International
Angriff auf Paris

Im Bataclan-Prozess wird alles ungewöhnlich sein

Flowers are set in a window shattered by a bullet at the Carillon cafe in Paris, France, Sunday Nov. 15, 2015, two days after over 120 people were killed in a series of shooting and explosions. French ...
130 Menschen wurden bei den Pariser Anschlägen im Jahr 2015 getötet.Bild: keystone

Im Bataclan-Prozess wird alles ungewöhnlich sein – sogar der Gerichtssaal

1800 Zivilkläger, 20 Angeklagte und acht Monate Zeit: In Frankreich wird bald über die Anschläge in Paris verhandelt. Nicht in einem bestehenden Gerichtssaal, sondern in einem eigens dafür geschaffenen Provisorium.
Cet article est également disponible en français. Lisez-le maintenant!
02.09.2021, 12:50
Fabien Feissli
Fabien Feissli
Folge mir
Mehr «International»

«Der Bedeutung des grössten Prozesses in der Geschichte Frankreichs gerecht zu werden.» Mit diesen Worten fasst Jean-Michel Hayat, der erste Vorsitzende des Pariser Appellationsgerichts, die Herausforderung der kommenden Tage im Gerichtssaal «Grands Procès» perfekt zusammen. Es ist der Ort, wo ab dem 8. September über die Anschläge vom 13. November 2015 verhandelt wird – jenen Anschlägen, die 131 Menschen in Paris das Leben kosteten.

Es werden mehr als 2000 Personen erwartet. Sie werden in den kommenden Tagen in einem eigens dafür eingerichteten Holzprovisorium Platz finden. Der Gerichtssaal wurde im Zentrum von Paris aufgebaut und misst rund 700 Quadratmeter. Er ist derart gross, dass für die hinteren Reihen Bildschirme eingerichtet wurden, auf denen Geschehen im vorderen Teil des Raums übertragen wird.

130 Todesopfer, 413 Verletzte
Am 13. November 2015 war Paris das Ziel mehrerer Anschläge, zu denen sich die Terrororganisation «Islamischer Staat» bekannte. Am frühen Abend versuchten drei Personen, in das «Stade de France» einzudringen, wo das Fussballspiel Frankreich–Deutschland stattfand. Die Attentäter wurden von Sicherheitskräften abgewiesen, worauf sie sich selbst in die Luft sprengten.

Andernorts in Paris eröffneten Terroristen in der Nähe von Cafés und Restaurants das Feuer. Eine weitere Gruppe betrat zur gleichen Zeit das «Bataclan» und schoss auf die Gäste. An diesem Abend starben 130 Menschen, 413 wurden verletzt.

Gigantisch und temporär

Die Kosten des Holzprovisoriums werden auf über 8 Millionen Franken geschätzt. Insgesamt werden dort 550 Personen, darunter fast 300 Juristinnen und Juristenen, darin Platz nehmen können. Für die Bevölkerung, Medien und weitere Verhandlungsparteien wurden zudem vierzehn Vorräume geschaffen.

Zuvor wurde darüber diskutiert, ob etwa ein Theatersaal für den gigantischen Prozess gewählt werden solle. Gerichtspräsident Jean-Michel Hayat erinnert sich im Interview mit «FranceInfo»: «Ich wurde von einem Kollegen angesprochen, der den ebenfalls sehr grossen Mont-Blanc-Tunnel-Prozess leitete. Durchgeführt wurde dieser in einem Raum, der für diesen Fall geeignet war. Es war aber kein Ort der Gerechtigkeit. Man hatte nicht den Eindruck, in einem Gerichtssaal zu sein.»

epa05216067 Bataclan theater venue prior to a French parliamentary enquiry commitee into possible security failings over two major terror attacks in Paris in 2015, visited the building in Paris, Franc ...
Das Bataclan wenige Monate nach den Anschlägen.Bild: EPA/EPA

Die Justiz musste sich nicht nur mit der Raum-Frage beschäftigen. Bei der Planung des Bataclan-Prozesses musste etwa auch berücksichtigt werden, dass während der achtmonatigen Verhandlungsdauer nicht das ganze Justizwesen von einem Fall gelähmt wird. Die Lösung ermögliche, so Hayat, dass die Justiz während dieser ganzen Dauer «zu hundert Prozent weiterhin funktioniert».

Verhandlungsort für weitere Anschläge

Ein weiterer Vorteil des eigens dafür eingerichteten Gerichtssaals: Die Zugänge zum Gebäude können so gestaltet werden, dass sie der Tragödie und möglicher weiterer Gefahr gerecht wird. So gibt es verschiedene Eingänge, die unterschiedlich gut gesichert sind. Zudem schafft es Raum für Betreuerinnen und Betreuer, die während der Verhandlung die Anschlagspfer und ihre Angehörige unterstützen können.

Ewigs wird dieser Komplex nicht stehen. Geplant ist jedoch, dass das Provisorium wenigstens bis und mit 2023 bleibt, um weitere Anschlagsfälle wie jene von Nizza oder «Charlie Hebdo» – sowie allfällige Berufungsverhandlungen – am gleichen Ort beraten zu können.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Blumen beim Bataclan: Staatschefs trauern um die Opfer
1 / 10
Blumen beim Bataclan: Staatschefs trauern um die Opfer
Nach seiner Landung in Paris am frühen Montagmorgen fuhr Obama als erstes zum «Bataclan» und legte Blumen nieder.
quelle: epa/reuters / philippe wojazer / pool
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Das könnte dich auch noch interessieren:
15 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Dörfu
02.09.2021 13:44registriert Januar 2019
Nach den Kosten fürs Gebäude, könnte bei den Strafmassnahmen gespart werden mit einer Ausschaffung nach Afghanistan. Die Taliban hätten ev. einen Platz für IS-Anhänger.
2317
Melden
Zum Kommentar
15
Erstes Mal seit 15 Jahren: Argentiniens Präsident Milei verkündet Überschuss
Rund vier Monate nach seinem Amtsantritt hat Argentiniens ultraliberaler Präsident Javier Milei den ersten Haushaltsüberschuss in einem Quartal seit über 15 Jahren verkündet.

Allein im März habe der Überschuss rund 276 Milliarden Peso (294 Mio. Euro) betragen, sagte Milei am Montag in einer Fernsehansprache. «Das ist das erste Quartal mit einem Haushaltsüberschuss seit 2008, ein Meilenstein, auf den wir alle stolz sein sollten, insbesondere angesichts des katastrophalen Erbes, das wir zu bewältigen hatten.»

Zur Story