Die südafrikanische Provinz Gauteng war bis vor kurzem das Epizentrum der von Omikron getriebenen vierten Infektionswelle in Südafrika. Doch nun zeigen neuste Zahlen, dass die Kurve der Neuinfektionen in dieser Provinz, die den Grossraum um die Metropole Johannesburg und die Hauptstadt Pretoria umfasst, abzuflachen scheint: Der südafrikanische Gesundheitsminister Joe Phaahla sagte am 17. Dezember, es gebe erste Anzeichen dafür, dass der Höhepunkt in der Provinz überschritten sei.
In den letzten fünf Tagen sank die Zahl der Neuansteckungen in Gauteng: Die 7-Tage-Inzidenz ging von über 10'000 Fällen auf unter 8000 zurück. Zugleich stieg aber die Zahl der Neuinfektionen im gesamten Land weiter an. Gauteng, das vor knapp zwei Wochen noch 70 bis 80 Prozent der Neuansteckungen in Südafrika verzeichnete, kommt nun nur noch auf einen Anteil von 25 Prozent. Die vierte Welle hat zudem in Südafrika die Höchstwerte der vorherigen Wellen deutlich überschritten: Während in der zweiten Woche der dritten Welle landesweit rund 4400 Fälle pro Tag verzeichnet wurden, waren es in der vierten Welle zur selben Zeit etwa 20'000.
Turned! ????
— Ridhwaan Suliman (@rid1tweets) December 18, 2021
Confirmed #COVID19 cases in Gauteng ???? now on a decline, having peaked at case incidence of ~67 new cases per 100k, ~90% of delta wave peak, and currently showing a halving time of ~11 days ??#Omicron #OmicronVariant #Gauteng #Covid_19 pic.twitter.com/XLQbHZ1XaI
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SA (#Gauteng) R fällt, Einweisungen fallen, pic.twitter.com/0HvPY6ux9x
— Jürgen Funck (@Drjuergen_funck) December 18, 2021
Die Daten aus Gauteng geben – bei aller Vorsicht – Anlass zur Hoffnung. Immerhin scheint es, als habe die Welle in Gauteng ihren Höhepunkt erreicht, bevor sie die lokale Bevölkerung vollständig erfasst hatte. Die Daten werfen aber auch Fragen auf: Welche Faktoren könnten zur Abflachung der Infektionskurve in Gauteng beigetragen haben? Steht Gauteng als Ausnahme da oder gibt es weitere Beispiele dafür, dass die Omikron-Welle bereits ihren Höhepunkt erreicht hat?
Die südafrikanische Regierung geht davon aus, dass sich ein grosser Teil der Bevölkerung bereits während der vorherigen Wellen mit dem Coronavirus infiziert hat und überdies die Impfkampagne Fortschritte macht. Gemäss Ergebnissen von Antikörpertests dürften zwischen 70 und 80 Prozent der Bevölkerung bereits eine Covid-Infektion gehabt haben. Vollständig geimpft sind allerdings erst rund 31 Prozent der Bevölkerung. Bei den Personen, die älter als 60 Jahre sind und bei denen die Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufs grösser ist, liegt die Impfquote jedoch bei 66 Prozent.
Diese beiden Faktoren könnten auch dazu beigetragen haben, dass die Krankenhauseinweisungen und Todesfälle in Südafrika in der vierten Welle zwar zugenommen haben, aber weit weniger als bei vorherigen Wellen. Die Übersterblichkeit liegt bei einem Achtel, verglichen mit der dritten und zweiten Welle. Während 19 Prozent der nachgewiesenen Covid-Fälle in der zweiten Woche der dritten, von der Delta-Variante getriebenen Welle hospitalisiert wurden, waren es im gleichen Zeitraum der vierten Welle lediglich 1,7 Prozent. Auch die Dauer der Krankenhausaufenthalte nahm im Vergleich zur dritten Welle deutlich ab; im Mittel verkürzte sie sich von bis zu zehn Tagen auf weniger als die Hälfte, wie die Nachrichtenagentur SDA am Freitag berichtete.
In South Africa, we’re thankfully seeing a striking decoupling between new Covid cases and ICU admissions and deaths. Whether #Omicron is inherently less virulent, whether this hopeful finding is result of baseline immunity in infected, or a combination of both, is still unclear. pic.twitter.com/xtmCSdpCNc
— Scott Gottlieb, MD (@ScottGottliebMD) December 19, 2021
Der Virologe Trevor Bedford vom Seattle Fred Hutchinson Cancer Research Center weist gegenüber der «New York Times» darauf hin, dass der Wendepunkt der Infektionskurve in Gauteng auch mit der limitierten Testkapazität zu tun haben könnte. Die Zahl der Tests beeinflusst naturgemäss die Zahl der gefundenen Fälle. Die Dunkelziffer der nicht erfassten Fälle könnte ausserdem bei Omikron höher liegen, da diese Virus-Variante vermutlich milder ist und es daher mehr Infizierte mit milden Symptomen gibt, die sich weniger testen lassen. Bedford schätzt grob, dass einer von zehn gemeldeten Fällen in Südafrika in Wahrheit einer von 20 oder gar 30 sein könnte. Bei gleicher Fallzahl könnten so bei Omikron dreimal so viele Infektionen vorliegen wie bei Delta.
Bedford vermutet ausserdem, dass nicht die gesamte Bevölkerung anfällig für Omikron sein könnte, sondern lediglich etwa die Hälfte. Als weitere Erklärung zieht er einen Netzwerk-Effekt hinzu: Wenn das Virus eine Population durchdringe, würden sich die Übertragungsketten quasi um sich selber drehen und so öfter auf jemanden treffen, der bereits infiziert wurde.
In Grossbritannien, wo die Omikron-Variante laut dem britischen Gesundheitsministerium bereits 60 Prozent aller Fälle ausmacht, befürchten Experten, dass die Zahl der täglichen Neuinfektionen bis Ende Jahr auf bis zu zwei Millionen steigen könnte, wenn keine Massnahmen dagegen ergriffen würden. Nachdem die Infektionszahlen dort praktisch jeden Tag neue Rekorde erreichen und London den Katastrophenfall erklärte, gibt es indes Anzeichen dafür, dass die Zahlen in der britischen Hauptstadt nun leicht zurückgehen. Darauf verweist François Balloux, Professor für Computerbiologie am University College London, in einem Tweet:
There are also some early signs suggesting that the Omicron wave in the UK may be following a similar dynamic to that previously seen in South Africa, with daily infection numbers possibly reaching a peak in London.
— Prof Francois Balloux (@BallouxFrancois) December 19, 2021
5/https://t.co/9Lr4JbMfRc pic.twitter.com/880RoVjIhV
Diese Zahlen sind allerdings mit angemessener Zurückhaltung zu interpretieren. Sie beruhen auf Schätzungen und könnten zudem auch teilweise durch eine verzögerte Übermittlung von Testresultaten verursacht sein. Es ist daher noch zu früh, London eine Trendwende zu attestieren.
Ein Blick auf die Ausbreitung der Delta-Variante in verschiedenen Ländern zeigt übrigens, dass die von ihr getriebenen Wellen jeweils etwa zwei Monate dauerten. In Indien, wo diese ursprünglich «indische Variante» genannte Mutante erstmals nachgewiesen wurde, erreichte die Welle im Mai nach einem steilen Anstieg ihren Höhepunkt und flachte danach sehr schnell wieder ab.
Omikron ist jedoch eine neue Variante, die sich von Delta unterscheidet. Sie ist deutlich ansteckender, könnte aber eher mildere Verläufe verursachen als Delta. Dies könnte daran liegen, dass die Viren der Omikron-Variante die Lunge weniger stark infizieren; im Vergleich zum ursprünglichen Virusstamm aus Wuhan sogar rund zehnmal weniger, wie eine noch nicht im Peer Review bestätigte Studie der Universität von Hongkong zeigte. Hingegen vermehrt sich die neue Variante in den Bronchien laut derselben Studie etwa 70-mal schneller als die Delta-Variante, was wohl ein Grund für ihre hohe Ansteckungsfähigkeit ist. (dhr)