Deshalb hat es Wladimir Putin jetzt auf die Schweiz abgesehen
217 russische Diplomatinnen und Diplomaten gibt es in der Schweiz. Zum Vergleich: Im ungleich grösseren Nachbarland Italien sind es gerade mal 44.
Laut dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) arbeitet jeder dritte dieser diplomatischen Vertreter in irgendeiner Weise für den russischen Auslandsgeheimdienst (SWR), den russischen Militärgeheimdienst (GRU) oder den russischen Inlandsgeheimdienst (FSB), wie die «SonntagsZeitung» berichtet. Das wären total also bis zu 80 russische Agenten, die sich in der Schweiz rumtreiben.
Laut einem anonymen Schweizer Nachrichtendienstmitarbeiter weist die Schweiz damit die höchste Dichte russischer Agenten in Europa auf, wie dieser gegenüber der Zeitung angibt.
Der Grund für diese Konstellation ist unter anderem die sehr konservative Vorgehensweise der Schweiz bei der Ausweisung von ausländischen Diplomaten. Obwohl man theoretisch Auslandsvertreter ausweisen könnte, die im Verdacht stehen zu spionieren, geht die Schweiz mit grösster Zurückhaltung vor. Der letzte bekannte Fall eines russischen Diplomaten, der die Schweiz verlassen musste, datiert vom Ende der 90er-Jahre.
Diese zurückhaltende Praxis wird auch von Aussenminister Ignazio Cassis gestützt. Es entspreche nicht der hiesigen Tradition, verdächtige Personen automatisch auszuweisen, sagte der FDP-Bundesrat in einer Sitzung der Aussenpolitischen Kommission.
Zurückhaltung – und Angst vor Konsequenzen
Ein Grund dafür ist sicherlich auch die Angst vor Konsequenzen. NDB-Chef Christian Dussey nahm im vergangenen Jahr Stellung anlässlich eines Verdachtsfalls zu einem in Bern stationierten russischen «Berater».
Dieser hatte in der Vergangenheit durch einen finnischen Professor der Universität in Dänemark Informationen erhalten zu Professoren und Studierenden, die in der dänischen Sicherheitspolitik aktiv waren. Als das aufflog, wurde der Professor in Dänemark zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Nach dänischem Urteil handelt es sich beim «Berater» klar um einen Geheimdienstler.
Das Schweizer Aussendepartement EDA kommentiert das Dokument gegenüber der «SonntagsZeitung» nicht direkt. Ein Sprecher erklärt aber, dass die Konferenz sich nicht um den ursprünglichen 10-Punkte-Plan von Wolodymyr Selenskyj drehen werde, sondern um Themen wie nukleare Sicherheit oder humanitäre Aspekte. Ob man sich auf eine Schlusserklärung einigen könne, sei offen.
Dussey erklärte zu dem Fall, dass man «grundsätzlich sicherstelle, dass russische Diplomaten, die aus einem europäischen Land ausgewiesen wurden, nicht hierherkommen können». Und dann weiter:
Russischen Spionen dürfte es aufgrund der Schweizer Zurückhaltung und Vorsicht also durchaus wohl sein in der Schweiz. Unterstrichen wird das auch dadurch, dass es mehrere Hinweise gibt, wonach russische Agenten Giftanschläge von hier aus vorbereitet haben.
Besonders der Fall von Sergei Skripal sticht heraus. Der britisch-russische Doppelagent, der für den britischen Geheimdienst MI6 gearbeitet hatte, wurde 2018 Opfer einer Giftattacke in London. Er überlebte nur knapp. Die britische Regierung geht eindeutig davon aus, dass Russland hinter der Attacke gesteckt hatte. Ein anonymer Schweizer Diplomat sagt zu dem Fall gegenüber der «SonntagsZeitung»:
Motion könnte Schweizer Vorgehensweise grundlegend ändern
Nun soll es allerdings bald vorüber sein mit der Schweiz als russische Agenten-Oase. Bundesrat und Parlament diskutierten in den vergangenen Monaten eine Motion von SP-Nationalrat Fabian Molina. Diese will «eine systematische Ausweisung russischer und anderer ausländischer Spione». Also eine striktere Linie bei Verdachtsfällen unter Inkaufnahme der Konsequenzen.
Die Chancen stehen gut, dass die Motion durchkommt: Der Bundesrat hat sie trotz Widerstands von Cassis zur Annahme empfohlen. Der Nationalrat hat bereits Ja gesagt, die Entscheidung des Ständerats steht noch aus.
(con)
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