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Schweiz hat angeblich höchste Dichte an russischen Spionen in Europa

FILE - Russian President Vladimir Putin speaks during a meeting with commanders of military districts at the Kremlin in Moscow, Russia, on May 15, 2024. The ICC issued an arrest warrant for Russian pr ...
Seinen Spionen ist es wohl in der Schweiz: Russlands Machthaber Wladimir Putin.Bild: keystone

Deshalb hat es Wladimir Putin jetzt auf die Schweiz abgesehen

Nirgends gibt es verhältnismässig mehr russische Diplomaten – und mutmasslich auch Spione – als in der Schweiz. Aus Gründen. Die Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock wird derweil mit Nachdruck von der russischen Propaganda-Maschinerie unter Beschuss genommen.
26.05.2024, 05:2426.05.2024, 17:23
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217 russische Diplomatinnen und Diplomaten gibt es in der Schweiz. Zum Vergleich: Im ungleich grösseren Nachbarland Italien sind es gerade mal 44.

Laut dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) arbeitet jeder dritte dieser diplomatischen Vertreter in irgendeiner Weise für den russischen Auslandsgeheimdienst (SWR), den russischen Militärgeheimdienst (GRU) oder den russischen Inlandsgeheimdienst (FSB), wie die «SonntagsZeitung» berichtet. Das wären total also bis zu 80 russische Agenten, die sich in der Schweiz rumtreiben.

Laut einem anonymen Schweizer Nachrichtendienstmitarbeiter weist die Schweiz damit die höchste Dichte russischer Agenten in Europa auf, wie dieser gegenüber der Zeitung angibt.

Der Grund für diese Konstellation ist unter anderem die sehr konservative Vorgehensweise der Schweiz bei der Ausweisung von ausländischen Diplomaten. Obwohl man theoretisch Auslandsvertreter ausweisen könnte, die im Verdacht stehen zu spionieren, geht die Schweiz mit grösster Zurückhaltung vor. Der letzte bekannte Fall eines russischen Diplomaten, der die Schweiz verlassen musste, datiert vom Ende der 90er-Jahre.

Diese zurückhaltende Praxis wird auch von Aussenminister Ignazio Cassis gestützt. Es entspreche nicht der hiesigen Tradition, verdächtige Personen automatisch auszuweisen, sagte der FDP-Bundesrat in einer Sitzung der Aussenpolitischen Kommission.

Zurückhaltung – und Angst vor Konsequenzen

Ein Grund dafür ist sicherlich auch die Angst vor Konsequenzen. NDB-Chef Christian Dussey nahm im vergangenen Jahr Stellung anlässlich eines Verdachtsfalls zu einem in Bern stationierten russischen «Berater».

Dieser hatte in der Vergangenheit durch einen finnischen Professor der Universität in Dänemark Informationen erhalten zu Professoren und Studierenden, die in der dänischen Sicherheitspolitik aktiv waren. Als das aufflog, wurde der Professor in Dänemark zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Nach dänischem Urteil handelt es sich beim «Berater» klar um einen Geheimdienstler.

Die Bürgenstock-Konferenz im Propaganda-Visier
Die Schweiz wird im Juni eine Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock ausrichten, um Lösungen für ein Ende des Kriegs in der Ukraine zu finden. Russland wird allerdings nicht dabei sein, aus verschiedenen Gründen. Dennoch interessieren sich die Russen zutiefst für den Anlass: Sie versuchen ihn mit allen Mitteln propagandistisch zu sabotieren. Der jüngste Streich: Russische Geheimdienste haben eine angebliche Schlusserklärung der Konferenz «geleakt». Die Beschlüsse sollen bereits feststehen. Neun von zehn Punkten von Wolodymyr Selenskyjs Friedensplan sollen demzufolge angenommen werden. Die Absicht des Kremls ist klar: Er will der Welt weismachen, dass es sich bei der Konferenz um eine Farce handelt.

Das Schweizer Aussendepartement EDA kommentiert das Dokument gegenüber der «SonntagsZeitung» nicht direkt. Ein Sprecher erklärt aber, dass die Konferenz sich nicht um den ursprünglichen 10-Punkte-Plan von Wolodymyr Selenskyj drehen werde, sondern um Themen wie nukleare Sicherheit oder humanitäre Aspekte. Ob man sich auf eine Schlusserklärung einigen könne, sei offen.

