Das soll es also gewesen sein? Zumindest für Parteifreunde stand fest: Auch nach ihrem Rücktritt aus dem Bundesrat wird es Doris Leuthard nicht ganz lassen mit der Politik. Zwar betonte die CVP-Politikerin noch im vergangenen Dezember mehrfach, sie werde sich nicht mehr einmischen und nun «von der politischen Ebene verschwinden». Doch schon im Januar klang Leuthard plötzlich anders. An einer Delegiertenversammlung kündigte die Aargauerin an, im zweiten Halbjahr werde sie die Partei mit Blick auf die Wahlen im Oktober unterstützen.
Nun ist Leuthard wieder da. Für die CVP will die frühere Umweltministerin ihren vielleicht grössten Trumpf ausspielen: Sie wird über die Klimapolitik referieren.
Eine bessere klimapolitische Botschafterin würden die Christlichdemokraten kaum finden. Nicht einmal neun Monate sind seit dem Rücktritt der Bundesrätin vergangen. Unterdessen hat jedoch eine grüne Welle die Schweiz erfasst. Inspiriert von der «Fridays for Future»-Gründerin Greta Thunberg demonstrieren auch hierzulande Zehntausende zumeist junge Menschen für eine härtere Gangart beim Klimaschutz (siehe Beitrag unten). Sie haben eine politische Kraft entwickelt, die lange unvorstellbar schien. Die Parteien können dieser Wucht kaum ausweichen, das Thema dominiert den Wahlkampf.
«Die junge Generation ist nicht bereit, die Konsequenzen des gleichgültigen Umgangs mit der Umwelt zu akzeptieren», fasst die CVP die Lage in ihren Grundsätzen zur Klimapolitik zusammen. Man habe die Energiestrategie von Bundesrätin Leuthard mitgeprägt, wirbt sie, ebenso sei in deren Ägide der Atomausstieg definitiv beschlossen worden. Bloss: Diese Errungenschaften lassen sich ohne Aushängeschild nur halb so gut unters Wahlvolk bringen, das weiss man auch in der Parteizentrale. Also lässt sich Leuthard nochmals vor den Karren spannen.
Auf der Agenda von Leuthard steht unter anderem ein Auftritt im schwyzerischen Lachen, wo die Kantonalpartei am 26. August zu einem «Klimaabend» lädt. Für CVP-Nationalrat Alois Gmür, der den Anlass mitorganisiert, ist der Auftritt Leuthards ein Glücksfall: «Wir müssen den Leuten jetzt zeigen, dass wir uns schon lange um den Klimaschutz kümmern. Doris Leuthard ist dafür die richtige Person.»
In Lachen hält sie ein Referat unter dem Titel «Klimaabkommen von Paris – was macht die Politik?» Tatsächlich gelang es ihr am Ende nicht mehr, alles so aufzugleisen, dass die Schweiz den daraus resultierenden Verpflichtungen nachkommt. Im Dezember versenkte der Nationalrat das CO2 -Gesetz, das er zuvor schon abgeschwächt hatte. Nach der Niederlage in der grossen Kammer warnte Leuthard vor den «Kosten des Nichtstuns».
Einen weiteren Auftritt hat sie am 12. September an einem CVP-Grossanlass im luzernischen Zell geplant. «Energie-schub – für uns und die nächste Generation» wird das Referat angepriesen, mit dem Leuthard die – in Klimafragen mitunter skeptische – Stammklientel der Partei einschwören soll.
Auf Anfrage erklärt Leuthard: «Ich unterstütze selbstverständlich die CVP weiterhin, äussere mich aber nur zu politischen Themen, mit denen ich vertraut bin.» Sie freue sich über den neuen Schwung, den die Klimapolitik dank der Freitagsdemonstrationen erhalten habe.
«Manche Themen brauchen offenbar den medialen und öffentlichen Druck, bevor Politik und Wirtschaft die zeitliche und materielle Dringlichkeit genügend ernst nehmen.» Lippenbekenntnisse würden nicht reichen, es brauche konkrete Massnahmen. Wenn sie dazu weiterhin einen Beitrag leisten könne, sagt Leuthard, «mache ich das aus Überzeugung und weil es die Linie des Bundesrates ist».
Damit scheint sie definitiv nicht jener Zurückhaltung zu folgen, die sich manche Ex-Magistraten in politischen Debatten auferlegt haben. Ihre Wahlkampfauftritte fallen zudem just in jene Zeit, in der das CO2 -Gesetz im Ständerat einen neuen Anlauf nimmt.
Will die Ex-Umweltministerin ihrer Nachfolgerin Simonetta Sommaruga (SP) ein klein wenig die Schau stehlen? Leuthard betont: Zur aktuellen Debatte des CO2 -Gesetzes wolle sie sich nicht äussern. «Das überlasse ich meiner Nachfolgerin im Amt und den amtierenden Politikern.»
Besser wäre, alle würden sagen: "Ab jetzt setzen wir uns gemeinsam und mit voller Kraft für den Klimaschutz ein."
Fazit: Irgendwer lügt