Vergesst «Top Gun» oder «Ich bin Zlatan»: Der heisseste Streifen läuft diese Woche in Washington an, und zwar in Echtzeit. Am Donnerstag beginnen die Hearings zu den Ereignissen rund um den 6. Januar 2021. Mehr als ein Jahr lang hat der Ausschuss aus sieben demokratischen Abgeordneten und zwei Republikanern gearbeitet. Dabei sind mehr als 1000 Zeugen einvernommen und über 140’000 Dokumente ausgewertet worden. Das Resultat soll nun in sechs mehrstündigen Episoden der amerikanischen Öffentlichkeit präsentiert werden.
Es geht dabei um viel mehr als um ein Spektakel. Nichts weniger als die Zukunft der amerikanischen Demokratie steht auf dem Spiel. Denn jetzt schon lässt sich festhalten: Der Sturm auf das Kapitol war keine aus dem Ruder gelaufene Demonstration. Vielmehr hat eine kleine Gruppe rund um den Ex-Präsidenten Donald Trump versucht, eine demokratisch verlorene Wahl nachträglich in einen Sieg umzubiegen. «Es war ein versuchter Staatsstreich, so einfach ist das», hält E.J. Dionne Jr. in der «Washington Post» fest.
Bob Woodward und Carl Bernstein haben zu Beginn der Siebzigerjahre den Watergate-Skandal enthüllt und den damaligen Präsidenten Richard Nixon zu Fall gebracht. Ebenfalls in der «Washington Post» haben die beiden nun einen ausführlichen Vergleich zwischen Nixon und Trump angestellt. Das Resultat ist eindeutig: «Mit falschen Behauptungen eines angeblichen Wahlbetrugs und mit der Einschüchterung von Staatsangestellten hat Donald Trump nicht nur versucht, das Wahlsystem zu zertrümmern», stellen Woodward/Bernstein fest. «Zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte hat er auch versucht, die Übergabe der Macht an einen rechtmässig gewählten Nachfolger zu verhindern.»
Obwohl die Verbrechen Trumps offensichtlich und weit gravierender sind als diejenigen von Nixon, ist es weit weniger wahrscheinlich, dass er dafür auch zur Rechenschaft gezogen wird. Zu stark haben sich die politische Landschaft und die Medienszene in den USA in den letzten Jahrzehnten verändert.
Nachdem Nixon eingestehen musste, dass er versucht hatte, den Einbruch in ein Wahlbüro der Demokraten zu vertuschen, wurde er auch von der Grand Old Party (GOP) fallengelassen und musste zurücktreten. Ein Schuldspruch in einem Impeachment-Verfahren wäre sonst eine sichere Sache gewesen.
Trump hingegen wird heute noch von einer Mehrheit der Republikaner unterstützt, und rund drei Viertel der GOP-Mitglieder glauben an seine Big Lie, seine X-fach widerlegte Wahlbetrugs-Behauptung. Zudem kann er sich auf einen medialen Geleitschutz verlassen, allen voran auf Fox News. Täglich verspotten Tucker Carlson & Co. die Arbeit des Ausschusses. Ja sie gehen gar so weit, dass sie versuchen, das Ganze als einen Staatsstreich der Demokraten dazustellen.
Kommt dazu, dass sich die Amerikaner derzeit vor allem über steigende Benzinpreise und mangelnde Babynahrung sorgen, und wenig Lust auf Polit-Theater zeigen. Droht also wie bei der Präsentation der Mueller-Reports ein mediales Desaster für die Demokraten? Verpufft die aufwändige Arbeit des Ausschusses wirkungslos in einem politischen Vakuum?
Das muss nicht sein. Die grossen Kabel-TV-Stationen werden die Hearings vollumfänglich live übertragen. Und anders als bei der Präsentation des Mueller-Reports wird das Material professionell aufgearbeitet sein. Dazu wurde eigens ein prominenter Dokumentarfilmer verpflichtet. Ebenso werden prominente Zeugen entweder persönlich auftreten oder per Video eingespielt, etwa Ivanka Trump und Jared Kushner.
Beide sind vom Ausschuss mehrere Stunden lang einvernommen worden. «Alle werden zuhören, wenn Jared und Ivanka per Video sprechen», erklärt ein Insider gegenüber der «Washington Post.
Gleich zu Beginn der Hearings werden auch Ausschnitte aus einem von Nick Quested gedrehten Dokumentarfilm zu sehen sein. Er war von den Proud Boys, einer militanten Gruppe von Trump-Unterstützern, eingeladen worden, sie in den Tagen rund um den Sturm auf das Kapitol zu begleiten. Dabei gibt es eine Szene, in der die Anführer der Proud Boys ihr Vorgehen mit den Oath Keepers, einer anderen militanten Gruppe, absprechen.
Auch bisher unveröffentlichtes Material soll gezeigt werden. Es werde «das Dach des Kapitols sprengen», verspricht etwa Jamie Raskin, ein Mitglied des Ausschusses. Liz Cheney, die Tochter des ehemaligen Vizes Dick Cheney und zur Trump-Feindin Nummer eins avancierten Republikanerin, sprach am Wochenende gar von einer «extrem breiten» und «extrem gut organisierten» Verschwörung, die von Präsident Trump und seinem engsten Kreis angeführt worden sei.
Nebst dem sechsteiligen Blockbuster des Ausschusses sind auch verschiedene Sideshows im Gang. So hat das Justizministerium Anklage erhoben gegen Enrique Tarrio, den Anführer der Proud Boys. Vier weitere Mitglieder der Gruppe sind der «aufrührerischen Verschwörung» (seditious conspiracy) angeklagt.
Dabei handelt es sich um ein schwerwiegendes Verbrechen, das mit bis zu 20 Jahren Zuchthaus bestraft werden kann. Die gleiche Anklage wurde bereits vor Monaten gegen Stewart Rhodes, den Anführer der Oath Keepers, erhoben. Dieser hat sich mittlerweile bereit erklärt, mit den Justizbehörden zu kooperieren.
Gleichzeitig hat das Justizministerium Peter Navarro in Handschellen vor einen Haftrichter bringen lassen. Wie Steve Bannon hat sich der Trumps ehemalige Wirtschaftsberater geweigert, einer Vorladung des Ausschusses Folge zu leisten; und wie der ehemalige Chefstratege wird er nun angeklagt.
Bei Navarro ist indes ein weiteres pikantes Detail bekannt geworden. Er war in einem zweiten Verfahren als Zeuge aufgeboten worden und hatte sich ebenfalls geweigert, dort zu erscheinen. In diesem Verfahren hätte er vor einer Grand Jury zu einer möglichen Verwicklung in eine Verschwörung aussagen sollen, einer Verschwörung, die in den engsten Kreis von Trump hinein reicht.
Justizminister Merrick Garland hat bisher die Demokraten verzweifeln lassen. Er hat zwar rund 800 Kapitolstürmer angeklagt, die Grossen hingegen schien er unbehelligt zu lassen. Das scheint sich nun zu ändern. Garland ist offenbar im Begriff, sein Versprechen einzulösen. «Ich werde den Fakten folgen», wohin sie auch führen werden», hatte er zu Jahresbeginn erklärt.
Vielleicht ist der Sechsteiler des Ausschusses gar nicht das grösste Problem von Donald Trump.
Gut ist das nicht gelungen. Aber wie heisst es so schön, wehret den Anfängen.
Wenn das keine Konsequenzen nach sich zieht, öffnet das Tür und Tor für weitere solche Taten, mit ungewissem Ausgang.