Im Gegensatz zu diversen anderen abstrusen Sportmomenten ist überliefert, weshalb Mike Tyson Ende Juni 1997 seinem Kontrahenten Evander Holyfield ein Stück des Ohres abgebissen hat. Zumindest aus seiner Sicht. «Was soll ich denn machen? Wenn er für seine ständigen Kopfstösse nicht bestraft wird, muss ich doch handeln.» Tyson versuchte zu begründen, was ihn zu seiner Attacke bewogen hat: «Seht, ich habe nur noch ein Auge. Ich muss Kinder erziehen. Die haben jetzt Angst vor mir.»
Im pompösen MGM Grand Hotel in Las Vegas läuft der Rückkampf gegen Evander Holyfield. Bereits im November 1996 sind sich die beiden im Ring gegenüber gestanden, damals verlor Tyson das Duell durch technischen K.o. in der 11. Runde.
Nun also der Rückkampf vor 16'331 Zuschauern in der ausverkauften Garden Arena. Hollywoodstars wie Michael Douglas, Sylvester Stallone und Madonna lassen sich extra mit dem Privatjet einfliegen, die ganze Welt schaut auf die Glücksspielmetropole im US-Bundesstaat Nevada.
In der zweiten Runde verpasst Favorit Holyfield seinem Gegner einen Kopfstoss und wird dafür von den Kampfrichtern ermahnt. Allerdings platzt dabei Tysons Augenbraue auf und der Herausforderer verliert völlig die Kontrolle. Er verzichtet zur dritten Runde bewusst auf einen Mundschutz und beisst wenig später zu. Das 1,5 Zentimeter lange und 0,5 Zentimeter tiefe Stück des rechten Ohres, das er Holyfield abbeisst, spuckt er anschliessend auf den Boden. Blut tropft. Evander Holyfield sagt, bevor er sich in einem Spital behandeln lässt: «Das ist Wahnsinn. Er hat mich absichtlich gebissen. Ich dachte, mein Ohr ist ab.»
Schon früher im Kampf beisst Tyson Holyfield ins linke Ohr, dies zieht jedoch lediglich eine Verwarnung nach sich. Beim zweiten Biss kassiert Tyson zunächst einen Punktabzug. Allerdings berät sich das Kampfgericht kurz vor der vierten Runde und entscheidet anschliessend, Mike Tyson zu disqualifizieren.
In der Arena kommt es nach dieser Entscheidung zu Tumulten. Panik bricht aus, Feuerwerkskörper knallen durch die Luft, 16 Menschen werden verletzt. Mike Tyson, einst der beste Schwergewichtsboxer unserer Erde, wird beim Verlassen der Halle mit Münzen und Feuerzeugen beworfen, verärgerte Zuschauer übergiessen ihn mit Bier.
Der 30 Jahre alte Boxprofi kriegt sich aber auch nach der Disqualifikation nicht ein. Er versucht, auf Gewinner Holyfield loszugehen, bedroht und schlägt Polizisten, es scheint für ihn eine Welt zusammenzubrechen.
Mike Tyson bekommt schon früh zu spüren, wie rau das Leben sein kann. Er wird 1966 in Brooklyn, New York City geboren und wächst in ärmlichen Verhältnissen auf. Bald gerät er auf die schiefe Bahn, Kriminalität ist alltäglich, bei der Polizei ist Tyson bereits als 12-Jähriger bekannt. Er kommt in eine Schule für schwer erziehbare Kinder und wird dort entdeckt.
Bereits seine Karriere als Amateurboxer verläuft optimal, im März 1985 wechselt Mike Tyson zu den Profis. Nach ersten Gehversuchen gegen schwächere Gegner befindet ihn sein Management als gut genug, mittelfristig um die Weltmeisterschaft kämpfen zu können. Im November 1986 wird Tyson mit 20 Jahren zum jüngsten Schwergewichtsweltmeister der Geschichte. Er ist zugleich auch der erste Weltmeister, dessen Titel gleichzeitig von den drei Boxverbänden WBC, WBA und IBF anerkannt wird.
Nebst seinen sportlichen Erfolgen und der weltweiten Popularität hat Mike Tyson sein Leben lange Zeit nicht im Griff. Wo Tyson ist, kommt es zu Skandalen. Er wird wegen Vergewaltigung, Körperverletzung und Drogenbesitzes verurteilt, sitzt mehrere Jahre seines Lebens im Gefängnis. Trotz Preisgeldern in der Höhe mehrerer hundert Millionen Dollar geht er wegen seines verschwenderischen Lebensstils Bankrott. 2009 stirbt seine Tochter Exodus im Alter von nur vier Jahren. Sie ist beim Spielen mit dem Kopf in die Kabelschlinge eines Laufbandes geraten.
Mike Tyson hat acht Kinder mit vier Frauen, ist nach seiner Box-Karriere Schauspieler und züchtet Brieftauben. 2009 hat sich der Ex-Boxer in der «The Oprah Winfrey Show» offiziell bei Evander Holyfield für seinen Ohr-Biss entschuldigt. Anfangs 2013 half Tyson seinem ehemaligen Kontrahenten sogar, in Chicago seine neue BBQ-Sauce zu präsentieren. «Ich wollte Evander einfach sehen, Mann. Ich liebe Evander», sagte Tyson gegenüber «The Sun». Holyfield entgegnete: «Ich sende der Welt eine Botschaft und lasse sie wissen, dass zwei Kämpfer sich vergeben können.»
Trotz der Freundschaft liebäugelten die beiden vor einiger Zeit damit, erneut gegeneinander in den Ring zu steigen. Beide trainierten 2021 intensiv und wollten für einen guten Zweck zu einem dritten Duell antreten. Holyfield unterbreitete seinem ehemaligen Erzrivalen, der 2020 gegen Roy Jones junior ein viel beachtetes Comeback gegeben hatte, ein lukratives Angebot, doch am Ende lehnte Tyson dann trotz allem ab.