Mit seiner Ansprache an das Schweizer Volk wollte Bundespräsident Marcel Pilet-Golaz vor genau 75 Jahren die Verunsicherung nach dem deutschen Blitzsieg über Frankreich dämpfen. Das Gegenteil trat ein. Der unglückliche Bundesrat war nicht der einzige, der mit einer Rede in der Schweiz für einen Skandal sorgte.
Im Juni 1940 fegt der Blitzkrieg die französische Armee hinweg, die Panzer der Wehrmacht rollen nach Paris. Am 25. Juni tritt der Waffenstillstand in Kraft, Frankreich ist geschlagen und wird besetzt. Die neutrale Schweiz ist von den Achsenmächten umzingelt. Am gleichen Tag wendet sich der Bundesrat ans verunsicherte Schweizer Volk: Bundespräsident Marcel Pilet-Golaz hält eine Rede, in der er von der «Anpassung an die neuen Verhältnisse» spricht.
Der Waadtländer Freisinnige spricht nicht von Widerstand, von Demokratie oder Freiheit, er erwähnt dafür Begriffe wie «Opfergeist» oder «Selbsthingabe». Und er fordert: «Der Zeitpunkt der inneren Wiedergeburt ist gekommen. Jeder von uns muss den alten Menschen ablegen.»
Pilet-Golaz, der sich zuvor als Aussenminister nicht ungeschickt mit Zumutungen aus Berlin herumgeschlagen hatte, wollte vermutlich gar keine anpasserische Rede halten. Sein rhetorisches Ungeschick führte aber dazu, dass er genau diesen Eindruck erweckte. Als er dann im September noch Vertreter der Fronten empfing, die den Anschluss an das Reich forderten, verfestigte sich sein Ruf als Anpasser.
1944, als sich die deutsche Niederlage für jeden klar abzeichnete, musste Pilet-Golaz dann zurücktreten – er galt nun als alleiniger Buhmann, obwohl seine fatale Rede vom Gesamtbundesrat abgesegnet gewesen war.
Mitte 1942 war die Vernichtung der Juden in Osteuropa durch die Nazis in vollem Gang. Zur gleichen Zeit, am 13. August, beschloss der Bundesrat die Schliessung der Grenzen. Illegale Flüchtlinge, zum Beispiel solche «nur aus Rassegründen», sollten ohne Ausnahme zurückgeschickt werden. Diese Massnahme wurde nicht etwa in Unkenntnis der Judenverfolgung erlassen; spätestens ab Mitte 1942 wusste man Bescheid über Massenexekutionen.
Am 30. August rechtfertigte Bundesrat Eduard von Steiger in Zürich-Oerlikon diese gnadenlose Politik. An der Landsgemeinde der reformierten «Jungen Kirche» hielt er eine Rede, die erst später wirklich berühmt – und berüchtigt – wurde. «Wer ein schon stark besetztes kleines Rettungsboot mit beschränktem Fassungsvermögen und ebenso beschränkten Vorräten zu kommandieren hat, indessen Tausende von Opfern einer Schiffskatastrophe nach Rettung schreien, muss hart scheinen, wenn er nicht alle aufnehmen kann. Und doch ist er noch menschlich, wenn er beizeiten vor falschen Hoffnungen warnt und wenigstens die schon Aufgenommenen zu retten sucht», sagte der Justizminister. Damit war die Metapher «Das Boot ist voll!» in die Welt gesetzt.
Erst im Juli, als die bisher verschonten Juden Ungarns in die Vernichtungslager getrieben wurden, revidierte die Schweiz ihre Flüchtlingspolitik und stufte die Juden nun erstmals als gefährdet ein. Es war zu spät.
Es war eine Dankesansprache, aber sie geriet zur Skandalrede: Am 17. Dezember 1966 sprach der Literaturwissenschaftler Emil Staiger anlässlich der Verleihung des Literaturpreises der Stadt Zürich über «Literatur und Öffentlichkeit». In seiner Preisrede attackierte der Professor, damals eine im gesamten deutschen Sprachraum bekannte und anerkannte Koryphäe, nahezu die gesamte moderne Literatur, beziehungsweise deren Produzenten:
«Doch ich vergesse, was diese heute über die ganze westliche Welt verbreitete Legion von Dichtern, deren Lebensberuf es ist, im Scheusslichen und Gemeinen zu wühlen, zu ihren Rechtfertigungen bringt. Sie sagen, sie seien wahr, sie zögen, die unbarmherzige böse Wahrheit der schönen, tröstlichen Täuschung vor. Und siehe da, man glaubt es ihnen.»
