Die Schweiz führte in Steuerfragen lange eine Art Herrenleben. Mit dem Bankgeheimnis lockte sie Steuerflüchtlinge aus aller Welt an, die ihr Geld auf hiesigen Konten «versteckten». Ausserdem köderten viele Kantone ausländische Firmen mit tiefen Steuersätzen, die durch Statusprivilegien zusätzlich gesenkt werden konnten. Die Schweiz wurde dadurch ein sehr attraktiver Standort.
Mit dieser schönen Steuerwelt ist es weitgehend vorbei. Druck aus dem Ausland – vor allem von der in Paris ansässigen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) – führte dazu, dass die Schweiz das Bankgeheimnis für ausländische Kunden aufgeben und den Automatischen Informationsaustausch (AIA) über Finanzkonten akzeptieren musste.
Die verpönten Steuerprivilegien für ausländische Firmen werden ebenfalls abgeschafft, nachdem das Stimmvolk am 19. Mai eine Reform der Unternehmensbesteuerung im zweiten Anlauf angenommen hat. Nun müssen die Kantone sie umsetzen. Einige haben dies getan, andere werden folgen. Zürich stimmt am 1. September über die kantonale Vorlage ab.
Die meisten Kantone setzen auf eine massive Senkung der Gewinnsteuern, ergänzt durch international akzeptierte Instrumente. Sie wollen verhindern, dass bislang privilegierte Unternehmen abwandern. Nun aber droht eine neue Entwicklung, die alles bisherige in den Schatten stellen und die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Schweiz schwächen dürfte.
Das Portal Swissinfo spricht von einer «Steuerrevolution». Finanzminister Ueli Maurer (SVP) sagte während der Sommersession im Nationalrat, die Pläne könnten das Schweizer Steuersystem «auf den Kopf» stellen und Bund, Kantonen und Gemeinden enorme Einbussen bescheren. Sie könnten gemäss «NZZ am Sonntag» bis zu zehn Milliarden Franken betragen.
Während die Wirtschaft zunehmend in einem globalisierten und digitalisierten Umfeld agiert, werden Steuern national erhoben. Clevere Firmen nutzen dies aus, sie verschieben ihre Gewinne an Standorte mit niedriger Besteuerung. Digitalkonzerne wie Amazon, Google und Facebook, die in nur wenigen Ländern physisch präsent sind, aber weltweit Geschäfte machen, profitieren besonders davon.
Dies ist vor allem jenen Ländern ein Dorn im Auge, in denen solche Firmen grosse Gewinne erzielen, aber kaum Steuern zahlen. Die OECD hat deshalb 2014 das Projekt «Base Erosion and Profit Shifting» (BEPS) ins Leben gerufen. Es zielt darauf ab, dass die Besteuerung dort erfolgen soll, wo Gewinne erzielt werden. «Es geht um eine Umverteilung von Steuersubstrat», sagte der für das Dossier zuständige OECD-Beamte Achim Pross im Interview mit der NZZ.
Zwei Massnahmen stehen im Zentrum. Die eine besteht wie erwähnt darin, einen Teil der Firmengewinne nicht mehr am Haupt- oder Steuersitz, sondern in den Absatzmärkten zu besteuern. Unklar ist das Ausmass. Grosse Schwellenländer mit entsprechenden Märkten wie Indien oder Brasilien drängen auf eine möglichst weitgehende Umverteilung.
Zu den Verlierern würden kleine, offene Volkswirtschaften mit vielen Konzernhauptsitzen gehören. Die Schweiz ist dafür ein Paradebeispiel. Multinationale Firmen könnten mit dieser Reform kein Interesse mehr haben, in der Schweiz zu bleiben oder sich hier niederzulassen. Die zweite Massnahme könnte diese Entwicklung noch verstärken.
Grössere, exportstarke Länder wie Deutschland könnten mit dieser Reform sowohl gewinnen wie verlieren. Mehreinnahmen aus dem Digitalgeschäft könnten durch Verluste «kompensiert» werden, wenn deutsche Autohersteller einen Teil ihrer Steuern in Ländern wie China bezahlen müssten. Gemeinsam mit Frankreich drängen die Deutschen deshalb auf einen globalen Mindeststeuersatz.
