Die sieben mageren Jahre sind vorbei. Der Übergang von der gefühlt ewigen Ära Arno Del Curto in die neue Zeit ist in nur drei Jahren gelungen. Trainer Christian Wohlwend sitzt wieder fest im Sattel und der HC Davos ist wieder ein Spitzenteam geworden. Eine der erstaunlichsten Geschichten der nationalen Hockey-Zeitgeschichte.
Jedes Hockey-Unternehmen muss sich von Zeit zu Zeit erneuern. Den ewigen Erfolg gibt es in keiner Mannschaftssportart. Nicht im Fussball. Nicht im Hockey. Diese Erneuerung gelingt nur, wenn ein Sportunternehmen eine starke DNA hat. Wenn alle wissen, wer man ist, was man kann und was man will. Und sich durch die unvermeidbaren Erschütterungen und Erregungen, die nun mal jede Erneuerung mit sich bringt, nicht vom Kurs abbringen lässt und der Sport auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten immer im Zentrum steht.
Dafür erforderlich sind Verstand und ein gesundes Selbstvertrauen, das von der Konkurrenz auch als Arroganz empfunden wird, und starke Persönlichkeiten auf der höchsten Führungsebene.
Die zwei erfolgreichsten Klubs der letzten 20 Jahre durchlaufen diesen Erneuerungsprozess: der SC Bern (Meister 2004, 2010, 2013, 2016, 2017 und 2019) und der HC Davos (Meister 2002, 2005, 2007, 2009, 2011, 2015). Der HCD hat die Erneuerung geschafft. Der SCB noch nicht. Obwohl es erstaunliche Parallelen gibt. Bei beiden Klubs sind die 20 Jahre des Ruhmes durch starke Persönlichkeiten geprägt worden: durch Arno Del Curto in Davos und durch Marc Lüthi in Bern. Der HCD hat sich von Arno Del Curto emanzipiert. Der SCB noch nicht von Marc Lüthi.
Nach seinem Amtsantritt im Sommer 1996 erfindet Arno Del Curto den HCD nicht neu. Er belebt lediglich die sportliche DNA der erfolgreichsten Hockey-Organisation unserer Geschichte, die schon in den 1920er-Jahren fast die gesamte Nationalmannschaft stellt und mit dem ersten EM-Titel 1926 unsere Hockeykultur, so wie wir sie kennen, begründet. 2021 ist der HCD hundert Jahre alt geworden. Er hat seine DNA nie verändert. Nur den Zeiten angepasst.
So wie Bibi Torriani, damals einer der besten Spieler ausserhalb Nordamerikas, die ersten Jahre des Ruhmes prägte, so tut dies jetzt der Engadiner Arno Del Curto in den nicht weniger spektakulären ersten zwei Jahrzehnten des 21. HCD-Jahrhunderts als Trainer. Indem er konsequent umsetzt, was der HCD schon immer war: jünger, dynamischer, schneller, spielerisch besser als die Gegner im Flachland. Gaudenz Domenig, der kluge und wenn nötig schlaue Präsident aus einer mächtigen Bündner Familie, lässt ihn gewähren und sorgt flankierend ab 2003 für die politische und wirtschaftliche Stabilität.
Das Ende der «Ära Arno Del Curto» am 27. November 2018 erschüttert den HCD und löst heftige Turbulenzen aus. Aber der Klub kommt nicht vom Kurs ab. Gaudenz Domenig spannt dem Verband bereits im Frühjahr 2019 ein Duo aus, dem er zutraut, den HCD im Geiste von Bibi Torriani und Arno Del Curto zu erneuern. Zwei Engadiner. Raëto Raffainer wechselt als Sportdirektor vom Verband zum HCD und bringt U20-Nationalcoach Christian Wohlwend als Trainer mit. Sie kommen mit einer klaren Philosophie, die der HCD-DNA entspricht. Mit klugen Transfers wird die Mannschaft erneuert und der Trainer ist durchaus eine neue Version von Arno Del Curto. Wissen, wer man ist, was man kann und will: Nach dieser Erfolgsformel wird der HCD erneuert.
Jünger, schneller, dynamischer und spielerisch besser als der Gegner. Die Rechnung geht inzwischen auf. Bereits in seiner ersten Saison verpasst Christian Wohlwend im Frühjahr 2020 Platz 1 in der Qualifikation nur um einen Sieg. Die Playoffs fallen aus.
Die Bewährungsprobe folgt im zweiten Jahr. Raeto Raffainer wechselt per 1. Februar 2021 nach Bern. Christian Wohlwend verliert seinen wichtigsten Verbündeten. Im Frühjahr 2021 durchläuft der HCD die heikelste Phase seiner neueren Geschichte: Christian Wohlwend scheitert in seinen ersten Playoffs (genauer: in den Pre-Playoffs) gegen den SC Bern kläglich. Die Gefahr, vom Kurs abzukommen, ist in diesen dramatischen Wochen so gross wie nie seit dem Ende der Ära Del Curto.
Aber der HCD kommt nicht vom Kurs ab. Anders als beim SC Bern steht in Davos auch in der schwierigen Phase der Erneuerung der Sport im Zentrum aller Anstrengungen. Sparübungen und PR-Gags auf Kosten des Sportes wie in Bern sind in Davos undenkbar. Was sich unter anderem auch in der Qualität des ausländischen Personals zeigt.
