Wenn das Gefängnispersonal im Fall «Carlos» nicht weiter weiss, heisst es: «Ab in die Arrestzelle». Sie ist pink gestrichen und soll eine beruhigende Wirkung entfalten. Brian K. hat viele seiner 1600 Hafttage hier verbracht. Das Schweizer Fernsehen machte ihn 2013 unter dem Pseudonym Carlos bekannt. Fortan möchte er aber mit richtigem Namen genannt werden, wie er dem Sender mitgeteilt hat.
Beim bekanntesten Gefängnisquerulanten des Landes liess sich die erhoffte Wirkung der Zellenfarbe aber nicht beobachten. Im Gegenteil: Er wurde noch aggressiver.
Das Resultat listet die Zürcher Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift auf. Brian K. schaffte es sogar, die eigentlich unverwüstbare Zelle zu verwüsten. Bei einem Vorfall kamen acht Aufseher zum Einsatz, um den Thaiboxer zu überwältigen. Wegen 29 Delikten, die er hinter Gittern begangen haben soll, steht er ab Mittwoch vor Gericht.
Patrick Cotti ist Direktor des Schweizer Kompetenzzentrums für den Justizvollzug. Er sagt, die Forschung habe den beruhigenden Effekt pinker Zellen nicht belegen können. «Die Farbe der Zelle allein kann schlicht keine Wunder bewirken.»
Seine Stiftung hat vom Bund und den Kantonen den Auftrag, sie bei der strategischen Entwicklung des Justizvollzugs zu unterstützen. Doch die pinke Farbe hält sich hartnäckig, obwohl ihre Wirkung umstritten ist. In jedem fünften Gefängnis kam der Farbpinsel bereits zum Einsatz.
Den Mythos der pinken Zelle hat die Schweiz aus den USA importiert. Dort verbreitete sich in den 1980er-Jahren das Baker-Miller-Pink. Die Rezeptur stammte von den Marineoffizieren Baker und Miller: Man giesse ein Pint roter Farbe zu einer Gallone Weiss. Die Legende des Beruhigungsmittels basiert auf einem Experiment. Testpersonen wurden beim Armdrücken beobachtet, während ihnen farbige Karten vorgehalten wurden. Bei Pink sollen sie schwach geworden sein.
Der Test wurde allerdings nicht professionell durchgeführt. Die Wirkung könnte auch mit der Reihenfolge der Farben oder mit dem Trainingseffekt zusammengehängt haben.
Die wichtigste Studie in amerikanischen Gefängnissen stammt von 1981. Insassen hielten sich ein Jahr lang in weissen Zellen auf und dann ein Jahr in pinken Zellen. Im zweiten Jahr waren sie weniger aggressiv. Nicht erfasst wurde aber, was sich sonst noch in diesem Jahr verändert hat. Möglicherweise wurden die Aufseher freundlicher oder die Mahlzeiten besser.
In der Schweiz hat die Malermeisterin Daniela Späth vor zehn Jahren den Hype entfacht. Sie hat den Farbton Cool Down Pink erfunden, der intensiver ist als das Baker-Miller-Pink. Damit möchte sie am liebsten jedes Gefängnis anpinseln, aus humanitären Gründen, wie sie zu sagen pflegt. Für sie ist es ein Geschäft, weshalb sie den Namen ihrer Farbe markenrechtlich schützen liess. Ein Experiment, mit dem sie die Wirkung ihrer Farbe zu beweisen versucht, hat sie in einem Einkaufszentrum durchgeführt. In den Medien liess sie sich als Farbpsychologin porträtieren, obwohl sie keinen Universitätsabschluss hat. Als wissenschaftliche Begleiterin erwähnte sie eine Frau mit anthroposophischem Hintergrund.
Die erste Studie nach heutigen Standards, die in einem wissenschaftlichen Magazin publiziert worden ist, zeigt ernüchternde Resultate. Bei 59 Gefängnisinsassen, die sich in pinken und weiss-grauen Zellen aufhielten, liessen sich keine Unterschiede feststellen. Die Forscher vermuten sogar, dass Pink einige Insassen in ihrem Männlichkeitsbild beleidigen und sie damit aggressiver machen könnte.
Durchgeführt wurde die Studie ausgerechnet im Gefängnis Pöschwies, wo Brian K. ausgerastet ist. Den wissenschaftlichen Befunden zum Trotz wurde er der fragwürdigen Farbtherapie ausgesetzt.
(aargauerzeitung.ch)
Und das aus einem simplen Grund: Jeder Mensch ist individuell.