Die Freude war gross, als Swissmedic am 10. Dezember verkündete, dass der Impfstoff von Pfizer/Biontech für Kinder im Alter von 5 bis 11 Jahren zugelassen wurde. Der Kreis der impfbaren Personen erhöhte sich auf einen Schlag um über 600'000 Menschen. Die Impfquote liesse sich theoretisch um sieben Prozent steigern.
Gute Nachrichten für die #Schweiz! Aber mit Wehmutstropfen: für viele Kinder leider zu spät, da sie sich schon angesteckt haben & selbst für die, die man bald impft, wird der Impfschutz erst ca. 5 Wochen nach Erstimpfung aufgebaut sein. #SARSCoV2 #COVID19 https://t.co/Qirls6LMMx
— Isabella Eckerle (@EckerleIsabella) December 10, 2021
Theoretisch. Bis jetzt wurde noch keine einzige Dosis des Kindervakzins verabreicht. Ende des Jahres sollen erste Dosen geliefert werden. Bis die erste Spritze verabreicht wird, dürfte es Januar werden.
Die Schweiz hinkt, wie bei der Booster-Kampagne auch, hinterher. Das verärgert Eltern und Ärzte, die angesichts der hohen Infektionszahlen so schnell wie möglich loslegen wollen. Doch das geht nicht, weil die Kindervakzine erst entwickelt werden mussten und es noch gar keine im Land hat.
Wie nötig diese Verzögerung ist, ist fraglich, denn im Grunde bräuchte es die speziell entwickelten Kindervakzine gar nicht. Sie unterscheiden sich nur in der Dosis von jenen für Erwachsene. Statt 30 Mikrogramm mRNA-Impfstoff enthalten sie 10 Mikrogramm. Zudem wurden Puffer-Salze beigefügt, doch diese sorgen lediglich dafür, dass die Dosen bis zu zehn Wochen im Kühlschrank aufbewahrt werden können.
Gegenüber der «Sonntagszeitung» forderte der Arzt Peter Tomasi deswegen, kleinere Dosen des normalen Pfizer-Impfstoffes an Kinder zu verabreichen. Er selbst habe dies bereits getan. «Ich wollte zeigen, dass die Kinderimpfung mit dem verfügbaren Impfstoff problemlos möglich ist», sagte er. Österreich empfiehlt die Off-Label-Nutzung sogar explizit.
Für Tomasi ist es deswegen «schwer nachvollziehbar», warum das BAG und die Eidgenössische Kommission für Impffragen EKIF keine vorübergehende Empfehlung für den verfügbaren Impfstoff abgeben hat. Nun wartet auch er auf die ersten Lieferungen.
Viele Hausärzte tun es Peter Tomasi gleich und warten ab. Denn ohne eine Empfehlung der Behörden für eine Off-Label-Nutzung ist unklar, wer bei Schäden haftet.
Stellt sich die Frage, ob die Eile gewisser Ärzte und Eltern gerechtfertigt ist. Bei der EKIF scheint man dies nicht so zu sehen. Sie rät nicht nur von einer Off-Label-Nutzung ab, sie empfiehlt die Impfung momentan auch nur für:
Bei allen anderen Kindern fordert die EKIF die Eltern dazu auf, die Kosten-Nutzen-Rechnung selbst zu machen. Olivia Keiser, Epidemiologin an der Universität Genf, zeigt sich irritiert ob dieser Entscheidung: «Ich verstehe nicht, warum die EKIF die Impfung nicht für alle Kinder explizit empfehlen will.» Man könne damit PIMS und Long Covid Fälle verhindern und erst noch zum Eindämmen der Pandemie beitragen.
In den USA, wo man bereits Millionen Kinder geimpft habe, hätte sich gezeigt, dass die Impfung effektiv sei und noch weniger Nebenwirkungen auftreten würden als bei Erwachsenen. Für Keiser ist deshalb klar: «Ich würde die Impfung definitiv allen Kindern empfehlen, für welche die Impfung zugelassen worden ist.»
Tatsächlich sind die Daten aus den USA sehr ermutigend. Bevor diese im Detail angeschaut werden, muss jedoch zuerst eruiert werden, welche Risiken Covid für Kinder birgt.
Prinzipiell lässt sich sagen, dass eine Infektion bei Kindern oftmals sehr viel milder verläuft als bei Erwachsenen. Gemäss einer Studie aus Deutschland müssen 0.36 Prozent der infizierten Kinder hospitalisiert werden. Das BAG listet bisher zwei Todesfälle bei Kindern zwischen 0 und 9 Jahren. In den USA sind es rund 800 (bis 18 Jahre).