Staigers wütender Angriff, in dem auch das Wort «Entartung» vorkam, blieb nicht unbeantwortet. Der Schriftsteller Max Frisch ging in der «Weltwoche» zum Gegenangriff über und warf Staiger vor, er betrachte moderne Literatur als entartete Kunst. Damit war der sogenannte Zürcher Literaturstreit lanciert, der weit über die Landesgrenzen hinausgriff. Dieser Streit dauerte nicht lange, doch der Schaden, den Staigers bisher unangetasteter Nimbus nahm, war dauerhaft.
Sie war die erste Bundesrätin der Schweiz. Elisabeth Kopp, 1984 als Zürcher Freisinnige in die Landesregierung gewählt, war die Gattin des Wirtschaftsanwalts Hans W. Kopp, und das wurde ihr zum Verhängnis. Denn sie warnte ihren Mann per Telefon, dass gegen die Shakarchi Trading AG, in der er als Vizepräsident des Aufsichtsrates sass, wegen Geldwäscherei ermittelt werde.
Lange verschwieg die Justizministerin ihr heikles Telefongespräch. Als der Anruf dann publik wurde, war ihre Glaubwürdigkeit dahin, und sie musste wegen des Verdachts auf Amtsgeheimnisverletzung zurücktreten. Am 12. Dezember 1988 gab sie ihren Rücktritt auf Ende Februar 1989 an einer Medienkonferenz bekannt.
Dabei sagte sie: «Ein kurzes Telefongespräch vom 27. Oktober hat in den letzten Tagen übergrosse Bedeutung erlangt. Meine Damen, Herren, ich wiederhole, dass ich in jenem Zeitpunkt keinerlei Unterlagen oder Informationen aus meinem Departement besessen oder verwendet habe. Mich trifft weder rechtlich noch moralisch irgendeine Schuld.»
Diese Zurückweisung wurde allenthalben als arrogantes Verhalten gesehen – Kopp war damit politisch erst recht erledigt. Am 12. Januar 1989 demissionierte sie mit sofortiger Wirkung und zog sich danach für lange Zeit aus der Öffentlichkeit zurück.
Ende 1990 war der real existierende Sozialismus in Osteuropa Geschichte. In der Tschechoslowakei war seit der Samtenen Revolution ein Dissident Staatspräsident: Vaclav Havel. Am 22. November 1990 erhielt der Schriftsteller in Rüschlikon den Gottlieb Duttweiler Preis, und die Laudatio hielt ein anderer Schriftsteller: Friedrich Dürrenmatt.
Es war die letzte Rede des 69-Jährigen – drei Wochen später starb er an Herzversagen – und sie sorgte für Zoff. Vor einem hochkarätigen Publikum, in dem auch Bundesräte sassen, las Dürrenmatt seiner Heimat die Leviten. Die Dienstverweigerer nannte er die «schweizerischen Dissidenten» und die Schweiz bezeichnete er als ein Gefängnis, dessen Bewohner zugleich Wärter und Gefangene seien: «Es gibt nur eine Schwierigkeit für dieses Gefängnis, nämlich die, zu beweisen, dass es kein Gefängnis ist, sondern ein Hort der Freiheit (...). Um diesen Widerspruch zu lösen, führten die Gefangenen die allgemeine Wärterpflicht ein: Jeder Gefangene beweist, indem er sein eigener Wärter ist, seine Freiheit.»
Die Rede verdarb manchem Zuhörer die Festlaune und empörte einige der bürgerlichen Exponenten im Publikum so sehr, dass sie sich danach weigerten, dem Redner die Hand zu geben. Sein letzter öffentlicher Auftritt wurde so Dürrenmatts skandalträchtigster.