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Diese vier Gefahren bedrohen die amerikanische Demokratie

President Donald Trump talks with reporters before departing from Morristown Municipal Airport in Morristown, N.J., Sunday, Aug. 9, 2020. Trump was returning to Washington after spending the weekend a ...
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Analyse

Diese vier Gefahren bedrohen die amerikanische Demokratie

Die Angst geht um, dass die USA zu einem autoritären Staat werden. Diese Angst ist berechtigt – und nicht nur Donald Trump ist daran Schuld.
11.08.2020, 10:0411.08.2020, 10:53
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Die Vereinigten Staaten von Amerika rühmen sich, die «Mutter der Demokratie» zu sein. Das ist nur teilweise richtig. Zwar haben die Gründungsväter in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit der amerikanischen Verfassung die Blaupause für den modernen demokratischen Staat geschaffen. Mit der Umsetzung in die Realität hat es jedoch gehapert.

Thomas Jefferson, James Madison & Co. haben in der Unabhängigkeitserklärung festgehalten, dass alle Menschen gleich seien. Das hat sie nicht gehindert, die Sklavenwirtschaft nicht abzuschaffen, ja sie waren teils selbst Sklavenhalter.

In this image released by Disney Plus, Daveed Diggs portrays Thomas Jefferson in a filmed version of the original Broadway production of "Hamilton." (Disney Plus via AP)
Szene aus dem Kult-Musical «Hamilton» in dem Thomas Jefferson von einem Schwarzen gespielt wird.Bild: keystone

Nach dem Bürgerkrieg erhielten die Schwarzen nicht nur die Freiheit, sondern auch die Bürgerrechte. Doch diese wurden ihnen bald mit den sogenannten Jim-Crow-Gesetzen wieder weggenommen. Es brauchte die Bürgerrechtsbewegung, um diese Apartheid zu überwinden. «Erst seit den 1970-er Jahren können sich die Vereinigten Staaten eine robuste und inklusive Demokratie nennen», stellen Suzanne Mettler und Robert C. Lieberman im Magazin «Foreign Affairs» fest.

Mettler ist an der Cornell University tätig, Lieberman an der Johns Hopkins University.

Immerhin, seit einem halben Jahrhundert sind Demokratie, Rechtsstaat und Meinungsfreiheit zentrale Elemente der USA und fest in der Gesellschaft verankert. Selbst Donald Trump werde daran nicht rütteln können, lautet eine weit verbreitete Meinung. Letztlich würden sich, wie bisher stets in der US-Geschichte, die «guten Engel» durchsetzen. Oder doch nicht?

Mettler und Lieberman warnen, dass die US-Demokratie derzeit von vier Seiten bedroht ist. Jede von ihnen stellt eine potenziell tödliche Gefahr dar. Sie stellen fest:

«Es ist dieses noch nie dagewesene Zusammentreffen (…), das der gegenwärtigen Krise der amerikanischen Demokratien zugrunde liegt. Die Gefahren haben sie tief eingegraben, und sie werden wahrscheinlich andauern und noch für einige Zeit für Chaos sorgen.»

Schauen wir uns diese vier Gefahren genauer an:

Die Parteien sind Todfeinde geworden

In der amerikanischen Politik wurde seit jeher mit harten Bandagen gekämpft. Selbst die Gründungsväter haben sich abgrundtief gehasst. Trotzdem war es zumindest nach dem Zweiten Weltkrieg lange so, dass Republikaner und Demokraten einander leben liessen. So ergab eine Meinungsumfrage in den 1950-er Jahren, dass es einer grossen Mehrheit der Amerikaner egal war, wenn ihre Kinder ein Mitglied der anderen Partei heiratete. Heute pocht eine Mehrheit darauf, dass ihre Söhne oder Töchter sich einen Partner aus der gleichen Partei aussuchen.

Die extreme Polarisierung der beiden Parteien hat sinnvolle Kompromisse fast unmöglich gemacht. Ob Demokraten oder Republikaner, beide richten ihr Handeln und ihre Strategien einzig darauf, als Sieger dazu stehen.

Das Scheitern der aktuellen Verhandlungen über die Corona-Hilfe ist bloss das letzte Beispiel: Obwohl Millionen von Menschen auf diese Hilfe angewiesen sind, ist kein Kompromiss zustande gekommen.

Mettler/Lieberman stellen fest:

«Wenn die Mitglieder einer Partei ihre Gegner als existenzielle Bedrohung betrachten, die ihre bedeutendsten Werte in Frage stellen, dann wollen sie sie um jeden Preis besiegen, selbst wenn dabei demokratische Spielregeln missachtet werden. Sie betrachten die Opposition nicht mehr als legitim und suchen nach Wegen, sie für immer von der Macht fernzuhalten.»

Rassismus

Oberflächlich scheint die Sklaverei überwunden zu sein. Wer heute beispielsweise das «N-Wort» ausspricht, begeht politischen Selbstmord. Doch die Rassentrennung ist damit keineswegs überwunden. Heute noch versuchen Weisse, mit Tricks und teilweise mit Gewalt, die Farbigen von der Wahlurne fernzuhalten.

