«Dottore», wir können uns vorstellen, dass Sie die gleichen Bilder gesehen haben wie wir gestern Abend. Wie haben Sie sich dabei gefühlt?
Es ist immer sehr hart, es sind schockierende Bilder, die wir nicht gerne sehen. Wir haben solche Bilder schon gesehen, mit unterschiedlichem, manchmal tragischem Ausgang. Als Arzt, auch wenn man nicht im Einsatz ist, spürt man den Stress in sich aufsteigen, als wäre man dabei.
Aus einer professionellen Sicht, wie beurteilen Sie, was passiert ist?
Als Fussballmannschaftsarzt zieht man immer zwei Szenarien in Betracht, wenn ein Spieler zu Boden geht: ein physisches Problem aufgrund eines Zweikampfs oder ein individueller Zusammenbruch. Bei einem durch einen Zweikampf verletzten Spieler weiss man sofort, was passiert und was zu tun ist. Bei einem Zusammenbruch wie dem von Eriksen ist die Beurteilung komplizierter, aber man weiss sofort, dass etwas Ernstes passiert ist. Ich wusste gestern Abend sofort, dass es ernst war.
Wir waren alle erstaunt, einen Spieler vom Niveau eines Christian Eriksen auf diese Art und Weise zusammenbrechen zu sehen. Wie kann das passieren?
Das erscheint durchaus überraschend, zumal in Italien (Anm. d. Red.: Eriksen spielt für Inter Mailand) die Spieler mehrmals während der Saison umfangreichen medizinischen und kardiologischen Tests unterzogen werden. Und natürlich hat Eriksen sie auch mit seiner Nationalmannschaft durchlaufen. Allerdings sind manche Herzprobleme manchmal nicht nachweisbar, und ich denke, dass das bei Eriksen der Fall war.
Das kann also jedem passieren?
Nein, nicht jedem. Wir sprechen hier von versteckten, schwer zu erkennenden Problemen, die nicht jeder hat. Oft handelt es sich um eine Herzrhythmusstörung, die sehr schwer zu erkennen ist.
In der vergangenen Nacht wurde das Interventionsverfahren von der breiten Öffentlichkeit gelobt. Sind Sie damit einverstanden?
Ja, das Eingreifen des medizinischen Teams war sehr schnell, was entscheidend sein kann. Eine Sache, die man bedenken sollte, ist, dass das Herz von Christian Eriksen aufhörte zu schlagen, als das medizinische Team bei ihm war. Hätte sein Herz sofort nach dem Kollaps aufgehört zu schlagen, hätte es komplizierter werden können, da die ersten zwei Minuten lebenswichtig sein oder langfristige Hirnschäden hinterlassen können.
Wenn ein ähnlicher Vorfall auf Amateurebene, ohne medizinisches Team, eintreten würde, wie würde man dann vorgehen? Rufen Sie sofort 144 (Notruf) an. Es sollten auch mehrere Personen auf dem Spielfeld sein (Trainer, Manager oder Spieler), die wissen, welche Erste-Hilfe-Massnahmen erforderlich sind. In Italien werden alle Amateurspieler jedes Jahr auf ihr Herz getestet und wenn ein Problem festgestellt wird, wird die Lizenz entzogen. Dies ist eine Möglichkeit, Spieler auf allen Ebenen zu schützen.
Haben Sie in Ihrer langen Sportkarriere ähnliche Erfahrungen gemacht?
Nicht so schlimme, nein. Einmal, in den 1980er-Jahren, brach in Italien ein Spieler auf dem Spielfeld zusammen, weil er einen Druckabfall hatte. Ich ging sofort auf das Spielfeld, aber der Schiedsrichter wollte mich vom Platz schicken. Selbst am Ende des Spiels bestand er darauf, dass ich nicht auf das Spielfeld hätte gehen dürfen, die Mentalität war damals anders. Heute achten die Schiedsrichter und alle am Fussball Beteiligten viel mehr auf die Gesundheit der Spieler, und das ist gut so.
Müssen wir uns Sorgen um die Zukunft von Christian Eriksens Karriere machen oder können wir optimistisch sein, dass er bald wieder auf dem Platz stehen wird?
Alles wird von der Diagnose abhängen, von der Ursache seines Herzleidens, ob es behandelbar ist oder nicht. Damit er in Italien wieder spielen kann, muss er sich allen notwendigen Tests unterziehen. In der Vergangenheit habe ich Spieler gekannt, die nach Japan oder anderswohin gegangen sind, weil sie in Italien nicht mehr spielen konnten. Ich hoffe, dass das bei Christian nicht der Fall sein wird, und ich wünsche ihm eine schnelle Genesung und eine baldige Rückkehr auf das Fussballfeld.