Trainer Christian Wohlwend bleibt, Präsident Gaudenz Domenig und sein Geschäftsführer Marc Gianola halten am Kurs fest. Mit Jan Alston finden sie einen Sportdirektor, der perfekt zum HCD passt. Kein Bündner zwar. Aber der eingebürgerte Kanadier kennt unser Hockey aus langjähriger Erfahrung als Spieler in Nordamerika, Italien, Deutschland und in der Schweiz (mit einer Saison in Davos) und als Sportchef in Lausanne. Mit 20 kommt er schon nach Europa. Ein Hockey-Weltenbürger. Diskret. Kein Selbstdarsteller. Einer, der auch zuhören kann. Ein Suchender nach Perfektion im Hockey.
Die Korrektur gelingt. Letzte Saison hatte die Verteidigung nicht mehr funktioniert. Mit 3,47 Gegentreffern pro Spiel war der HCD defensiv nur noch die Nummer 10 der Liga. «Wir fügten ein paar Dinge hinzu. Das Wichtigste war ein neues Defensivkonzept.» So hat es Sportdirektor Jan Alston kürzlich auf den Punkt gebracht.
Das Engagement von Jörgen Jönsson als Assistent von Christian Wohlwend hat viel geholfen. Nun ist der HCD defensiv die Nummer 2 der Liga. Mit bloss noch 2,22 Gegentoren pro Spiel. Und so sicher im System, dass auch dann Partien gewonnen werden, wenn nicht das beste Hockey gelingt. Der HCD findet doch einen Weg zum Sieg. Weil die Spieler sich gegenseitig und dem System vertrauen. Der HCD ist im November 2021 Tabellenführer und stabil wie nie seit den besten Jahren unter Arno Del Curto.
Der Wechsel auf der Torhüterposition – Gilles Senn für Robert Mayer – ist kein Problem. Gilles Senn ist zwar kein Titan (91,19 Prozent Fangquote). Aber Sandro Aeschlimann ist nun zum statistisch besten Goalie der Liga gereift (95,54 Prozent Fangquote). Er hat sich zur heimlichen, aber wahren Nummer 1 entwickelt.
Was dem HCD entgegenkommt: Arno Del Curto ist kein zorniger, alter HCD-Trainer. Er hat seinen Lebensmittelpunkt längst ins Flachland in die Nähe von Langenthal verlegt, äussert sich nicht zum Thema HCD und begnügt sich auf die überaus kurzweilige mediale Vermarktung seiner eigenen Legende. Ein Abgang mit Klasse. Er ist HCD-Geschichte im besten Sinne des Wortes geworden.
Ist der HCD wieder ein Meisterkandidat? Ja. Aber anders als in der «Belle Epoque» mit Arno Del Curto. Damals ist es gelungen, um den Leitwolf Reto von Arx mehrere der besten Spieler der Liga im Zenit ihrer Karriere und jahrelang zu halten. Das wird in Zukunft so nicht mehr möglich sein. Der HCD kann nicht mehr damit rechnen, über Jahre hinaus eine meisterliche Kerngruppe zu beschäftigen.
Künftig wird eine raschere Erneuerung notwendig sein. Für junge Spieler ist der HCD nicht mehr das Karriere-Endziel wie noch zu den Zeiten von Reto von Arx und Arno Del Curto. Eher wird die Zeit beim HCD zu einer aufregenden Etappe auf dem Weg zu viel Geld im Unterland. Nach dem Motto: «Wer nie beim HCD war, weiss nicht, wie viel Spass Hockey machen kann.» Das ist nur möglich, wenn der HCD der beste Ausbildungsklub der Liga wird. Er ist auf dem Weg dazu.
Inzwischen versucht Raëto Raffainer die Erneuerungs-Erfolgsformel Davos als Obersportchef in Bern umzusetzen. Aber anders als in Davos mit Präsident Gaudenz Domenig fehlt in Bern der bedingungslose Rückhalt und das Vertrauen einer Chefetage, die weiss, wer man ist, was man kann und was man will. SCB-Präsident Beat Brechbühl ist als Fürsprecher auf dem Platz Bern fast so angesehen wie Gaudenz Domenig in Zürich und ein grandioser «Filzmacher». Aber das Eishockey, das Wesen des Mannschaftssportes, die SCB-DNA und echte Führungsaufgaben im Pulverdampf der Öffentlichkeit dürften ihm so fremd sein wie die Staatsverfassung der Komoren.
Der SCB muss erst wieder lernen, wer er ist, was er kann und was er will. Und in Bern ist Raëto Raffainer nicht mehr «nur» auf einer romantischen Mission wie beim Verband und dann in Davos. Er ist inzwischen auch ein kluger, eloquenter Pragmatiker und Karrierist, der höhere und nicht bloss sportliche Ziele anstrebt. Politisch im Eishockey-Weltverband, wo er bereits ins Council (in die Regierung) aufgerückt ist, und beim SCB die Nachfolge von Marc Lüthi. Was er so natürlich niemals bestätigt und klaftertief von sich weist.
In Davos und Bern werden die aufregendsten Kapitel unserer neueren Hockeygeschichte geschrieben.
Ich will den HCD nicht schlecht reden, aber zuerst muss wirklich etwas erreicht werden - und sei es nur ein Halbfinal - bevor hier gelobt werden kann.
Item, Merci Arno für die geile Zeit👍🏻🐻