Mit dem sogenannten «Gerrymandering» werden Wahlbezirke zugunsten der Weissen eingeteilt. Mit willkürlichen Vorschriften Schwarze benachteiligt, und die Trump-Regierung will mit aller Macht eine briefliche Abstimmung verhindern.

Mettler/Lieberman stellen fest:

«Heute überlagern sich einmal intensive Polarisierung mit dem Konflikt zwischen einer egalitären Vision der Gesellschaft mit der Vision der weissen Vorherrschaft. (…) Die politische Kluft wird verstärkt durch die zunehmende Ablehnung der Immigration und den brodelnden Zwist über den Status von Immigranten. Das sorgt für sehr volatile politische Verhältnisse.»

Wachsende Ungleichheit

Die Depression der 1930-er Jahre hat die einst grossen Reichtumsunterschiede in der amerikanischen Gesellschaft zu einem guten Teil eingeebnet. Heute ist die Kluft zwischen arm und reich wieder so gross wie in keinem anderen Industrieland. Die neuen Superreichen der USA sind in der Lage, die Politik zu kaufen und so ihren Interessen zum Durchbruch zu verhelfen.

Mettler/Lieberman stellen fest:

«Wenn sich die Regierung primär an die Superreichen wendet, dann verwandelt sie sich in eine Oligarchie, die vor allem die Interessen der Reichen beschützt. Eine funktionierende Demokratie ist nicht in deren Interesse.»

Die imperiale Präsidentschaft

Das ursprüngliche System der «checks and balances» des amerikanischen Demokratiemodells ist darauf ausgerichtet, das Machtverhältnis zwischen Regierung, Parlament und Justiz sorgfältig auszubalancieren. Auch die Pressefreiheit ist ein wichtiger Teil dieses Systems.

Allmählich hat sich diese Machtbalance immer mehr zugunsten des Präsidenten verschoben. Im Zweiten Weltkrieg hat Franklin Roosevelt den Krieg zum Anlass genommen, seine Machtfülle zu vergrössern. In den 1970-er Jahren missbrauchte Präsident Richard Nixon den Polizeiapparat gegen seine politischen Feinde.

President Donald Trump speaks during an event at the Whirlpool Corporation facility in Clyde, Ohio, Thursday, Aug. 6, 2020. Trump is in Ohio to promote the economic prosperity that much of the nation  ...
Betrachtet die Präsidentschaft als seinen persönlichen Besitz: Donald Trump.Bild: keystone

Donald Trump hat diese Tendenz auf die Spitze getrieben. Er hat mehrfach erklärt, als Präsident könne er allein entscheiden. Er hat seinen Mitarbeitern untersagt, vor dem Kongress auszusagen und er lässt eine Armada von Anwälten auffahren, um zu verhindern, dass er seine finanziellen Verhältnisse offen legen muss. Sein korrupter Justizminister William Barr unterstützt in dabei nach Kräften.

Überhaupt ist Trump das Resultat der vier geschilderten Bedrohungen.

Mettler/Lieberman stellen fest:

«Trump ist die Personifikation der Polarisierung, vollständig abschätzig und bösartig gegenüber seinen Gegnern. Er feuert Rassismus nach Kräften an. Trotz seinen populistischen Wahlveranstaltungen ist sein Regierungsstil plutokratisch (…). Und mehr als jeder Präsident seit Nixon, betrachte Trump seine Präsidentschaft als seinen persönlichen Besitz.»

Fazit

Benjamin Franklin hat einst den Gründungsvätern zu ihrer Republik gratuliert, «falls sie sie auch behalten können». Angesicht der vier simultan auftretenden Gefahren für die Demokratie ist diese Warnung heute aktueller den je.

Mettler/Lieberman stellen fest:

«Die Amerikaner mögen sich im Glauben wiegen, ihre Demokratie würde auch diesen Angriff überstehen. Schliesslich hat das Land schon mehrfach solche Gefahren abgewehrt. Die Geschichte zeigt jedoch, dass die amerikanische Demokratie stets verwundbar war – und dass das Land noch nie so gefordert war wie jetzt.»
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91 Kommentare
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Frankygoes
11.08.2020 10:27registriert März 2019
Wir sollten unsere Lehren aus der Sache ziehen. Bei uns sind ähnliche Tendenzen zu beobachten. In der Politik z.B. geht's immer weniger um die Sache als um "die Linken" und "die Rechten" und auch bei uns geht die Lohnschere auf (wenn auch nicht ganz so arg).
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felixJongleur
11.08.2020 10:29registriert Dezember 2014
Es braucht dringend eine vielfältigere Parteienlandschaft. Republikaner und Demokraten (aka Republikaner light) sind einfach zu wenig. Genau durch die (oft fürs Heimpublikum gespielte) Feindschaft zwischen diesen Parteien die doch beide schlussendlich den Status Quo erhalten wollen wird die Bevölkerung mit identitätspolitischen Grabenkämpfen abgespeist anstatt dass wirklich fundamentale Veränderungen angegangen werden. Es braucht einen Wettbewerb zwischen den Parteien damit diese sich nie zu sicher sind, dass die Hälfte der Stimmen ja sowieso auf sicher ist.
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Rön73
11.08.2020 13:14registriert April 2019
Die Frage stellt sich, ob man bei einem 2 Parteiensystem noch von Demokratie reden kann.
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