Er soll das Verschieben von Gewinnen in Steuerparadiese zusätzlich erschweren. Der Umfang ist unklar. Achim Pross sprach im NZZ-Interview von 9 bis 15 Prozent. Kritiker fürchten, dass ein solcher Satz nur der Anfang wäre und es weiter nach oben ginge, wenn die Mindestbesteuerung einmal eingeführt wäre. Eine solche Entwicklung wäre nicht im Sinne der Schweiz.
Sehr gut. Die G20, die Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, stellte sich bei ihrem Gipfeltreffen Ende Juni in Japan hinter die Pläne der OECD, obwohl sie sich sonst in kaum einem Punkt einig war. Die Finanzminister der G7 bekannten sich letzte Woche in Chantilly bei Paris ebenfalls zu gemeinsamen Regeln, «um digitale Aktivitäten zu besteuern».
Internationale Regeln und Steuern sind Dinge, auf die republikanische Politiker für gewöhnlich allergisch reagieren. Die OECD-Pläne aber trägt die Regierung von Donald Trump mit. Finanzminister Steven Mnuchin spielt eine aktive Rolle. Er will, dass nicht nur die mehrheitlich in den USA ansässigen Tech-Giganten besteuert werden, sondern alle international tätigen Firmen.
Dafür gibt es mehrere Gründe. Die USA wollen verhindern, dass einzelne Länder vorpreschen – Frankreich hat bereits eine Digitalsteuer beschlossen – und ein für die Konzerne schädlicher Wildwuchs entsteht. Ausserdem haben sie mit der Trump-Reform ihre Unternehmenssteuern gesenkt und kein Interesse an einem neuen «Wettrennen nach unten», so Mnuchin.
Das Tempo ist hoch. Es sei bereits von einer Umsetzung ab 2021 die Rede, warnte Ueli Maurer. Tatsächlich wollen sich G20 und OECD im Januar 2020 auf die Eckwerte der Reform einigen und sie bis Ende nächsten Jahres definitiv verabschieden. Das ist ambitioniert, denn viele Details müssen geklärt werden. Aber der Wille zu einer raschen Einigung scheint vorhanden.
Beim Bankgeheimnis fuhr der Bundesrat eine dreigleisige Strategie. Er leistete Widerstand, bot von Steuerflucht betroffenen Staaten wie Deutschland gleichzeitig eine Abgeltungssteuer an und hoffte auf die Unterstützung von Ländern wie Luxemburg und Österreich, die ebenfalls ein Bankgeheimnis besassen, um den AIA abzuwenden. Am Ende führten alle drei Wege in die Sackgasse.
Gebrannte Kinder scheuen bekanntlich das Feuer. Der Bund soll laut NZZ ein theoretisch mögliches Veto bei der OECD erwogen, am Ende aber verworfen haben. Er setzt nun auf eine Strategie der Schadensbegrenzung. Mit potenziellen Verbündeten wie den Niederlanden, Irland oder Kanada will er auf eine möglichst moderate Steuerreform hinarbeiten.
Dies dürfte alles andere als einfach werden. «Wenn die Grossen zusammenspannen, haben die Kleinen wenig zu sagen», erklärte ein Diplomat der «NZZ am Sonntag». Was auf die Schweiz zukommen könnte, zeigt das Ende des Bankgeheimnisses. Der hiesige Finanzplatz hat sich vom Verlust des lukrativen Geschäfts mit der Steuerflucht bis heute nicht erholt.
Das was der einfache Bürger auch tun muss, ist für Unternehmungen grundsätzlich auch zu erwarten.
Das es nicht einfach wird ist mir klar aber ein Schritt in die richtige faire Richtung wäre es auf jeden Fall.
Es ist ein verlogenes System. Und wenn Standortattraktivität nur vom Steuersatz abhängig ist, dann ist dies eh auf Zeit. Kaum ist die Goldader nicht mehr da ziehen alle weg.
Lieber mit Wissen, Forschung und Qualität die Attraktivität steigern und entsprechende Firmen anziehen.
Wir haben die letzten Jahre stark auf Kosten von anderen Ländern gelebt. Sollte es nun tatsächlich zu einer Besteuerung im jeweiligen Land kommen, muss die Schweiz ihre Steuern für Grosskonzerne endlich auf einen fairen Stand bringen.