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Sergio Mattarella entscheidet über Vorgehen in Italiens Regierungskrise

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Der italienische Präsident Sergio Mattarella (Mitte) hat in dieser Krisenzeit die Zügel in der Hand (Archivbild).Bild: EPA

Das politische Schicksal Italiens liegt jetzt in seinen Händen

20.08.2019, 20:3521.08.2019, 07:37
Milan Marquard
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Heute am späten Nachmittag gab der italienische Ministerpäsident Giuseppe Conte seinen Rücktritt bekannt. Er kam Salvinis Forderung nach einem Misstrauensvotum zuvor.

Mit Contes Rücktritt ist die Regierungskoalition zwischen der rechtspopulistischen Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung Geschichte. Über das politische Schicksal Italiens entscheiden, kann derzeit nur eine einzige Person: Präsident Sergio Mattarella

Giuseppe Conte hat kurz nach seiner Rücktrittserklärung das offizielle Rücktrittsschreiben an Staatspräsident Mattarella überreicht.

Normalerweise hat das Präsidentenamt in Italien mehr institutionellen Charakter. Nicht so in Krisenzeiten, dann werden die Staatschefs durch die Verfassung quasi zu allem berechtigt: Ihnen steht es zu, Parlamentskammern aufzulösen und Neuwahlen auszurufen, Übergangsregierungen einzusetzen oder die Mehrheitsverhältnisse der Kabinette für die verbleibende Legislaturperiode neu zu überprüfen beziehungsweise auszuloten.

Aus dieser Reihe von Möglichkeiten, kann der Präsident nun die aus seiner Sicht beste Option wählen. Welche Szenarien gibt es also ganz konkret und welche Option wird Mattarella vermutlich bevorzugen?

Mögliche Szenarien

Auf der einen Seite könnte der Präsident die bestehenden Kammern auflösen und Neuwahlen beantragen. Dieses Szenario wäre ganz im Interesse von Matteo Salvini. Der Innenminister und Chef der Lega hätte laut Umfragen die besseren Karten in der Hand: Seine Partei würde die Wahlen gewinnen und Salvini selbst hätte sogar Chancen, Ministerpräsident zu werden. Dafür müsste er jedoch auf die Unterstützung anderer rechter Parteien zählen können – und auf die Zustimmung von Mattarella hoffen, denn ohne wird gemäss Verfassung niemand Premier.

Italian Deputy-Premier Matteo Salvini speaks at the Senate in Rome, Tuesday, Aug. 20, 2019. Italian Premier Giuseppe Conte blasted the League's leader and Interior Minister Matteo Salvini for his ...
Salvini wünscht sich sofortige Neuwahlen – er rechnet sich gute Chancen auf das Amt des Premiers aus.Bild: AP

Die zweite Möglichkeit wäre die Einberufung einer Konsultationsrunde. Dabei soll sich der Präsident einen Überblick verschaffen können, wie die Mehrheitsverhältnisse im Parlament sind und ob es neue Koalitionsmöglichkeiten gibt.

Derzeit würde eine Koalition zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung und der Partito Democratico (PD) im Parlament die Mehrheit innehaben. Die beiden Parteien sind jedoch politisch-ideologisch noch zu weit voneinander entfernt – es müssten intensive Koalitionsverhandlungen stattfinden, die höchstwahrscheinlich keine Früchte tragen würden.

Immerhin konnten sich die beiden Parteien bereits darauf einigen, dass Conte sich nicht bereits letzte Woche einem Misstrauensvotum stellen musste und ihm gleichzeitig eine Anhörung zugesprochen wurde.

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Kann sich die Partito Democratico mit der Fünf-Sterne-Bewegung einigen?Bild: EPA/ANSA

Schlechtes Timing

In Rom sind bis Ende Oktober starke Ausgabenkürzungen nötig, um einem Defizitverfahren der EU und einer automatischen Erhöhung der Mehrwertsteuer zu entgehen. Zudem muss ein Haushaltsentwurf präsentiert werden. Beides Dinge, die ohne Regierung extrem schwierig zu handhaben sind.

New Italian President Sergio Mattarella arrives at the Constitutional court building near the Quirinal Palace, the official residence of the President of the Italian Republic, background, in Rome, Jan ...
Der Palast des Präsidenten im Hintergrund (Archivbild).Bild: AP/ANSA

Neuwahlen wären jedoch frühestens Ende Oktober möglich, was eine Regierungsbildung vor Dezember unrealistisch macht. Die beiden oben erwähnten Deadlines setzen Mattarella unter Druck – er sollte der Ausgangslage entsprechend handeln.

Falls sich in den kommenden Tagen eine stabile Mehrheit herauskristallisieren sollte, dann wird der Präsident ihr eine Chance geben müssen. Ansonsten wird er eine technokratische Übergangsregierung einberufen, die das Land bis zu Neuwahlen durch die Krise führt.

Fest steht, dass Mattarella in den kommenden Tagen die Partei-Delegationen in seinem Präsidentenpalast in Rom empfangen wird, um ein Gespür für die zerrütteten Mehrheitsverhältnisse zu kriegen – für die richtige Entscheidung unabdingbar. Bis dahin bat der Präsident Conte, die Regierungsgeschäfte noch weiterzuführen.

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7 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Bruno Wüthrich
20.08.2019 22:31registriert August 2014
Die einzige Stabilität in der Regierung Italiens ist, dass der übernächste Wechsel bereits absehbar ist, bevor der nächste vollzogen ist.

Das ist in unserem südlichen Nachbarland mit Ausnahmen schon lange so, und wird - mit gelegentlichen Ausnahmen - noch lange so bleiben.

Wer weiss, vielleicht gibt es ja auch irgendwann ein Wiedererwachen mit Italiens Kommunisten (Peppone, Don Camillos bester Freund, lässt grüssen).
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Nunja
20.08.2019 22:59registriert November 2014
So schlecht ist das Timing eben gerade nicht. Salvini will das Budget nicht mitverantworten und da käme eine Technokratenregierung gerade recht. Einige der erfolgreichsten Regierungen waren Technokratenregierungen, wie z.B. Mario Monti.
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FrancoL
20.08.2019 20:49registriert November 2015
Sooo weit auseinander liegen derPD und der M5S nicht, in machen Bereichen näher als die LEGA und der M5S.
Das Problem ist aber zB die Uneinigkeit für eine Regierungsbeteiligung beim PD. Ganz ähnlich zur SPD in Deutschland.
Man darf aber nicht vergessen, dass mehr als 1/3 des M5S früher eher links gewählt hat, also zB den PD.
Das Problem ist aber, dass der PD wohl kaum aus seinen Fehlern in der vorletzten Regierung unter Renzi etwas gelernt hat. Eine Koalition M5S und PD würde wohl nicht sehr lange regieren, kaum länger als die letzte Regierung, also zu wenig lang um Resultate zu erzielen.
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