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Interview

Young Boys: Sportchef Christoph Spycher spricht über den eigenen Erfolg

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Sportchef Christoph Spycher jubelt nach dem Meistertitel mit den Young Boys mit dem Pokal.Bild: KEYSTONE
Interview

YB-Sportchef Spycher warnt: «In den letzten zwei Jahren haben wir überperformt»

Christoph Spycher hat bei YB die Quadratur des Kreises geschafft. Das Team ist günstiger, jünger und trotzdem erfolgreicher als früher.
14.07.2019, 20:45
françois schmid-bechtel/ ch media
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Kurze Hosen und Poloshirt – Freizeitlook. Aber Christoph Spycher, 41, seit bald drei Jahren Sportchef bei Meister YB, ist nicht der Typ Sunnyboy, der unbekümmert durchs Leben geht. Spycher war nie ein «Plagöri», sondern schon als Spieler ernsthaft und arbeitsam. Alles andere würde auch nicht zu seiner Biografie passen. Nie in einer Juniorennationalmannschaft gespielt, spät erst Profi geworden, weil er das Gymnasium abschliessen wollte. Er bestellt ein Chinotto und sagt: «Legen Sie los.»

Wann waren Sie letztmals emotional aufgewühlt?
Christoph Spycher: Berührt war ich vor wenigen Wochen, als mein älterer Sohn bei einem Schulkonzert mitgesungen hat. Es war wunderschön, sensationell. Fussballerisch war ich am letzten Spieltag emotional sehr berührt, als sich Steve von Bergen und andere Spieler verabschiedet haben.

Der Meistermacher
Bis 21 kickte Christoph Spycher eher hobbymässig in der 1. Liga . Daneben machte er die Matura. Es ist dem damaligen Luzern-Trainer Andy Egli zu verdanken, dass Spycher den Weg in den Profifussball (Luzern, GC, Frankfurt, YB) fand. Seit er im September 2016 den Job als Sportchef übernahm, befindet sich YB im Steigflug. Spycher ist verheiratet, hat zwei schulpflichtige Buben und wohnt in der Region Bern.

Sind Tränen geflossen?
Beim letzten Spiel hatte ich tatsächlich feuchte Augen.

Fussball reisst selbst die Hartgesottensten in den Strudel der Emotionen.
Ja, und manchmal ist das nicht erklärbar. Man erlebt alles in einer unglaublich intensiven Form. Das ist kaum vergleichbar mit dem normalen Leben.

Kann man nach dem zweiten Meistertitel in Folge von einer Wachablösung sprechen?
Der FC Basel hat in der Vergangenheit einen super Job gemacht und kam dadurch auch wirtschaftlich auf ein höheres Level. Natürlich hat uns die letzte Saison mit der Qualifikation für die Champions League geholfen, eine gute Planung für die mittelfristige Zukunft zu machen. Aber man kann nicht vergleichen. Der Weg in die Champions League ist beschwerlicher geworden. Deshalb können wir nicht sagen, wir schlagen nun den gleichen Weg ein wie damals der FCB. Wir gehen unseren YB-Weg weiter. Deshalb reden wir nicht von Wachablösung

«Dortmund bereut heute, Denis Zakaria nicht verpflichtet zu haben.»

Vor Monaten hätten Sie sich wohl zurückhaltender geäussert.
Man muss beachten: In den letzten zwei Jahren haben wir überperformt.

Sie haben kürzlich gesagt, Sie würden bedauern, dass sich kaum europäische Top-Klubs mit Super-League-Spielern beschäftigen würden. Ist es nicht logisch, dass Manchester City eher Spieler aus der 1.Bundesliga rekrutiert?
Klar, einen Wechsel von YB zu Manchester City erachte ich als unrealistisch. Aber mir ging es bei dieser Aussage weniger um die Top-Top-Klubs, sondern jene Klubs eine Stufe darunter. Ich weiss zum Beispiel, dass Dortmund heute bereut, Denis Zakaria (wechselte zu Mönchengladbach; die Red.) nicht verpflichtet zu haben. Es ist halt so, dass Sportchefs teilweise auch politisch agieren müssen. Insbesondere wenn sie unter Druck stehen. Dann fragen sie sich: Welche Angriffsfläche biete ich, wenn ich einen Spieler von YB verpflichte? Und dann holt man eben keinen Spieler von YB. Es kann jedenfalls nicht sein, dass YB-Spieler nur zu Klubs aus dem hinteren Drittel der Top-Ligen wechseln.

