Am 20. August 2018 setzte sich ein Mädchen, bewaffnet mit einem selbstbeschriebenen Plakat, vor den Schwedischen Reichstag. Greta Thunberg trat eine der grössten politischen Jugendbewegungen unserer Zeit an.
Mit den Klimastreiks kam die Hoffnung, dass die Jugend nun endlich die ihr nachgesagte Politikverdrossenheit überwindet. Hat sich diese Hoffnung bewahrheitet? watson hat bei den Schweizer Jungparteien nachgefragt und wollte wissen, wie sie das letzte Jahr erlebt haben und ob sie von der neu politisierten Jugend überrannt wurden.
Im Ringen um die Neuzugänge hat vor allem eine Partei die Nase ganz weit vorne. Doch wir beginnen die Rangliste von hinten:
Die Junge BDP steckt, wie die Mutterpartei, noch in den Kinderschuhen. Somit ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass die Jungpartei den letzten Platz besetzt. Gemäss Parteipräsident Remo Zuberbühler ist die Mitgliederzahl seit letztem Jahr um 4 Prozent bzw. 12 Mitglieder gestiegen.
Trotz dem minimen Wachstum beobachtet die Junge BDP einen Wandel. «Wir erkennen definitiv ein grösseres politisches Interesse. Besonders die Interaktionen und Nachfragen auf Social Media sind gestiegen», so Zuberbühler. Die Klimastreiks haben gemäss dem Parteipräsidenten jedoch nicht dazu geführt, dass plötzlich mehr Jugendliche eine politische Ämterkarriere anstreben wollen. «Die Jungen gehen für ihr Anliegen lieber auf die Strasse. Wir würden uns mehr aktives Engagement in der klassischen Politik wünschen.»
Bei den Jungfreisinnigen, die den sechsten Platz besetzen, klingt es verhaltener. Obwohl die Jungpartei seit August 2018 rund 586 neue Mitglieder verzeichnet, ist man skeptisch, ob die Klimastreiks tatsächlich zu einer Politisierung der Jugend führen.
Bei der Jungpartei habe vor allem die Abstimmung um die Altersvorhersorge2020 im September 2017 zu einem grossen Mitgliederzuwachs geführt. Die aktuelle Debatte über das Klima habe sicherlich einen Einfluss auf die Beteiligung an den nationalen Wahlen, so Maja Freiermuth, Generalsekretärin der Jungfreisinnigen. «Ob es aber langfristig einen Einfluss auf die Besetzung von politischen Ämtern hat, wage ich zu bezweifeln.» Es bräuche sehr viel Zeit und ein breites Interesse an verschiedensten Themen, um wirklich im politischen System mitarbeiten zu können, so Freiermuth weiter.
Ebenfalls auf den fünften Rang gesetzt haben wir die CVP. Von Parteiseite heisst es, dass man in den letzen zwei Jahren einen ziemlichen Zuwachs an Mitgliedern verzeichne. Da die Partei aber sehr föderalistisch aufgebaut sei, könne man die genaue Anzahl Neuzugänger nicht genau beziffern.
Auffallend sei vor allem die Zunahme an eher jüngeren Mitgliedern: «Wir konnten mithilfe der Neuzugänge die Sektion Glarus gründen, bei welcher alle Mitglieder sehr jung sind», freut sich Sarah Bünter, Präsidentin der Jungen CVP.
Die Klimastreiks hätten sicherlich für ein regeres Interesse an der Politik gesorgt, so Bünter. «Nun liegt es an den Parteien, diese Jugendlichen in die politische Arbeit zu integrieren, damit sie auch ihre Visionen und Forderungen tatsächlich durchsetzen können.»
Auch die Jungsozialisten freuen sich über neue Mitglieder. Mit 600 Neuzugängen im letzten Jahr besetzt die linke Jungpartei den dritten Rang. Laut Muriel Günther, Zentralsekretärin, ist die Jugend keineswegs apolitisch.
«Die Klimastreikbewegung ist Ausdruck davon, dass junge Menschen heutzutage nicht uninteressiert an politischen Themen sind, sondern, dass sie sich in Bewegungen wohler fühlen als in der institutionalisierten Parteienlandschaft», sagt Günther. Doch der Weg des herkömmlichen Ämtergangs sei bei den Jugendlichen trotz Klimastreik nicht beliebter geworden, meint Günther. «Vielleicht kommen manche noch mit der Zeit – aber politisch aktiv zu werden heisst heute vor allem laut auf der Strasse zu sein und für eine bessere Zukunft zu kämpfen.»
Auf Platz drei findet sich die Junge SVP. Laut Kommunikationschef Diego Baratti liegt der letztjährige Gesamtzuwachs in der Partei bei 850 neuen Mitgliedern. «Dieses Jahr sind wir ähnlich unterwegs», so Baratti.
Insbesondere in den letzten Monaten hätten sich vermehrt Jugendliche mit den Jahrgängen 2001 bis 2003 angemeldet. Von Politikverdrossenheit also keine Rede.
Laut Baratti seien aber nicht die Klimastreiks verantwortlich für den Anstieg. «Die Themen, die unserer Meinung nach die Jugendlichen noch stärker in Anspruch nehmen als die Klimadebatte sind die Einwanderung, das Rahmenabkommen und die Altersvorsorge.» Diese Themen, so Baratti, würden auch dafür sorgen, dass sich die Jugendlichen dazu entscheiden, sich aktiv in der Politik zu engagieren.
Knapp vor dem ersten Rang liegen die Jungen Grünen. Seit August 2018 traten der Partei rund 1'023 neue Mitglieder bei. Das ist ein Rekord, die Partei zählt aktuell insgesamt 3'500 Mitglieder. Co-Präsident Luzian Franzini spricht deshalb auch von einer «Welle der Politisierung», die durchs Land gehe.
«Seit Jahresbeginn verzeichnen wir 700 Neumitglieder. Es diskutieren mehr Menschen auf unseren Social-Media-Kanälen und auch die Anmeldungen für unseren Newsletter haben massiv zugenommen», so Franzini.
Für Franzini ist von Politikverdrossenheit weit und breit keine Spur. Er zeichnet ein rosiges Bild für die Zukunft: «Die jungen Menschen haben realisiert, dass die Verbesserung des persönlichen Lebensstils nicht ausreicht, um unseren Planeten zu retten. Es braucht einen grundlegenden Wandel und deshalb wollen sie sich auch politisch engagieren.»
Absolute Spitzenreiter bei den Neuzugängen sind die Jungen Grünliberalen. Seit August 2018 sind die Mitglieder um 51 Prozent respektive 1'173 Neuzugänge gewachsen. Laut Co-Präsident Tobias Vögeli interessieren sich die Jungen «massiv mehr» für verschiedene politische Themen. «Wir merken das im täglichen Kontakt mit unseren Mitgliedern. Wir erhalten vermehrt sogar Anfragen für eine Mitgliedschaft über Instagram aufgrund von spezifischen Insta-Storys unsererseits», so Vögeli.
Trotz enormen Mitgliederzuwachs, sieht Vögeli kritisch in die Zukunft. Zwar hätten die Klimastreiks viele junge Menschen politisiert, «ob sie aber auch motiviert sind, ein kommunales Amt zu bekleiden, kann ich schwer beurteilen. Das zeigt sich meist erst nach ein paar Monaten in denen man aktiv im Politbetrieb ist.»
Es würde mich persönlich sehr interessieren, warum der Klimawandel kein zentrales Anliegen ist?