Die Tampa Bay Lightning sind das beste Eishockey-Team der Gegenwart. Sie haben die letzten Jahre in der Regular Season jeweils dominiert und in der Nacht auf Donnerstag auch zum zweiten Mal in Serie den Stanley Cup gewonnen. Der Grund für den Erfolg ist schnell erklärt: Die «Bolts» haben schlicht und einfach ein überragendes Team.
Andrei Vasilevsky ist der beste Torhüter der Liga, Victor Hedman der wohl kompletteste Verteidiger. Vorne glänzt Nikita Kucherov nach seiner Hüftoperation wie eh und je und wird dabei unterstützt von den ebenfalls überragenden Brayden Point und Steven Stamkos. Doch Tampa Bay ist mehr als nur seine Stars: Mit Blake Coleman, Barclay Goodrow, Yanni Gourde, Eric Cernak oder Mikhail Sergachev verfügt die Mannschaft von John Cooper eben auch über eine hervorragende zweite Garde. Doch das droht sich jetzt zu ändern.
Denn nach dem Stanley-Cup-Triumph ist vor der Off-Season. Und dort wird der neue alte Champion aufgrund von Expansion Draft und Problemen mit dem Salary Cap einen beträchtlichen Teil der Meistermannschaft verlieren.
In der Nacht auf den 22. Juli findet der Expansion Draft statt, wo die neue NHL-Franchise der Seattle Kraken ihr erstes Team zusammenstellen darf. Dabei kann die Organisation von jedem der restlichen NHL-Teams ausser den Vegas Golden Knights einen Spieler auswählen.
Zwar dürfen die Mannschaften im Expansion Draft eine gewisse Anzahl der eigenen Spieler schützen – entweder einen Goalie, sieben Stürmer und drei Verteidiger oder einen Goalie und acht frei wählbare Skater. Doch Tampa Bay hat so viele gute Spieler, dass sie zwangsläufig einige davon ungeschützt lassen müssen.
Die Stürmer Nikita Kucherov und Steven Stamkos sowie Verteidiger Victor Hedman müssen aufgrund ihrer No-Move-Klausel sowieso geschützt werden. Wenn General Manager Julien BriseBois alle seine guten Stürmer schützen will und die Option 7-3-1 wählt, dann bleiben entweder Erik Cernak oder Mikhail Sergachev ungeschützt. Beides sind gute Verteidiger für das zweite oder erste Paar.
Aktuell scheint es allerdings so, dass Brise Bois eher darauf tendiert, den Kern der Verteidigung zusammenzuhalten. Das würde bedeuten, dass er die Option wählt, acht Skater und einen Goalie zu schützen. In diesem Fall würden in der Verteidigung neben Hedman noch Ryan McDonagh, Erik Cernak und Mikhail Sergachev geschützt. Bei den Stürmern wären neben Kucherov und Stamkos auch Brayden Point und wohl Anthony Cirelli für Seattle nicht wählbar.
Das würde bedeuten, dass Yanni Gourde (Letzte Saison: 56 Spiele, 17 Tore, 19 Assists), Ondrej Palat (55 Spiele, 15 Tore, 31 Assists) oder Tyler Johnson (55 Spiele, 8 Tore, 14 Assists) zu den Kraken stossen könnten.
Johnson wuchs in Spokane im Bundesstaat Washington auf, rund vier Autostunden von Seattle entfernt und wäre deshalb eigentlich die logische Wahl. Gourde oder Palat wären von der Spielanlage her allerdings attraktiver. Damit die Kraken freiwillig auf einen der beiden verzichten und Johnson nehmen, müsste Tampa in einem Seitendeal wohl noch etwas Zusätzliches anbieten.
Die Corona-Krise hat dafür gesorgt, dass der Salary Cap – also die Lohnobergrenze – in der NHL in den nächsten Jahren nicht oder nur langsam ansteigt. Auch in der nächsten Saison darf deshalb die Lohnobergrenze von 81,5 Millionen Dollar nicht überschritten werden.
