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Die EU verweigert uns den Fünfer und das Weggli: Diese Optionen hat die Schweiz

epa04326384 European Union High Representative for Foreign Affairs, Catherine Ashton, gives a press conference after a Foreign Affairs Council meeting at the EU Council headquarters in Brussels, Belgi ...
Catherine Ashton zeigt der Schweiz die kalte Schulter.Bild: JULIEN WARNAND/EPA/KEYSTONE
Personenfreizügigkeit

Die EU verweigert uns den Fünfer und das Weggli: Diese Optionen hat die Schweiz

Die EU erklärt die Personenfreizügigkeit für nicht verhandelbar. Für die Schweiz gibt es in Sachen Zuwanderung zwei Szenarien: Bruch mit Brüssel oder Ärger mit der SVP.
24.07.2014, 17:3026.05.2020, 21:03
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Die Europäische Union will das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der Schweiz nicht neu verhandeln. Dies geht aus einem Brief an Bundespräsident Didier Burkhalter hervor, den die Botschafter der 28 EU-Mitgliedsstaaten am Donnerstag in Brüssel laut Radio SRF einstimmig verabschiedet haben. Die Personenfreizügigkeit gehöre zu den grundlegenden Prinzipien, es gebe keine Möglichkeit, sie neu zu verhandeln oder durch Kontingente einzuschränken.

Überraschend kommt diese Abfuhr nicht. Am letzten Samstag hatte die Westschweizer Zeitung «Le Temps» bereits einen Entwurf des Briefes veröffentlicht. Darin betonte die EU-Aussenbeauftragte Catherine Ashton, dass sie auf ein entsprechendes Begehren nicht eintreten könne, das die Schweiz am 4. Juli formell in Brüssel eingereicht hat. Es basiert auf dem Umsetzungskonzept zur Zuwanderungsinitiative der SVP, das der Bundesrat am 20. Juni vorgestellt hatte.

«Schicksalsfrage für die Schweiz»

SVP-Chefstratege Christoph Blocher warf der EU darauf Vertragsbruch vor. Das Abkommen zur Personenfreizügigkeit sehe ausdrücklich die Möglichkeit von Nachverhandlungen vor. EU-Kenner verweisen jedoch darauf, dass die Schweiz kein Anrecht darauf habe. Und Staatssekretär Yves Rossier erklärte in einem Interview mit der NZZ vom Mittwoch, eine Absage der EU bedeute nicht, «dass es überhaupt keine Gespräche oder Verhandlungen geben kann».

Yves Rossier, secretaire d'Etat du DFAE, parle lors de la ceremonie d'ouverture de la reunion preparatoire du Forum economique et environnemental de l'OSCE ce mardi, 20 mai 2014, a l&#0 ...
Staatssekretär Yves Rossier.Bild: KEYSTONE

Tatsächlich schreibt Catherine Ashton, Brüssel stehe für Diskussionen über praktische Probleme zur Verfügung, die sich bei der Einhaltung des Abkommens ergäben. Eines allerdings scheint klar: Personenfreizügigkeit plus Kontingente – das gibt es nicht. Den Fünfer und das Weggli kann die Schweiz nicht haben. Zwei Szenarien stehen zur Auswahl, die Yves Rossier im NZZ-Interview als «Schicksalsfrage für die Schweiz» bezeichnete:

Harte Umsetzung

Der Bundesrat macht seine Ankündigung wahr und setzt den Verfassungsartikel zur Zuwanderung, den das Volk am 9. Februar angenommen hat, konsequent um. Also mit Kontingenten und Inländervorrang. Die EU dürfte im Gegenzug das Abkommen zur Personenfreizügigkeit aufkündigen.

Konsequenz: Ob die restlichen bilateralen Verträge betroffen sein werden, ist unklar. Das Verhältnis der Schweiz zu ihrem wichtigsten Handelspartner aber wäre mit Sicherheit massiv belastet.

Weiche Umsetzung

Die Schweiz versucht, die Zuwanderung ohne Kontingente und Inländervorrang einzuschränken, etwa indem sie das Potenzial einheimischer Arbeitskräfte – vor allem Frauen und ältere Leute – besser ausschöpft. Eine solche Lösung wird von der Linken und der Wirtschaft bevorzugt. Damit liesse sich vermutlich die Personenfreizügigkeit retten, der Verfassungsartikel vom 9. Februar aber bliebe toter Buchstabe.

Konsequenz: Der Widerstand der SVP wäre programmiert, sei es mit der angedrohten Durchsetzungsinitiative oder mit einem Referendum.

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Ein erneuter Volksentscheid wäre mit enormen Risiken verbunden, vor allem falls die Zuwanderung in den nächsten Jahren hoch bleiben sollte. Und bereits ist die nächste, noch grössere Kraftprobe mit der EU absehbar: Das institutionelle Rahmenabkommen, gegen das Christoph Blocher schon heute aus vollen Rohren feuert. Im Aussendepartement liebäugelt man deshalb laut Medienberichten mit dem grossen Befreiungsschlag: Das Volk soll 2016 in einer einzigen Abstimmung über den Rahmenvertrag und die Personenfreizügigkeit entscheiden.

Staatssekretär Rossier spielte dieses Szenario gegenüber der NZZ herunter: «Damit es dazu kommen könnte, müssten viele Vorbedingungen erfüllt sein – und dies auch noch zeitlich koordiniert.» Die diversen Planspiele sind ein Abbild der Ratlosigkeit in Bern. Und der Tatsache, dass die Beziehungen der Schweiz zur EU zunehmend einem Blindflug gleichen. Mit hohem Absturzrisiko.

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18 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Horny
24.07.2014 17:53registriert März 2014
Was bringen die Bilateralen eigentlich noch, ausser dem Zwang, EU-Recht zu übernehmen? Selbst die Wirtschaft in der Schweiz hat gemerkt, dass es immer Komplizierter wird mit EU-Staaten rentable Geschäfte zu machen. Dies belegt auch der prozentuale Rückgang im EU-Export und Import. Andernfalls sind Geschäfte mit Südkorea einfacher. Und mit der letzten EU-Errungenschaft bezüglich Osterweiterung, hat die EU den Vogel definitiv abgeschossen.
Diese Fehlkonstruktion ist Erwiesenermassen eine unendliche Kapitalvernichtungsmaschine mit dem Ziel, Schulden auf möglichst viele Staaten zu verteilen, um so, nach amerikanischem Beispiel, immer Anderen die Schuld zuschieben zu können.
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