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Ex-YB-Spieler Denis Zakaria: Statt bei Borussia Dortmund «nur» bei Gladbach gelandet.Bild: EPA/EPA

Sie mussten sich lange gegen den Ruf des Discounters wehren.
Wobei uns der Wechsel von Zakaria schon geholfen hat. Zudem haben wir klar kommuniziert, dass wir nur Qualitätstransfers wollen. Wir haben keine Lust, jedes Jahr acht Spieler zu verlieren.

Das bedingt auch, dass der Spieler die Geduld aufbringt, bis es mit dem Qualitätstransfer klappt.
Das ist klar. Es gibt zwei Sachen: Der Spieler muss verstehen, wo er ist.

Wo ist er denn?
Spieler bei YB, einem Klub, wo er ein sehr professionelles Umfeld vorfindet, wo er wachsen kann, wo er vor einer grossen Kulisse spielen kann. Das ist nicht das Schlechteste. Die Realität im Ausland kann bisweilen ernüchternd sein. Und nicht jeder Auslandstransfer ist ein Gewinn für den Spieler. Zudem ist es auch für den Spieler ein Vorteil, wenn er einen Qualitätstransfer macht. Als Discount-Spieler wirst du vielleicht für zwei Millionen verpflichtet, dann wechselt der Trainer, und du bist auf dem Papier fast nichts mehr wert. Aber wenn ein Spieler wie Zakaria in Gladbach nicht mehr aufgestellt wird, hat der Trainer irgendwann ein Problem, weil das Investment schwer wiegt.

Bei zwei Millionen reden Sie von Discount-Transfer. Für wie viel Geld haben Sie 2005 von GC zu Frankfurt gewechselt?
(lacht) Nicht der Rede wert.

Weniger als zwei Millionen?
Sehr viel weniger. Ich habe eine sehr tiefe Ausstiegsklausel im Vertrag festschreiben lassen, weil ich bei GC wegen finanzieller Engpässe auf Geld verzichten musste.

Wie war es als billiger Schweizer in Frankfurt?
Ich war von Beginn weg als Stammspieler vorgesehen. Ausserdem wollte Frankfurt mich schon im Jahr zuvor verpflichten. Aber klar, ich musste mir das Standing erarbeiten. Es herrschte schon damals ein Verdrängungskampf. Einen Zusammenhalt und eine Herzlichkeit, wie wir das heute bei YB in der Kabine haben, gibt es in der Bundesliga kaum, weil dort die Ellbogen viel stärker ausgefahren werden.

«Ich weiss nicht, ob ich die nächsten 20 Jahre Sportchef sein will.»

Haben Sie als Spieler die Wertschätzung erhalten, die Sie verdienten?
Ich denke schon. Fast überall, wo ich gespielt habe, war ich entweder Captain oder Vize. Jeder Trainer hat schnell erkannt, wie wichtig ich für die Mannschaft sein kann. Eine meiner grössten Stärken war, dass ich die Spieler um mich herum stärker gemacht habe.

Trotzdem mussten Sie in der Nationalmannschaft immer wieder hintenanstehen.
Die Nationalmannschaft war häufig ein Wechselbad der Gefühle für mich. Es gibt immer Momente, in denen man sich ungerecht behandelt fühlt. Wenn man als Fussballer nicht damit umgehen kann, hat man verloren. Im Nationalteam sass ich zwar hin und wieder auf der Bank, aber im Klub habe ich immer gespielt.

ZUM KARRIERENENDE VON CHRISTOPH SPYCHER STELELN WIR IHNEN AM DONNERSTAG, 1. MAI 2014 FOLGENDES ARCHIVBILD ZUR VERFUEGUNG - Switzerland's Tranquillo Barnetta, left, and Christoph Spycher, right, c ...
Trotz Führungsqualitäten war Spycher in der Nati nicht immer erste Wahl.Bild: KEYSTONE

Haben Sie sich nach dem Rücktritt überlegt, ganz aus dem Fussball auszusteigen?
Ich war in der privilegierten Lage, dass ich nicht gleich wieder arbeiten musste, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Ich hab mich schwergetan. Habe mich auch damit auseinandergesetzt, an die Uni zu gehen und den Bachelor in Wirtschaft zu machen. Und dann kam ich zum Schluss: Das wäre eher ein Hinterherrennen nach einem Diplom. Also entschied ich mich für den unkonventionellen Weg.

