen. Mit solchen Anlässen sorgen wir für Emotionen. Den einen gefällt es, den anderen nicht.

In den vergangenen Tagen haben sich auch Politiker zu Wort gemeldet, die die SBB stoppen wollen. Haben Sie schon mit denen geredet?
Vereinzelt sind Fragen bei Politikern aufgetaucht. Wir beantworten diese selbstverständlich. Die meisten haben sich ja immer unter der Annahme geäussert, dass die SBB tatsächlich eine Gesichtserkennung planen. Das tun wir nicht. Leider war das eine sehr unglückliche Verkettung. Die Ausschreibungsunterlagen sind sehr technisch und bieten offensichtlich Raum für Missverständnisse und Fehlinterpretationen. Anschliessend wurden viele Fehlinformationen übernommen.

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58 Kommentare
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Maranothar
22.02.2023 14:44registriert Juni 2016
"Im Vordergrund steht nicht die Maximierung des Umsatzes."

Das kannst du dem Osterhasen erzählen.
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EinBisschenSenfDazu
22.02.2023 13:29registriert September 2022
"Viel eher sollen Bahnhöfe Destinationen werden. Die Leute sollen gerne dort verweilen."
Also ist das Ziel, Bahnhöfe zu touristischen Attraktionen zu machen? Bei den teilweise heillos überfüllten Korridoren sollen die Leute dann auch gerne noch verweilen? Ich weiss nicht wie das andere sehen, aber ich persönlich bin froh um jede Minute, welche ich nicht an einem Bahnhof verbringen muss. Für mich sind ÖV-Knoten wie Bahnhöfe klar funktional. Nicht mehr, nicht weniger.
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Statler
22.02.2023 13:36registriert März 2014
«Viel eher sollen Bahnhöfe Destinationen werden. Die Leute sollen gerne dort verweilen.»
Das Wesen eines Bahnhofs ist, dass es ein temporärer Ort ist. Ich will an einem Bahnhof immer nur möglichst kurz verweilen. Er ist nie das Ziel. Und das geht glaub' ich den meisten Menschen so.
Wenn man die Menschen jetzt dazu bringt, dass sie für irgendwelche Events oder sonstwas am Bahnhof sind, wir das zwangsläufig dazu führen, dass er ineffizienter für die wird, die ihn für den eigentlichen Zweck benutzen. Plakativ: um auf's Gleis zu gelangen muss man sich zuerst an 5 Marktständen vorbeikämpfen.
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