Noch seltener ist das PIMS-Syndrom (Pädiatrisches Multisystemisches Inflammatorisches Syndrom). Auf etwa 5000 infizierte Kinder kommt eines, das PIMS entwickelt. Damit ist allerdings nicht zu spassen: 75 Prozent der Kinder entwickeln eine schwere Herzmuskelentzündung. Interessant dabei: Die Kinderstudie aus Deutschland kam zu dem Ergebnis, dass gesunde Kinder ein zwei- bis dreifach höheres Risiko hatten, PIMS zu entwickeln, als Kinder mit Vorerkrankungen.
Die letztlich grösste Gefahr für Kinder stellt Long Covid dar. Wie viele Long Covid entwickeln, darüber ist sich die Wissenschaft noch nicht ganz einig. Die Schätzungen liegen meist zwischen zwei und sechs Prozent. In der Schweiz geht man deswegen davon aus, dass bereits rund 10'000 Kinder unter Long-Covid-Symptomen leiden.
Diese Risiken kann man nun jenen der Impfung gegenüberstellen. Die Zulassungsstudie von Pfizer/Biontech aus den USA kam zu dem Ergebnis, dass die Impfung zu rund 91 Prozent vor symptomatischer Erkrankung schützt.
In der Studie wurde ein kritisches Auge auf Herzmuskelentzündungen geworfen, da sich in den vergangenen Monaten die Meldungen von Jugendlichen, die nach einer mRNA-Impfung an einer Myokarditis litten, häuften. In den USA betraf dies ungefähr einen von 16'000 Männern im Alter von 12 bis 17 Jahren. Bei Frauen lag der Anteil bei 1:150'000. Nochmals zum Vergleich: Das Risiko einer Herzmuskelentzündung durch PIMS liegt bei ungefähr 1:6000.
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Bei der Zulassungsstudie der Kinderimpfung entwickelte keines der 2268 Kinder eine Myokarditis. Bei den über 6 Millionen geimpften Kindern in den USA wurde bisher ebenfalls kein einziger Fall von Herzmuskelentzündung gemeldet.
Kommt hinzu, dass Herzmuskelentzündungen, die durch eine Covid-Erkrankung ausgelöst wurden, schon in verschiedenen Studien als sehr viel schwerwiegender beschrieben wurden.
Über den Schutz der Impfung vor Long Covid bei Kindern gibt es noch keine belastbaren Daten. Bei Erwachsenen hat sich jedoch gezeigt, dass die Impfung auch da präventiv wirkt. Es ist deswegen anzunehmen, dass dies auch bei Kindern der Fall ist. Alleine schon deswegen, weil die Impfung zu rund 50 Prozent vor Infektion schützt.
Bislang zeigen die Daten also, dass die Vorteile der Impfung in jedem Punkt überwiegen. Sowohl für die Kinder selbst, als auch aus gesamtgesellschaftlicher Sicht: Sind die Kinder besser vor Infektion geschützt, so verbreitet sich das Virus auch weniger.
Doch bei dieser Überlegung wurde Omikron nicht berücksichtigt. Erste Untersuchungen zeigen, dass zwei Dosen mRNA-Impfstoff kaum mehr vor einer Ansteckung mit Omikron schützt. Erst der Booster hebt den Infektionsschutz wieder ungefähr auf ein Delta-Level.
First Omicron neutralization data from our lab using primary Omicron isolate from Tyrol with @AnnikaRoessler @LydiaRiepler @doctorflew and Dorothee von Laer @imed_tweets pic.twitter.com/ids3fpxr47
— Janine Kimpel (@JanineKimpel) December 8, 2021
Dabei stellt sich die Frage nach dem Zeitpunkt der Impfung. Bei vielen Probanden lag die zweite Dosis bereits einige Monate zurück, die Anzahl Antikörper war dementsprechend geringer als kurz nach der Impfung. Es kann also sein, dass die zweite Impfung für kurze Zeit – wenn die Anzahl Antikörper auf dem Peak ist – ebenfalls gewissermassen vor Omikron schützt. Das sind jedoch Spekulationen, es fehlen momentan schlicht die Daten.
Was jedoch klar ist: Auch zwei Dosen schützen vor einem schweren Verlauf mit Omikron. Die Tatsache, dass sich die neue Variante viel schneller verbreitet als Delta, verleiht diesem Argument zusätzliches Gewicht.
Zudem erübrigt sich die Diskussion über Sinn und Unsinn einer Kinderimpfung trotz Omikron, wenn man bedenkt, dass es für die dritte Booster-Impfung vorher zwei normale Dosen braucht. Oder wie Olivia Keiser es formuliert:
Aber wie heisst es in der Bibel schon: Jeder ist sich selbst der nächste.
Die Schweiz hinkte bei der Erstimpfung hinterher, die Schweiz hinkt beim Booster hinterher, die Schweiz hinkt bei Kinderimpfungen hinterher. Wer was anderes erwartet, als dass die Schweiz auch weiterhin hinterherhinken wird, ist per Definition wahnsinnig... 🤷