Dass sich aus Wasser wunderbar Energie gewinnen lässt, erkannten schon unsere Urahnen. Jesus war noch längst nicht geboren, da wurden bereits allerlei Maschinen durch die Kraft von fliessendem Wasser angetrieben – in erster Linie Mühlen. Über die Jahrhunderte entwickelte sich die Technik, und mit der Erfindung des elektrodynamischen Generators wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Umwandlung von Wasserkraft in elektrischen Strom möglich.
Für ein Land mit den topografischen und hydrologischen Voraussetzungen wie die Schweiz – das Wasserschloss Europas – war das ein Segen. 1887 konnte zum ersten Mal Strom aus einem Hochdruckwerk gewonnen werden, die eigentliche Blütezeit der Schweizer Wasserkraft setzte aber erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein – bedingt auch durch den rasant steigenden Strombedarf der Bevölkerung. Im Mittelland wurden unzählige Flusskraftwerke gebaut und in den Bergen die grössten Speicheranlagen mit ihren imposanten Talsperren. Gemäss Bundesamt für Energie besteht der Schweizer Wasserkraftwerkspark heute aus 643 Zentralen mit einer Leistung von mindestens 300 Kilowatt.
Jahrzehntelang lief das Geschäft wie geschmiert, die Betreiber – und mit ihnen diejenigen Kantone und Gemeinden, denen die Werke mehrheitlich gehören – verdienten mit den Speicherseen und den Flusskraftwerken gutes Geld. Wasser war nunmehr «das blaue Gold». Der daraus generierte Strom genoss (und geniesst heute mehr denn je) in der Bevölkerung einen hervorragenden, weil klimafreundlichen Ruf. Dabei geht fast vergessen, dass die Pumpspeichertechnik nicht unumstritten ist. «Das Weisswaschen von Kohle- und Atomstrom heizt unseren Gletschern mächtig ein», schrieb einst die Schweizerische Energiestiftung. Sie kritisiert, dass Importstrom – in erster Linie aus Deutschland oder Frankreich – die Klimaziele der Schweiz indirekt untergräbt.
Die Jahre vor der Finanzkrise von 2008/2009 waren für die Schweizer Wasserkraft besonders lukrativ, der Marktpreis für Strom bewegte sich auf Rekordniveau. Die Energiefirmen planten neue Kraftwerke und beteiligten sich an Projekten im Ausland. «Aus heutiger Sicht waren solche strategische Entscheide zu optimistisch», sagt Andreas Stettler, Vorsitzender der Kommission Hydrosuisse des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbandes und BKW-Kadermitglied. Mittlerweile sei «jeglicher Zubau nicht mehr rentabel» und die preisliche Zukunft «höchst unsicher». Kurz: Die Schweizer Strombranche leidet derzeit Not.
Was ist denn in diesem nur einen Jahrzehnt passiert? Der internationale Strompreis ist regelrecht eingebrochen, wechselkursbereinigt beträgt er heute gegenüber 2008 noch ungefähr einen Drittel. Wichtigster Treiber dafür war der Preiszerfall von fossilen Energieträgern – namentlich Kohle, Gas und Erdöl. Plötzlich lohnte es sich, teilweise alte Kraftwerke (wieder) in Betrieb zu nehmen. «Weil die Kohle so günstig ist und der CO2-Ausstoss nicht bestraft wird, ist sie im europäischen Markt absolut preisbildend», sagt Alpiq-Geschäftsleitungsmitglied Michael Wider. Hinzu kommt der durch den konjunkturellen Einbruch bedingte Nachfragerückgang und die in Deutschland massive Subventionierung von erneuerbaren Energien. Denn Strom aus Sonne und Wind hat kaum variable Kosten und wird am Markt entsprechend zuerst eingesetzt, sofern er denn verfügbar ist.
Das alles hat zur derzeit misslichen Lage der Schweizer Stromkonzerne geführt. Wobei nicht allen Anbietern das Wasser gleichermassen bis zum Hals steht: Wer – wie die BKW – über sogenannt gebundene Endkunden verfügt, kann ihnen dank der Monopolsituation noch gewinnbringend Strom verkaufen. Axpo und Alpiq hingegen sind der internationalen Konkurrenz und deren Billigstrom ungleich härter ausgesetzt. Vor zwei Monaten forderten sie, zusammen mit vier weiteren Konzernen, als Sofortmassnahme deshalb eine Grundversorgungsprämie für die Wasserkraft in der Höhe von 1,6 bis 1,8 Rappen pro Kilowattstunde. Die nationalrätliche Energiekommission wollte davon nichts wissen, beschloss aber im Gegenzug, dass die gebundenen Kunden nur noch Strom aus inländischen, erneuerbaren Energien beziehen dürfen – was faktisch eine Abnahmegarantie für die hiesige Wasserkraft wäre.
Heute behandelt der Nationalrat das Geschäft. Obwohl die Kommissionsmehrheit noch solide war, wenden sich die bürgerlichen Parteien mittlerweile vom Modell ab. Sie stützen damit Energieministerin Doris Leuthard. Nach der gewonnenen Abstimmung zum neuen Energiegesetz sagte sie, die Betreiber der Wasserkraftwerke hätten dank der im Gesetz verankerten Subvention von 120 Mio. Franken über fünf Jahre nun «Zeit, ihre Hausaufgaben zu machen».
Die Diskussion rund um das künftige «Marktdesign» wird die Politik ohnehin noch eine Weile beschäftigen. Erschwerend kommt hinzu, dass die verschiedenen Player im Markt unterschiedliche Vorstellungen davon haben: Axpo und Alpiq schlagen ein sogenanntes «Versorgungs- und Klimamarktmodell» vor, das den Import von «dreckigem» Strom aus dem Ausland mit einer CO2- Abgabe belasten würde. Das würde die Kunden 1,3 Rappen pro Kilowattstunde kosten und den Konzernen Mehreinnahmen von 500 bis 600 Millionen Franken bringen. Gemäss Communiqué soll dieses Geld in die Schweizer Wasserkraft reinvestiert werden. Die BKW ihrerseits plädieren für ein Modell, welches die Kraftwerk-Betreiber dafür entschädigen würde, dass sie für die kalten Wintermonate gewisse Stromkapazitäten zurückhalten würden. Diese würden in einer Auktion versteigert. Um die eigenen Klimaziele nicht zu gefährden, müsste der Bund die Bereitstellung der Stromkapazitäten an Bedingungen knüpfen.
Allen Modellen gemeinsam ist, dass sie die Wasserkraft als Rückgrat der Schweizer Stromproduktion stützen wollen – erst recht vor dem Hintergrund des mittelfristig wegfallenden Atomstroms. Neben dem mit dem Energiegesetz geförderten Zubau von erneuerbaren Energien soll damit auch das möglich werden, was sich derzeit nicht lohnt: die Wasserkraft in der Schweiz ausbauen. Andreas Stettler vom Wasserwirtschaftsverband sieht dafür durchaus Potenzial: «Durch den Rückzug von Gletschern kann man Schmelzwasser zum Beispiel schon weiter oben fassen.»