Aber es gibt familienfreundlichere Jobs als jenen des Sportchefs.
Absolut. Ich weiss nicht, ob es das ist, was ich die nächsten 20 Jahre machen will.

Bald sind Schulferien, und Sie werden wegen Ihres Jobs nicht mit Ihrer Familie verreisen können.
Ich war die letzten zwei Jahre tatsächlich in den Sommerferien weg, musste jeweils aber zwischendurch mal beruflich nach Hause fliegen. Diesen Sommer versuche ich, mich immerhin für drei, vier Tage rauszunehmen. Klar, wenn meine Frau, mit der ich seit der Gymizeit zusammen bin, das nicht mittragen würde, ginge es nicht. Und für meine beiden Buben gibt es fast nichts Aufregenderes als ein YB-Heimspiel.

Nahm Ihre Frau am Frauenstreiktag teil?
Ja, sie war in der Stadt.

Sie benutzen keine Social Media – weil ihr Geltungsdrang nicht so stark ist?
Das Handy ist eh schon ein enger Begleiter. Da bin ich auch mal froh, einen Moment für mich zu geniessen. Und dann muss ich diesen Moment auch nicht mit der ganzen Welt, sondern nur mit den Menschen teilen, die bei mir sind.

Young Boys' Gerardo Seoane, left, and Christoph Spycher at the airport in Bern before the departure to Valencia for the UEFA Champions League group H matchday 4 soccer match between Spain's  ...
Starkes Duo bei den Young Boys: Trainer Gerardo Seoane (links) und Sportchef Christoph Spycher. Bild: KEYSTONE

Hätten Sie das Angebot als Nati-Manager angenommen, könnten Sie bedenkenlos mit Ihrer Familie einige Wochen Sommerurlaub machen.
Es war ein Entscheid für YB, für das super Team, das wir hier haben. Was nicht bedeutet, dass wir auf ewig auf der rosaroten Wolke schweben werden. Nein, es werden auch wieder schwierigere Phasen kommen. Aber ich will meine Arbeit bei YB weitermachen. Auch wenn mich das Nati-Angebot ehrte: Ich kann YB jetzt nicht verlassen.

«Dass Leute in Bern das Verliererimage kultiviert haben, hat mich wahnsinnig gestört.»

Präsident Hanspeter Kienberger bezeichnet Sie als «Fahnenträger der Young Boys» – das verpflichtet. Da sagt man nicht beiläufig mal Tschüss.
Der Moment wird irgendwann kommen, Tschüss zu sagen. Ich bin ja nicht mit YB verheiratet. Und YB hängt auch nicht von mir ab. Irgendwann braucht der Klub vielleicht neue Impulse, um zu wachsen. Und dann kann man im Guten Tschüss sagen. Aber nicht jetzt.

Stimmt es, dass Sie nach Ihrem letzten Auftritt als Spieler zu den Fans gegangen sind und ihnen versprochen haben, alles dafür zu tun, dass es mit einem Titelgewinn klappen würde?
Ja. Als ich 2010 von Frankfurt zu YB wechselte, fragte mich mein Berater: «Warum tust du das? Du bist Captain in Frankfurt, verdienst gut und könntest noch mal für zwei Jahre unterschreiben.» Ich hatte damals das Gefühl, YB sei auf einem guten Weg. Und ich hatte diesen Traum, mit YB einen Titel zu gewinnen. Leider ist es anders gekommen, leider wurde es turbulent. Ich war erst zwei Monate bei YB, da wurde Geschäftsführer Stefan Niedermaier entlassen. Und erst in meinem vierten und letzten Jahr wurde während der Saison der Trainer nicht entlassen. Es hat mich gewurmt, dass wir es nicht geschafft haben, den Titel zu gewinnen. Und dass Leute in Bern das Verliererimage kultiviert haben, hat mich wahnsinnig gestört.

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4 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Bud Spencer
14.07.2019 21:52registriert Dezember 2018
Auch als FCB Fan muss ich sagen, sympathischer und kompetenter Typ, Hut ab vor der Arbeit!
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Bullet-Tooth-Joni
15.07.2019 07:42registriert September 2015
Grande Wuschu!

Eifach ä geile Siech!

Är hetts o die Transferphase wider bewise: in Wuschu we trust!

😎🤙💛🖤💛🖤💛🖤
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4
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