Dussey erklärte zu dem Fall, dass man «grundsätzlich sicherstelle, dass russische Diplomaten, die aus einem europäischen Land ausgewiesen wurden, nicht hierherkommen können». Und dann weiter:

«Man kann aber nicht jeden abweisen, denn sonst schlägt Russland zurück und als kleines Land hast du dann bald keine Botschaft mehr in Moskau.»

Russischen Spionen dürfte es aufgrund der Schweizer Zurückhaltung und Vorsicht also durchaus wohl sein in der Schweiz. Unterstrichen wird das auch dadurch, dass es mehrere Hinweise gibt, wonach russische Agenten Giftanschläge von hier aus vorbereitet haben.

Besonders der Fall von Sergei Skripal sticht heraus. Der britisch-russische Doppelagent, der für den britischen Geheimdienst MI6 gearbeitet hatte, wurde 2018 Opfer einer Giftattacke in London. Er überlebte nur knapp. Die britische Regierung geht eindeutig davon aus, dass Russland hinter der Attacke gesteckt hatte. Ein anonymer Schweizer Diplomat sagt zu dem Fall gegenüber der «SonntagsZeitung»:

«Der Anschlag wurde von Genf aus vorbereitet. Ich kann keine Details nennen, aber wir haben Beweise.»

Motion könnte Schweizer Vorgehensweise grundlegend ändern

Nun soll es allerdings bald vorüber sein mit der Schweiz als russische Agenten-Oase. Bundesrat und Parlament diskutierten in den vergangenen Monaten eine Motion von SP-Nationalrat Fabian Molina. Diese will «eine systematische Ausweisung russischer und anderer ausländischer Spione». Also eine striktere Linie bei Verdachtsfällen unter Inkaufnahme der Konsequenzen.

Die Chancen stehen gut, dass die Motion durchkommt: Der Bundesrat hat sie trotz Widerstands von Cassis zur Annahme empfohlen. Der Nationalrat hat bereits Ja gesagt, die Entscheidung des Ständerats steht noch aus.

(con)

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169 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Tugium
26.05.2024 05:44registriert Oktober 2017
Einfach wieder einmal nur unglaublich beschämend wie sich die Schweiz verhält. Wahrscheindlich haben sie Angst, dass wenn man Russland verärgert weniger Rohstoffe über die Schweiz gehandelt werden🤑

«Man kann aber nicht jeden abweisen, denn sonst schlägt Russland zurück und als kleines Land hast du dann bald keine Botschaft mehr in Moskau.»

Na und?! Dann haben wir dort eben keine Botschaft mehr! Wozu wir diese brauchen bleibt mir sowieso schleierhaft.

Russland würde defintiv viel mehr verlieren als wir, würden wir diese Spione ausweisem.
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N. Y. P.
26.05.2024 06:11registriert August 2018
Obwohl wir im Prinzip wissen, welche der 240 ! Russen für die russischen Geheimdienste arbeiten, weisen wir keinen einzigen Russen aus.

Jedes Land der Welt weist Spione aus. Ausser Liebkind Schweiz, das sich mit jedem ins Bett legt.

P.S. Es ist noch nicht lange her, dass die Schweiz chinesischen Spionen offiziell erlaubt hat, ihren Landsleuten, die sich offiziell in der Schweiz befinden, nachzustellen. Musste auf öffentlichen Druck eingestellt werden.

DAS ist die Schweiz.

Die Freude um den Finaleinzug 🇨🇭 der Schweiz überstrahlt heute jeden Ärger !
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Yolanda Hecht
26.05.2024 07:17registriert Juni 2022
NDB-Chef Christian Dussey: «Man kann aber nicht jeden abweisen, denn sonst schlägt Russland zurück und als kleines Land hast du dann bald keine Botschaft mehr in Moskau.» Wenigstens ist er ehrlich und erzählt nicht etwas von Neutralität. Konsequenz: trotzdem: Die offizielle Schweiz macht sich aus Angst zur Kumpanin russischer Mordanschläge.
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