Die Vereinigten Staaten von Amerika rühmen sich, die «Mutter der Demokratie» zu sein. Das ist nur teilweise richtig. Zwar haben die Gründungsväter in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit der amerikanischen Verfassung die Blaupause für den modernen demokratischen Staat geschaffen. Mit der Umsetzung in die Realität hat es jedoch gehapert.
Thomas Jefferson, James Madison & Co. haben in der Unabhängigkeitserklärung festgehalten, dass alle Menschen gleich seien. Das hat sie nicht gehindert, die Sklavenwirtschaft nicht abzuschaffen, ja sie waren teils selbst Sklavenhalter.
Nach dem Bürgerkrieg erhielten die Schwarzen nicht nur die Freiheit, sondern auch die Bürgerrechte. Doch diese wurden ihnen bald mit den sogenannten Jim-Crow-Gesetzen wieder weggenommen. Es brauchte die Bürgerrechtsbewegung, um diese Apartheid zu überwinden. «Erst seit den 1970-er Jahren können sich die Vereinigten Staaten eine robuste und inklusive Demokratie nennen», stellen Suzanne Mettler und Robert C. Lieberman im Magazin «Foreign Affairs» fest.
Mettler ist an der Cornell University tätig, Lieberman an der Johns Hopkins University.
Immerhin, seit einem halben Jahrhundert sind Demokratie, Rechtsstaat und Meinungsfreiheit zentrale Elemente der USA und fest in der Gesellschaft verankert. Selbst Donald Trump werde daran nicht rütteln können, lautet eine weit verbreitete Meinung. Letztlich würden sich, wie bisher stets in der US-Geschichte, die «guten Engel» durchsetzen. Oder doch nicht?
Mettler und Lieberman warnen, dass die US-Demokratie derzeit von vier Seiten bedroht ist. Jede von ihnen stellt eine potenziell tödliche Gefahr dar. Sie stellen fest:
Schauen wir uns diese vier Gefahren genauer an:
In der amerikanischen Politik wurde seit jeher mit harten Bandagen gekämpft. Selbst die Gründungsväter haben sich abgrundtief gehasst. Trotzdem war es zumindest nach dem Zweiten Weltkrieg lange so, dass Republikaner und Demokraten einander leben liessen. So ergab eine Meinungsumfrage in den 1950-er Jahren, dass es einer grossen Mehrheit der Amerikaner egal war, wenn ihre Kinder ein Mitglied der anderen Partei heiratete. Heute pocht eine Mehrheit darauf, dass ihre Söhne oder Töchter sich einen Partner aus der gleichen Partei aussuchen.
Die extreme Polarisierung der beiden Parteien hat sinnvolle Kompromisse fast unmöglich gemacht. Ob Demokraten oder Republikaner, beide richten ihr Handeln und ihre Strategien einzig darauf, als Sieger dazu stehen.
Das Scheitern der aktuellen Verhandlungen über die Corona-Hilfe ist bloss das letzte Beispiel: Obwohl Millionen von Menschen auf diese Hilfe angewiesen sind, ist kein Kompromiss zustande gekommen.
Mettler/Lieberman stellen fest:
Oberflächlich scheint die Sklaverei überwunden zu sein. Wer heute beispielsweise das «N-Wort» ausspricht, begeht politischen Selbstmord. Doch die Rassentrennung ist damit keineswegs überwunden. Heute noch versuchen Weisse, mit Tricks und teilweise mit Gewalt, die Farbigen von der Wahlurne fernzuhalten.
Mit dem sogenannten «Gerrymandering» werden Wahlbezirke zugunsten der Weissen eingeteilt. Mit willkürlichen Vorschriften Schwarze benachteiligt, und die Trump-Regierung will mit aller Macht eine briefliche Abstimmung verhindern.
Mettler/Lieberman stellen fest:
Die Depression der 1930-er Jahre hat die einst grossen Reichtumsunterschiede in der amerikanischen Gesellschaft zu einem guten Teil eingeebnet. Heute ist die Kluft zwischen arm und reich wieder so gross wie in keinem anderen Industrieland. Die neuen Superreichen der USA sind in der Lage, die Politik zu kaufen und so ihren Interessen zum Durchbruch zu verhelfen.
Mettler/Lieberman stellen fest:
Das ursprüngliche System der «checks and balances» des amerikanischen Demokratiemodells ist darauf ausgerichtet, das Machtverhältnis zwischen Regierung, Parlament und Justiz sorgfältig auszubalancieren. Auch die Pressefreiheit ist ein wichtiger Teil dieses Systems.
Allmählich hat sich diese Machtbalance immer mehr zugunsten des Präsidenten verschoben. Im Zweiten Weltkrieg hat Franklin Roosevelt den Krieg zum Anlass genommen, seine Machtfülle zu vergrössern. In den 1970-er Jahren missbrauchte Präsident Richard Nixon den Polizeiapparat gegen seine politischen Feinde.
Donald Trump hat diese Tendenz auf die Spitze getrieben. Er hat mehrfach erklärt, als Präsident könne er allein entscheiden. Er hat seinen Mitarbeitern untersagt, vor dem Kongress auszusagen und er lässt eine Armada von Anwälten auffahren, um zu verhindern, dass er seine finanziellen Verhältnisse offen legen muss. Sein korrupter Justizminister William Barr unterstützt in dabei nach Kräften.
Überhaupt ist Trump das Resultat der vier geschilderten Bedrohungen.
Mettler/Lieberman stellen fest:
Benjamin Franklin hat einst den Gründungsvätern zu ihrer Republik gratuliert, «falls sie sie auch behalten können». Angesicht der vier simultan auftretenden Gefahren für die Demokratie ist diese Warnung heute aktueller den je.
Mettler/Lieberman stellen fest: