Ausser von ein paar verblendeten Alt-Stalinisten wird Wladimir Putin vor allem von Vertretern des äussersten politischen Randes verehrt. Ob AfD oder Front National, ob Roger Köppel oder Tucker Carlson: Sie alle singen Lobeshymnen auf den russischen Staatspräsidenten, preisen ihn als weisen Staatsmann und verteidigen seinen abscheulichen und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Ein weiteres Kernanliegen der Rechtspopulisten ist die Hetze gegen eine angebliche Elite. «Woke- und Genderwahnsinn» werden angeprangert und es wird unablässig gejammert, eine rot-grüne urbane Elite wolle dem kleinen Mann das Auto vergällen, ihm gesundes Essen aufs Auge drücken und ihm generell die Freude am Leben nehmen. Mit einem Putin wäre dies nicht zu machen, so versichern sie – der wisse noch, wann ein Mann ein Mann sei.
Und nun das: Der Möchte-gern-Putschist Prigoschin zeigt Putin, was eine populistische Harke ist. Er prangert die russische Elite an, die Oligarchen, welche Champagner und Austern schlürfen, während die Soldaten an der Front weder genügend Munition noch genügend Essen erhalten. Er wettert gegen inkompetente und korrupte Generäle, ja er stellt gar die Legitimation der «militärischen Spezialoperation» infrage: Nicht ukrainische Nazis oder die NATO-Osterweiterung seien der wahre Grund für den Krieg, so Prigoschin, sondern die Gier und die Inkompetenz der Elite in Moskau und St. Petersburg.
Prigoschin lässt sich nicht so leicht zur Seite schieben. Niemand hat den ukrainischen Soldaten mehr Leid zugefügt als seine Wagner-Truppe. Im Gegensatz zum Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow hat er sich regelmässig an der Front blicken lassen und kann sich daher glaubhaft als Vertreter des kleinen Mannes aufspielen.
Im Gegensatz zu den liberalen Putin-Kritikern kommt Prigoschin mit seiner Botschaft beim besagten kleinen Mann auch an. Daher konnte der Wagner-Boss seinen Operetten-Coup auch erstaunlich lange unbehelligt durchziehen. «Die Polizei hat nicht eingegriffen. Die Menschen haben bloss zugeguckt. Niemand ist der Regierung spontan zu Hilfe geeilt», sagt Boris Kagalitsky gegenüber der «Washington Post». Kagalitsky lebt in Moskau und war ein bekannter Dissident in der UdSSR.
Obwohl er selbst bis vor kurzem ein Teil der Elite war, gelingt es Prigoschin, die Elite-Karte gegen Putin auszuspielen. Gewöhnliche Russinnen und Russen machen zwar einen grossen Bogen um die Politik und suchen ihr Glück im Privaten. Doch verschiedene Quellen berichten, dass sich in der Bevölkerung Unmut breitmacht. «Prigoschins Rebellion hat eine akute Schwachstelle des Putin-Regimes aufgezeigt: seine Verachtung für den kleinen Mann», stellen Liana Fix und Michael Kimmage im Magazin «Foreign Affairs» fest.
Im Bemühen, den Krieg von der urbanen Elite in Moskau und St. Petersburg fernzuhalten, hat Putin die Hauptlast der armen Landbevölkerung aufgebürdet. Prigoschin stellt sich nun als Anwalt ebendieser Männer dar, die oft keine Ahnung haben, weshalb und wofür sie in der Ukraine kämpfen und sterben. «Sollten sich Putins Verachtung und die Wut der russischen Soldaten miteinander verbinden, dann bekommt der Kreml ernsthafte Probleme, selbst wenn sich kein zweiter Coup abzeichnet», so Fix/Kimmage.
Die Elite in Moskau und St. Petersburg schart sich derweil um den Präsidenten, zumindest vorläufig. Der grobschlächtige Ex-Zuchthäusler Prigoschin geniesst in diesen Kreisen keinen Kredit. Um eine Wiederholung eines solchen Coups zu verhindern, wird Putin die Repressions-Schraube weiter anziehen. Andrei Kolesnikow, ein führender Russland-Kenner, sagt gegenüber der «Washington Post»: «Auch Putins Wunsch, den Krieg fortzusetzen, wird sich nicht abkühlen. Obwohl die Elite begriffen hat, dass das System geschwächt worden ist und Alternativen möglich geworden sind, wird sie sich um Putin herum konsolidieren, gleichzeitig ängstlich und misstrauisch vor ihm.»
Doch auch bei der Elite wird der Prigoschin-Coup Spuren hinterlassen. Der Russland-Experte Thomas Graham erklärt im «Wall Street Journal»: «Um das Vertrauen der Elite zu behalten, muss jeder russische Präsident in der Lage sein, drei Dinge gleichzeitig zu tun: sie vor äusseren Feinden schützen, sie vor der russischen Bevölkerung schützen und sie vor sich selbst schützen.»
Zwei dieser drei Kriterien erfüllt Putin derzeit nicht. Sein Krieg gegen die Ukraine läuft schlecht und die internen Konflikte innerhalb der Elite hat er offensichtlich nicht im Griff. Die Gefahr, dass er auch von der Elite fallengelassen wird, ist daher seit dem vergangenen Wochenende massiv gestiegen.
Natürlich ist auch Prigoschins Populismus reine Augenwischerei. Der Mann ist nicht nur ein grausamer Nationalist, er ist auch ein Milliardär, der lange vom System Putin profitiert hat. Nicht von ungefähr spricht der Präsident deshalb von einem «Dolchstoss in den Rücken». Angesichts der Popularität Prigoschins hat er ihn sich unbehelligt nach Belarus absetzen lassen, zumindest vorläufig. Es ist jedoch davon abzuraten, mit ihm eine Lebensversicherung abzuschliessen.
Dieser Abschlusssatz trifft es. Prigoschin wird so lange Putin an der Macht ist kein ruhiges Leben mehr führen können. Putin vergisst und vergibt nie. Die Paranoia Putins wächst immer mehr. Säuberungen, wie zu Stalins Zeiten, sollten niemanden verwundern. Putin hat sich totalitäre Macht verschafft.
Die Ansichten der westlichen Putinunterstützer sind verwerflich und sie spalten die Gesellschaft. Ihnen muss man überall entgegentreten bevor sie ihre toxischen Aussagen verbreiten können.
"Obwohl er selbst bis vor kurzem ein Teil der Elite war, gelingt es Prigoschin, die Elite-Karte gegen Putin auszuspielen"
Fast die ganze Rennleitung der SVP war immer ein Teil der Elite und konnte aber immer seinen Fans/Wähler anderes aufzeigen.