Die Ausländerfrage ist immer wieder ein zentrales Thema. Diese Saison (2023/24) war die zweite mit sechs Ausländern, die ein Team der National League in einem Spiel einsetzen darf. Vorher waren es vier. Diese neue Regelung war vor einem Jahr eine Ausrede für das schmähliche Scheitern von Riga (1:3 im Viertelfinal gegen Deutschland). Sie wurde vor allem von Verbands-Sportdirektor Lars Weibel überstrapaziert.
Nun sind wir trotz sechs Ausländern zum dritten Mal nach 2013 und 2018 im Final. Sechs statt vier Ausländer haben tatsächlich eine Auswirkung auf die National League und unser Hockey. Auch negative. Die zwei zusätzlichen Ausländer verteuern, ehrlich gerechnet, jedes Team um rund eine Million. Und ja, es stimmt: Die Förderung von Talenten wird nicht vereinfacht. Und vom Goalie-Problem wird noch die Rede sein.
Aber das WM-Team wird mit sechs Ausländern besser. Wie das? Ganz einfach: Die besten Schweizer haben ihren Stammplatz in ihren NL-Teams. Die zwei zusätzlichen Ausländer erhöhen das Niveau: Es gibt in der Liga 28 zusätzliche gute Spieler. Das bedeutet konkret: Die besten Schweizer – also die Nationalspieler – werden durch den verschärften Konkurrenzkampf im eigenen Team und durch bessere Gegenspieler in jeder Partie stärker gefordert und somit besser. Die vermeintliche Ausländer-Ausrede ist im Hinblick auf die Qualität des WM-Teams in Tat und Wahrheit ein Heilmittel.
Ein Blick zurück bestätigt diese positive Wirkung der Konkurrenz durch ausländische Spieler. Die Schweizer gehören bis und mit dem olympischen Turnier von 1952 (5.) zur Weltklasse. Dann folgt ein dramatischer Absturz in die Zweit- und Drittklassigkeit. Mit dem Bau von Kunsteisbahnen im Flachland und dem Verbot ausländischer Spieler in der Meisterschaft wird versucht, den Anschluss wiederzufinden. Das Ausländer-Verbot in den 1960er-Jahren führt geradewegs in die Drittklassigkeit (C-WM). Nach und nach erfolgt die Rückkehr der Ausländer: Zuerst ist wieder einer erlaubt, ab den 1980er-Jahren werden es zwei, dann drei, schliesslich vier und im Sommer 2022 sechs pro Team.
Parallel dazu folgt die Rückkehr in die Weltklasse 1998 am grünen Tisch: Die Schweiz wird als WM-Organisator gesetzt und aus der Zweitklassigkeit erlöst. 1998 gelingt die Halbfinal-Qualifikation. 2013, 2018 und 2024 stürmen die Schweizer in den Final.
Die Globalisierung des Hockeys, die Aufstockung der NHL von 21 Teams zu Beginn der 1990er-Jahre auf heute 32 Mannschaften hat eine Dynamik ausgelöst, von der auch die Schweiz profitiert.
Noch nie in der Geschichte war die Weltspitze so ausgeglichen. Schweden hat seit dem WM-Titel von 2018 einmal den Viertelfinal nicht erreicht, dreimal den Viertelfinal verloren und spielt hier in Prag «nur» um Bronze. Die Schweiz ist nach dem verlorenen Final von 2018 bei der WM erfolgreicher als Schweden. Der Himmel ist heute auch für Schweizer genauso wie für Schweden, Finnen oder Tschechen die Limite im internationalen Hockey. Der Weg zum NHL-Millionär ist ebenso offen wie der Weg in den WM-Final.
Es ist eine Frage der Eigenverantwortung, nicht des Systems oder der Ausländerregelung: Unsere Liga, unser Ausbildungssystem ermöglicht es einem jungen Spieler, eine Weltkarriere zu machen. Wenn er denn konsequent auf Hockey setzt und allenfalls auch bereit ist, als Junior zur Weiterbildung nach Schweden oder nach Nordamerika zu wechseln.
Aber für junge Talente ist es auch wegen der Erhöhung von vier aus sechs Ausländer schwieriger, Stammspieler in der National League zu werden. Nur die besten schaffen es.
Das Wunder von Prag zeigt: Die National League ist eine der schnellsten, spektakulärsten Ligen der Welt. Wer in der National League eine prägende Rolle zu spielen vermag, ist gut genug für den WM-Final und die NHL. Aber eine grosse Sorge bleibt: Pro Team kann nur ein Torhüter die Nummer 1 sein und nur wenn einer in der National League die Nummer 1 ist, kann er zum WM-Goalie reifen und der nächste Leonardo Genoni werden.
Die Erhöhung von vier auf sechs Ausländer hat in der vergangenen Saison Ambri, Lugano, Biel, die ZSC Lions, Kloten, Servette und Bern – die halbe Liga also – dazu verführt, eine Ausländer-Lizenz für den Goalie zu lösen. Die ZSC Lions sind mit einem ausländischen Goalie Meister geworden. Auch wenn Kloten und Lugano nächste Saison wieder auf Schweizer Schlussmänner setzen: Wir steuern wegen der Erhöhung der Anzahl Ausländer bereits mittelfristig auf ein grosses Torhüterproblem zu. Leonardo Genoni wird im August 37. Nach wie vor ist kein neuer Leonardo Genoni in Sicht.
Die Schweiz hat von allen Titanen des Welteishockeys am wenigsten herausragende NHL-Stars. Die Qualität eines WM-Teams hängt stark von der Verfügbarkeit unserer NHL-Stars ab. Diese Problematik hat nichts mit der Anzahl Ausländer in der National League zu tun. Aber so wichtig wie die NHL-Stars ist ein Weltklasse-Goalie. Der Penalty-Triumph gegen Kanada ist nur möglich geworden, weil wir beides haben: genug NHL-Stars und mit Leonardo Genoni einen Weltklasse-Goalie.
Leonardo Genoni ist ein Glücksfall: Postur («nur» 182 cm gross) und Stil haben dazu geführt, dass er von den NHL-Scouts übersehen und unterschätzt worden ist. Und so ist er mit sieben Titeln der erfolgreichste NL-Goalie geworden und steht für die WM zur Verfügung. Akira Schmid ist erst 24 und hat alle Voraussetzungen, um der nächste Leonardo Genoni zu werden.
Aber eben mit seiner Postur (195 cm) auch sehr gute Chancen für die Fortsetzung seiner NHL-Karriere. Wir dürfen nicht bei jeder WM mit ihm rechnen. Mit unseren besten NHL-Stars sind wir bei jeder WM ein Finalkandidat. Wenn Roman Josi und Kevin Fiala fehlen, sind wir mit einem Weltklasse-Goalie aus der heimischen Meisterschaft immer noch gut genug für den Halbfinal.
Wie viele NHL-Spieler für die WM zur Verfügung stehen, können wir von der Schweiz aus nicht beeinflussen. Aber die National League kann etwas tun, um das Torhüterproblem zu lösen. Eher früher oder später werden wir nicht darum herumkommen, einheimische Goalies zu schützen. Indem wir entweder ein Verbot für ausländische Goalies einführen. Oder das Reglement so ändern, dass ein ausländischer Torhüter das Ausländerkontingent mit zwei Lizenzen belastet.