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Weshalb die beruhigende Wirkung pinker Gefängniszellen ein Mythos ist

Dieser Anblick soll das Gemüt beruhigen: Zelle im Zentralgefängnis von Lenzburg.
Dieser Anblick soll das Gemüt beruhigen: Zelle im Zentralgefängnis von Lenzburg.bild: Alessandro Della Bella/Keystone

«Carlos» sieht rosa – weshalb die beruhigende Wirkung pinker Zellen ein Mythos ist

Die Legende vom angenehmen Effekt pink gestrichener Arrestzellen beruht auf pseudo-wissenschaftlichen Experimenten. Gewisse Insassen fühlen sich sogar in ihrem Männlichkeitsbild beleidigt und werden aggressiver.
26.10.2019, 19:58
Andreas Maurer / ch media
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Wenn das Gefängnispersonal im Fall «Carlos» nicht weiter weiss, heisst es: «Ab in die Arrestzelle». Sie ist pink gestrichen und soll eine beruhigende Wirkung entfalten. Brian K. hat viele seiner 1600 Hafttage hier verbracht. Das Schweizer Fernsehen machte ihn 2013 unter dem Pseudonym Carlos bekannt. Fortan möchte er aber mit richtigem Namen genannt werden, wie er dem Sender mitgeteilt hat.

Beim bekanntesten Gefängnisquerulanten des Landes liess sich die erhoffte Wirkung der Zellenfarbe aber nicht beobachten. Im Gegenteil: Er wurde noch aggressiver.

Das Resultat listet die Zürcher Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift auf. Brian K. schaffte es sogar, die eigentlich unverwüstbare Zelle zu verwüsten. Bei einem Vorfall kamen acht Aufseher zum Einsatz, um den Thaiboxer zu überwältigen. Wegen 29 Delikten, die er hinter Gittern begangen haben soll, steht er ab Mittwoch vor Gericht.

Patrick Cotti ist Direktor des Schweizer Kompetenzzentrums für den Justizvollzug. Er sagt, die Forschung habe den beruhigenden Effekt pinker Zellen nicht belegen können. «Die Farbe der Zelle allein kann schlicht keine Wunder bewirken.»

Seine Stiftung hat vom Bund und den Kantonen den Auftrag, sie bei der strategischen Entwicklung des Justizvollzugs zu unterstützen. Doch die pinke Farbe hält sich hartnäckig, obwohl ihre Wirkung umstritten ist. In jedem fünften Gefängnis kam der Farbpinsel bereits zum Einsatz.

Der Mythos ist wissenschaftlich widerlegt

Den Mythos der pinken Zelle hat die Schweiz aus den USA importiert. Dort verbreitete sich in den 1980er-Jahren das Baker-Miller-Pink. Die Rezeptur stammte von den Marineoffizieren Baker und Miller: Man giesse ein Pint roter Farbe zu einer Gallone Weiss. Die Legende des Beruhigungsmittels basiert auf einem Experiment. Testpersonen wurden beim Armdrücken beobachtet, während ihnen farbige Karten vorgehalten wurden. Bei Pink sollen sie schwach geworden sein.

Der Test wurde allerdings nicht professionell durchgeführt. Die Wirkung könnte auch mit der Reihenfolge der Farben oder mit dem Trainingseffekt zusammengehängt haben.

Die wichtigste Studie in amerikanischen Gefängnissen stammt von 1981. Insassen hielten sich ein Jahr lang in weissen Zellen auf und dann ein Jahr in pinken Zellen. Im zweiten Jahr waren sie weniger aggressiv. Nicht erfasst wurde aber, was sich sonst noch in diesem Jahr verändert hat. Möglicherweise wurden die Aufseher freundlicher oder die Mahlzeiten besser.

Malermeisterin erfindet «Cool Down Pink»

In der Schweiz hat die Malermeisterin Daniela Späth vor zehn Jahren den Hype entfacht. Sie hat den Farbton Cool Down Pink erfunden, der intensiver ist als das Baker-Miller-Pink. Damit möchte sie am liebsten jedes Gefängnis anpinseln, aus humanitären Gründen, wie sie zu sagen pflegt. Für sie ist es ein Geschäft, weshalb sie den Namen ihrer Farbe markenrechtlich schützen liess. Ein Experiment, mit dem sie die Wirkung ihrer Farbe zu beweisen versucht, hat sie in einem Einkaufszentrum durchgeführt. In den Medien liess sie sich als Farbpsychologin porträtieren, obwohl sie keinen Universitätsabschluss hat. Als wissenschaftliche Begleiterin erwähnte sie eine Frau mit anthroposophischem Hintergrund.

Die erste Studie nach heutigen Standards, die in einem wissenschaftlichen Magazin publiziert worden ist, zeigt ernüchternde Resultate. Bei 59 Gefängnisinsassen, die sich in pinken und weiss-grauen Zellen aufhielten, liessen sich keine Unterschiede feststellen. Die Forscher vermuten sogar, dass Pink einige Insassen in ihrem Männlichkeitsbild beleidigen und sie damit aggressiver machen könnte.

Durchgeführt wurde die Studie ausgerechnet im Gefängnis Pöschwies, wo Brian K. ausgerastet ist. Den wissenschaftlichen Befunden zum Trotz wurde er der fragwürdigen Farbtherapie ausgesetzt.

(aargauerzeitung.ch)

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34 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Füürtüfäli
26.10.2019 21:42registriert März 2019
So wie jeder Menschen ein Farbton anderst sehen ( Wahrnehmung ) kann, so empfindet (Emotionen) auch nicht jeder Mensch das gleiche bei einem Farbton.

Und das aus einem simplen Grund: Jeder Mensch ist individuell.
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Fairness
27.10.2019 06:53registriert Dezember 2018
Wäre ch ein Macho, würde mich ehrlich gesagt eine pink gestrichene Zelle auchnoch wahnsinniger machen. Da wäre, wenn schon (die Alten waren in solchen Sachen einfach gescheiter), sicher ein helles, fades Grün oder Hellblau, wie früher in den OPs, beruhigender. Eine Frechheit, dafür Steuergelder zu verschwenden.
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Billy Meier
27.10.2019 07:52registriert März 2014
Dass die Strafvollzugsbehörden bei diesem Farben-Hokuspokus mitmachen, gibt mir bezüglich anderer, viel wichtigerer Bereiche wie Gefährlichkeitsgutachten oder Risikoabschätzung der Rückfallgefahr zu denken. Ob da seriöser gearbeitet wird?
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