Der Salary Cap dürfte Tampas GM Julien BriseBois fast noch mehr Kopfschmerzen bereiten als der Expansion Draft. Denn die Mannschaft der Lightning ist zu teuer. Damit das Team auf letzte Saison hin überhaupt zusammengehalten werden konnte, musste Nikita Kucherov nach einer Hüftoperation auf die gesamte Regular Season verzichten. Erst auf die Playoffs, wo die Salary-Cap-Beschränkungen nicht mehr gelten, kam der Russe mit seinem 9,5-Millionen-Cap-Hit zurück und dominierte. Die «Bolts» holten mit einer Mannschaft, die rund 18 Millionen US-Dollar über dem Cap lag, den Stanley Cup.
Doch nun sind die Playoffs vorbei und es gelten wieder die üblichen Lohn-Restriktionen. Tampa liegt bereits rund 3,5 Millionen über dem Cap und hat nur 17 Spieler im Kader. Während der Off-Season ist das ok, doch ab Saisonstart nicht mehr. Das bedeutet, dass sie viele ihrer Spieler mit auslaufendem Vertrag nicht werden halten können und sich darüber hinaus wohl auch noch von zusätzlichen Spielern verabschieden müssen.
Die Stürmer Blake Coleman und Barclay Goodrow sowie die Verteidiger David Savard und Luke Schenn waren wichtige Puzzleteile auf dem Weg zu Tampas zweitem Stanley Cup in Serie. Doch alle vier haben für nächstes Jahr keinen Vertrag mehr und sind Unrestricted Free Agents, dürfen also frei mit allen NHL-Teams verhandeln. Aufgrund ihrer Leistungen im letzten Jahr dürften alle eine Lohnerhöhung erhalten, die sich die «Bolts» schlicht nicht leisten können. Es scheint also realistisch, dass keiner von ihnen in Westflorida bleibt.
17 Spieler reichen allerdings nicht, um durch eine NHL-Saison zu kommen. Der Tampa-GM wird also weitere Verträge abschliessen müssen. So gesehen, ist der Expansion Draft ein versteckter Segen – geht Johnson, Gourde oder Palat nach Seattle, fallen in jedem Fall rund 5 Millionen Cap-Space aus der Rechnung.
Doch damit sind die Cap-Probleme von Julien BriseBois noch nicht gelöst. Um zusätzliche, wenn auch günstige Spieler zu verpflichten, braucht er weiteren Cap-Space. Dafür wird er sich von anderen Teilen des Meisterteams trennen müssen. Eine Möglichkeit wäre, einen oder zwei der teureren Spieler (etwa Yanni Gourde, Mikhail Sergachev oder auch Alex Killorn) gegen Draft-Picks in diesem Jahr oder Prospects, deren Entry-Level-Vertrag noch zwei oder drei Jahre läuft, einzutauschen und gleichzeitig die eigenen Talente in die Mannschaft einbauen.
So könnte BriseBois Cap-Space frei schaffen und den Kern der Mannschaft mit talentierten, aber gleichzeitig günstigen Spielern umgeben. Die General Manager der anderen Teams täten gut daran, früh bei den Tampa Bay Lightning anzuklopfen.
Nein. Der Kern der Mannschaft ist auch mit Abstrichen gut genug, um in der NHL vorne mitzumischen, sofern die Unterstützung aus den hinteren Reihen einigermassen stimmt. Und Julien BriseBois hatte genügend Zeit, um sich auf die aktuellen Probleme einzustellen. Er wird einen Plan im Kopf haben, um sie lösen zu können, muss dafür aber proaktiv sein.
Als neutraler Zuschauer wird der NHL-Sommer deshalb spektakulär. Neben Tampa haben auch Pittsburgh und die New York Islanders gewisse Cap-Probleme. Bei den Buffalo Sabres geht es darum, möglichst viel aus einem Trade von Jack Eichel herauszuholen. Und über all dem steht die drohende Gefahr, dass der Expansion Draft nochmals alles durcheinanderwirbelt.