Eine Ära neigt sich dem Ende zu. Die während langer Zeit sprudelnden Einnahmen aus dem Geschäft mit der Steuerflucht drohen zu versiegen. Das Bankgeheimnis gegenüber dem Ausland ist Geschichte, und mit den neusten Plänen von G20 und OECD für eine globale «Steuerrevolution» dürfte die Schweiz als Standort für ausländische Unternehmen zunehmend unattraktiv werden.
Erstaunlich ist das höchstens für jenen Teil der Bevölkerung, der zur Nabelschau-Mentalität neigt. Es war absehbar, dass insbesondere die grossen Staaten dieser von der Schweiz und anderen Ländern praktizierten Form des «Steuerwettbewerbs» nicht für alle Zeiten tatenlos zusehen würden. Wie aber wurde aus dem armen Agrar- und Auswanderungsland Schweiz ein Steuerparadies?
Der Finanzplatz Schweiz war seit langer Zeit eine bevorzugte Destination für vermögende Ausländer, um ihr Geld in Sicherheit zu bringen. In den 1930er Jahren geriet die Schweiz deshalb erstmals unter verstärkten Druck von Deutschland und vor allem Frankreich. Als Gegenreaktion wurde 1935 das Bankkundengeheimnis in einem neuen Bankengesetz festgeschrieben.
Dabei wurde die Bekanntgabe von Kundendaten unter Strafe gestellt. Dem Ausland war diese Bestimmung ein Dorn im Auge. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahmen vor allem die USA das Bankgeheimnis unter Beschuss. Die Schweiz musste in immer mehr Bereichen Konzessionen machen, etwa bei organisiertem Verbrechen, Insiderhandel und Geldwäscherei.
Im Fall der Steuerflucht allerdings verteidigten Politik und Finanzplatz das Bankgeheimnis eisern, mit einer typisch helvetischen Schlaumeierei. Man unterschied zwischen illegalem Steuerbetrug und Steuerhinterziehung, die aus hiesiger Warte mehr oder weniger ein Kavaliersdelikt war, weshalb keine Rechtshilfe geleistet wurde. Im Ausland stiess sie damit auf wenig Verständnis.
Das Ende begann mit der Finanzkrise von 2008. Die Schweiz versuchte, das Bankgeheimnis mit einer Abgeltungssteuer zu retten, doch im Februar 2009 beschloss der Bundesrat per Notrecht, der Grossbank UBS die Lieferung von 250 Kundennamen an die US-Justiz zu erlauben. 2014 erklärte sich die Schweiz zur Übernahme des Automatischen Informationsaustauschs (AIA) bereit.
Die wohl «letzte Schlacht um das Schweizer Bankgeheimnis», so die «SonntagsZeitung», wurde vor einer Woche in Lausanne geschlagen. Sie endete mit einer Niederlage für den Finanzplatz. Das Bundesgericht entschied, dass die Schweiz die Namen von 45'000 UBS-Kunden ausliefern darf, und zwar an Frankreich. Womit sich der Kreis quasi geschlossen hätte.
Steuerprivilegien für Firmen haben wie das Bankgeheimnis eine längere Vorgeschichte. Der Kanton Glarus spielte 1903 eine Pionierrolle, er wollte die Interessen seiner Textilindustrie schützen. In den folgenden Jahren zogen die Innerschweizer Kantone Zug und Nidwalden nach, indem sie Holding- und Domizilgesellschaften einen privilegierten Status verliehen.
Besonders stark profitierte Zug dank seiner Nähe zu Zürich und seinem Flughafen. So liess sich etwa der Rohstoffhändler Marc Rich in den 1970er Jahren in Zug nieder. Diese Praxis wurde 1998 mit der Unternehmenssteuerreform I von FDP-Finanzminister Kaspar Villiger auf nationaler Ebene verankert. Die Schweiz hatte damals eine jahrelange Wirtschaftskrise hinter sich.
Nun machte sie sich daran, «anderen Ländern ihre Unternehmen abzujagen und deren Steuersubstrat hierher zu holen», so das Magazin «Republik». Internationale Firmen wurden tiefer besteuert als lokale. So genannte «Statusgesellschaften» zahlten gemäss SRF im Durchschnitt 8,8 Prozent Gewinnsteuern, weniger als halb so viel wie ordentlich veranlagte Firmen.
Einen besonderen Eifer bei diesem Geschäft entwickelte die Region Genf/Waadt, der so genannte Arc Lémanique, der unter der Wirtschaftsflaute stark gelitten hatte. Die Neuordnung des Finanzausgleichs von 2008 sorgte dafür, dass die Unterschiede zu jenen Kantonen nicht zu gross wurden, die beim Steuerwettlauf nach unten nicht mitmachen konnten oder wollten.
Die Kritiker sprachen von Steuerdumping, doch die Einnahmen sprudelten kräftig. Bis das Ausland einmal mehr die Geduld verlor. Unter Druck von EU und OECD muss die Schweiz die Privilegien für ausländische Unternehmen abschaffen. Dafür sorgt die im Mai vom Stimmvolk angenommene Steuerreform, doch nun zeigt sich, dass die Schweiz damit nur eine Atempause gewonnen hat.
G20 und OECD wollen es nicht länger dulden, dass Unternehmen ihre Gewinne in Länder wie die Schweiz verschieben, die sie mit tiefen Steuern anlocken. Nun sollen sie dort Steuern zahlen, wo sie die Gewinne erwirtschaften. Auch ein globaler Mindeststeuersatz steht zur Debatte. Die Chancen einer Realisierung stehen gut, selbst die US-Regierung unterstützt die Reformpläne.
Rechtsbürgerliche Kommentatoren beklagen dieses Diktat von «nicht demokratisch legitimierten Gremien». Dabei handeln sie nur konsequent. Eine globalisierte Wirtschaft verlangt nach globalen Regeln. Die Schweiz wird sich dieser Tatsache beugen müssen. Sie hat entschieden, nicht um jeden Preis Widerstand zu leisten, sondern «Schadensbegrenzung» zu betreiben.
Noch ist nicht klar, wie weit die neue Reform gehen wird. Dennoch muss sich die Schweiz auf Einnahmenausfälle in Milliardenhöhe einstellen. Mit ein wenig Weitsicht hätte sie wie beim Bankgeheimnis erkennen müssen, dass diese Entwicklung unausweichlich sein würde. Oder vereinfacht gesagt: Es ist nicht nachhaltig, auf Kosten anderer zu leben.