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Milliarden-Auftrag: SBB kaufen über 120 Züge

Milliarden-Auftrag: SBB kaufen über 120 Züge

Die SBB schreiben einen der grössten Aufträge ihrer Geschichte aus: Vor allem für die Zürcher S-Bahn, aber allenfalls auch für den Fernverkehr kaufen sie neue Züge. Der deutsche Hersteller Siemens übt schon jetzt Kritik an Vergaben der Bahn.
10.02.2023, 19:20
Stefan Ehrbar / ch media
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Die SBB bereiten eine der grössten Beschaffungen ihrer Geschichte vor: Hauptsächlich für die Zürcher S-Bahn wollen sie über 120 neue Züge beschaffen. Sie sollen die Doppelstockzüge der ersten Generation, die sogenannten DPZ und die älteren Doppelstockzüge, die in Stosszeiten zum Einsatz kommen, ersetzen. Das zeigt ein Schreiben der SBB an potenzielle Hersteller, das auf der Ausschreibungsplattform Simap veröffentlicht wurde.

ZUR BILANZMEDIENKONFERENZ DER SBB, AM DONNERSTAG, 26. MAERZ 2015, STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES ARCHIVBILD ZUR VERFUEGUNG - Officers of the Swiss Federal Railways transport police at Zurich Main Station ...
Bei der SBB werden bald neue Züge im Einsatz sein.Bild: KEYSTONE

Davon sind heute 113 respektive 9 Kompositionen unterwegs. Anfang der 2030er-Jahre sollen sie von den neuen Modellen abgelöst werden. Damit sind auch Angebotserweiterungen vorgesehen, wie SBB-Sprecher Oli Dischoe sagt. Die älteren Doppelstockzüge hätten dann das Ende ihrer Lebensdauer erreicht. Zudem müssten Züge beschafft werden, um die künftig geplanten Angebote im Netz der Zürcher S-Bahn sicherzustellen.

Ob mehr als nur die 122 bestehenden Züge ersetzt werden, ist noch nicht klar. Die genaue Anzahl der Fahrzeuge wollen die SBB im Rahmen der Ausschreibung bekannt geben. Noch unklar ist auch, wie gross das Investitionsvolumen ausfällt. Eine Grössenordnung lässt sich aber abschätzen: 2008 bezahlten die SBB für 50 Doppelstockzüge für die Zürcher S-Bahn des Herstellers Stadler gut eine Milliarde Franken, für 60 weitere Doppelstockzüge für S-Bahn- und Interregio-Verbindungen blätterten sie vor zwei Jahren 1.3 Milliarden Franken hin.

S-Bahnen im Fernverkehr

Der Auftrag dürfte damit ein Volumen von wohl weit über zwei Milliarden Franken haben und wäre damit einer der grössten, wenn nicht der grösste der Geschichte. Von einem Projekt mit einem «hohen Investitionsvolumen» spricht SBB-Sprecher Dischoe. Ob wieder Doppelstockzüge mit zwei Türen pro Seite und Wagen beschafft werden oder ob künftig mehr Türen verbaut werden sollen, um im dicht befahrenen Netz einen schnelleren Fahrgastwechsel zu ermöglichen, ist noch nicht entschieden.

Die neuen Züge könnten nicht nur auf S-Bahn-Strecken, sondern auch im Fernverkehr zum Einsatz kommen. Bei Bedarf sollen sie die beliebten einstöckigen Wagen des Typs Einheitswagen IV auf Interregio-Linien ersetzen und Angebotsausbauten sicherstellen, heisst es im SBB-Schreiben. Die Bahn würde damit bequeme Fernverkehrszüge auf längeren Strecken mit für den S-Bahn-Verkehr optimierten ersetzen. Sprich: Durch solche mit weniger Komfort und mehr Stehplätzen. Das taten sie schon in der Vergangenheit – und ärgerten damit Pendlerinnen und Pendler auf längeren Strecken.

