«Bin vermutlich der älteste Lehrling der Schweiz» – Comeback nach Kündigung mit 61
Werner Boller* arbeitet wieder. Was für viele eine Selbstverständlichkeit ist, manchmal sogar eine Mühseligkeit, nennt er heute sein kleines Wunder. «Ich bin jetzt wieder viel ausgeglichener und zufriedener. Ich bin wieder glücklich», sagt er.
Dabei sah es lange nach dem Gegenteil aus: Nach 40 Dienstjahren wurde Boller von seinem Arbeitgeber entlassen – und musste mit 61 Jahren plötzlich wieder auf Jobsuche. Von diesem Schicksal erzählte er im Sommer in der watson-Serie «Ü55 und gekündigt».
Seither hat sich viel getan. Im September fand Boller am Flughafen Zürich eine Stelle als Dokumente-Fahrer. Mittlerweile hat er die Einarbeitung hinter sich, die Prüfungen bestanden, die Probezeit geschafft. Für ihn ist es ein Happy End – mit Abstrichen.
«Wollte einfach arbeiten»
Boller fährt am Flughafen Frachtpapiere zu den Flugzeugen oder holt sie nach den Landungen ab. Danach gehen die Dokumente via Rohrpost ins Büro. «Das Fahren auf dem Rollfeld ist sehr anspruchsvoll», sagt er. Viel Verkehr, enge Zeitfenster und überall grosse Maschinen, auf die man achten müsse. «Das Schlimmste wäre, wenn ein Flieger wegen mir halten müsste.»
Er arbeitet im Schichtbetrieb. Frühschicht von 5.30 Uhr bis 14 Uhr, Spätschicht von 14 Uhr bis 23.30 Uhr. Nach drei Frühschichten sei er am Abend «durch», sagt er. Gleichzeitig gefällt ihm die Unregelmässigkeit. «Ein paar Tage arbeiten, dann wieder frei. Das hat einen Reiz.»
So gut sich die Rückkehr ins Arbeitsleben auch anfühlt: Sie löst nicht alle Probleme. Boller ist als Aushilfe angestellt, sein Pensum schwankt je nach Saison und Auftragslage. Im Sommer, wenn mehr geflogen wird, gibt es mehr Einsätze. «Je nachdem komme ich auf 60 bis 80 Prozent», sagt er. Rechtlich gilt es als Zwischenverdienst.
«Von der Bezahlung her ist es kein Traumjob», sagt Boller. Die Tätigkeit gebe ihm viel zurück. Nur eben nicht den vorherigen Lohn, den er sich nach jahrzehntelanger Arbeit aufgebaut hatte. Trotzdem sagt er: «Ich wollte einfach arbeiten.» Das Zuhause-sitzen habe ihn mental aufgefressen.
«Keine Karriere mehr»
«Natürlich gäbe es Jobs, für die ich mehr befähigt wäre», sagt er, der früher als Logistikchef gearbeitet hat. «Aber ich suche keine Karriere mehr.» Wichtiger sei ihm eine Beschäftigung, bei der er respektiert und gebraucht werde.
Wer nach einer Kündigung mit 60 noch Karriere im klassischen Sinn machen wolle, habe es besonders schwer, schätzt er. Man müsse sein Spektrum erweitern, sich erlauben, neu zu denken. «Am besten vergisst man, was man bisher gemacht hat und stellt sich die Frage: Was könnte mir noch Freude bereiten?»
Boller sagt auch klar: Warten bringt nichts. «Es kommt niemand, der dich rettet. Du musst selbst aktiv werden.» Er hoffe, anderen auch damit Mut zu machen, dass er die Rückkehr in den Arbeitsmarkt geschafft hat.
Über die Pensionierung hinaus
Zurück im Berufsleben bedeutet für ihn auch: wieder lernen. Er musste Regeln und Verhaltensvorschriften büffeln, Fahrabläufe trainieren, Prüfungen bestehen. Einen Monat fuhr er nur mit, bevor er alleine auf dem Flughafen manövrieren durfte. «Ich bin vermutlich der älteste Lehrling der Schweiz», sagt er und lacht.
Im Team fühle er sich «herzlich aufgenommen» und wieder «als Teil von etwas». «Das ist das Wichtigste.» Und man nehme Rücksicht aufeinander. «Das finde ich schön.»
Er sagt: «Nach der langen Zeit als Arbeitsloser mit permanenten Absagen ist mein Selbstwertgefühl seit dem neuen Job wieder massiv gestiegen.» Und er kann sich sogar vorstellen, nach der Pensionierung weiterzuarbeiten.
Für Werner Boller grenzt der neue Job fast an ein kleines Wunder: Vom Gefühl, aussortiert zu sein, zum Gefühl, wieder gebraucht zu werden. «Wenn es so weitergeht, habe ich keine Lust, mit 65 aufzuhören.» Solange er fit sei, solange man ihn wolle, solange es ihm Freude mache, bleibe er gern.
*(Name geändert)
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