Ob es dieses Mal so weit kommt, sei noch nicht entschieden, sagt SBB-Sprecher Dischoe. Man wolle sich diese Möglichkeit aber offenhalten. Die Bahn sei nämlich bestrebt, möglichst wenige verschiedene Fahrzeugtypen zu betreiben. Das leiste einen «wichtigen Beitrag zur Sicherstellung eines bezahlbaren öffentlichen Verkehrs». Mit anderen Worten: Die Beschaffung einer Flotte von S-Bahn-Zügen ist günstiger, auch dank einheitlicher Wartung. Immerhin verspricht Dischoe, dass Züge, die auch im Fernverkehr eingesetzt würden, eine schönere 1. Klasse und mehr WCs erhielten als die S-Bahn-Versionen.

Commuters wear face masks to curb the spread of COVID-19 as they get on a public train in Zurich on Tuesday, November 30, 2021. (KEYSTONE/Michael Buholzer)
Die Tage der DPZ genannten Doppelstockzüge sind gezählt.Bild: keystone

Grosses Interesse am Auftrag haben dürfte der Schweizer Bahnbauer Stadler Rail von Unternehmer Peter Spuhler. Dessen Regionalverkehrs-Doppelstockzüge sind bereits heute vor allem für die Zürcher S-Bahn unterwegs. Noch grösser war der Auftrag, den Stadler im Oktober 2021 an Land zog: Die SBB und Tochterunternehmen orderten für rund zwei Milliarden Franken 286 einstöckige Regionalverkehrszüge.

Dass sich Stadler bei den SBB so oft durchsetzt, ärgert die Konkurrenz. Im Gespräch mit der NZZ wünschte sich Gerd Scheller, der Schweiz-Chef des deutschen Industriekonzerns Siemens, kürzlich mehr Fairness. «Wenn die SBB nur noch als Stadler-Bundesbahnen wahrgenommen werden, wäre dies sehr schlecht für künftige Innovationen und Investitionen in der Schweizer Bahnindustrie.» Steuerzahler und Bahnkunden profitierten, wenn echte Konkurrenz um Aufträge herrsche.

Die SBB teilen gegenüber der Zeitung mit, sie legten stets grössten Wert auf die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben bei Beschaffungen, die unter das öffentliche Beschaffungsrecht fielen. Das sei bei der jüngsten Beschaffung der einstöckigen Züge sogar gerichtlich bestätigt worden. Tatsächlich hat das Bundesverwaltungsgericht eine Klage des unterlegenen Anbieters Alstom letztes Jahr abgewiesen.

Ob Siemens beim S-Bahn-Auftrag eine Chance gegen die heimische Konkurrenz hat, wird sich frühestens 2024 zeigen, wenn die eigentliche Ausschreibung gestartet werden soll. Eine Premiere wären deutsche Züge auf der S-Bahn Zürich nicht: Bereits die 61 Züge der zweiten Generation kommen vom Industrieriesen, der hierzulande knapp 6000 Mitarbeitende beschäftigt. (aargauerzeitung.ch)

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78 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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braunovic
10.02.2023 19:59registriert März 2017
die ach so arme Siemens... Früher hat die SBB fast nur Schweizer Rollmaterial beschafft! SIG, Schlieren Waggon Bau, FFA, MFO, BBC, Sécheron, SLM etc... zum Glück gibts die Stadler noch sonst wäre die Schweizer Bahnindustrie inexistent!
11112
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reich&schön
10.02.2023 19:42registriert Januar 2018
Höchst unerfreulich, dass die SBB die neuen S-Bahn-Züge auch im Fernverkehr einsetzen will.
Der Komfort nimmt seit den IC 2000-Doppelstockwagen nur noch ab.
Zuerst mit dem Einsatz von S-Bahn-Zügen für Interregios und dann mit den unsäglichen Bombardier-Schüttelzügen.
Und das in einer Zeit, wo die Autos immer komfortabler werden.
Sehr unkluge Rollmaterialpolitik der SBB.
9421
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Tokyo
10.02.2023 20:23registriert Juni 2021
die SBB ist zum Regionalverkehrsträger mutiert
Ich wünschte mir im Fernverkehr keine S-Bahn-Züge sondern echtes Fernverkehrs-Rollmaterial mit genügend Platz für Gepäck
8918
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