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Ukraine-Krieg: Wie Russen ihr Land nach Putins Mobilmachung verlassen

Video: watson/lucas zollinger

Keine Lust auf Krieg: Wie Russen ihr Land nach Putins Mobilmachung verlassen

Wladimir Putin will mehr Soldaten in die Ukraine schicken. Die Berichte über Russen, die ihr Land verlassen wollen, häufen sich.
23.09.2022, 15:0923.09.2022, 17:33
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55'000 russische Soldaten seien im Krieg in der Ukraine gefallen. Das sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag an die russische Bevölkerung gerichtet – versehen mit dem Aufruf, gegen die Mobilmachung ihres Präsidenten zu protestieren.

Unabhängig überprüfen lässt sich diese Zahl nicht. Doch: Dass nun weitere 300'000 russische Männer in den Krieg gegen die Ukraine ziehen sollen, kommt bei einem Teil der russischen Bevölkerung gar nicht gut an. Nicht wenige protestieren. Andere versuchen verzweifelt, der Rekrutierung zu entgehen. Und verlassen das Land. Eine Übersicht.

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Was ist passiert?

Die russische Offensive in der Ukraine stockt bekanntlich seit längerem. Mehr noch: In den vergangenen Wochen konnten die ukrainischen Streitkräfte gar russisch besetztes Territorium zurückerobern, insbesondere in der Region um Charkiw im Osten des Landes.

Für Wladimir Putin aber kein Grund, den als «Spezialoperation» titulierten Einmarsch im Nachbarland für gescheitert zu erklären. Putin reagierte mit zwei taktischen Zügen: Einerseits erklärte der russische Präsident, dass in den besetzten Regionen Referenden abgehalten werden.

Diese beginnen heute Freitag. Was es damit auf sich hat und was Putin damit mutmasslich bezwecken möchte, liest du hier:

Andererseits kündigte Putin eine Teilmobilmachung an. 300'000 Reservisten mit Kampferfahrung sollen in die Armee eingezogen werden und die ausgedünnten Truppen an der Front unterstützen.

Wie reagiert die russische Bevölkerung auf die Ankündigung?

Zustimmung, Gleichgültigkeit, aber auch Ablehnung und Angst: Die Reaktionen in der russischen Bevölkerung divergieren, wie beispielsweise SRF-Korrespondent Christoph Wanner erklärt.

Insbesondere in jenem Teil der Bevölkerung, der ohnehin kriegskritisch eingestellt ist, sorgt Putins Ankündigung für Reaktionen. So kam es in mehr als 35 russischen Städten zu Protesten gegen die Teilmobilmachung, dabei wurden rund 1300 Personen von den russischen Behörden festgenommen.

Anti-Kriegs-Proteste in mehreren russischen Städten:

Video: watson/een

Ein anderer Teil der kritischen Bevölkerung entscheidet sich nicht für den Protest, sondern die Flucht: Die Berichte über Russinnen und Russen, die ihr Land verlassen wollen, häuften sich in den vergangenen Stunden.

«Entweder gehst du in den Krieg und tötest unschuldige Menschen oder du gehst ins Gefängnis.»

Die Beweggründe dieser Menschen scheinen klar: Sie können einen Einsatz im Krieg nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren und fürchten um ihr eigenes Leben. Die britische BBC hat mit einem Mann gesprochen, der gerade dabei war, Russland zu verlassen. Man stehe vor der Wahl, sagt er. «Entweder gehst du in den Krieg und tötest unschuldige Menschen oder du gehst ins Gefängnis. Ich sollte mein Leben besser im Ausland verbringen.»

In welche Länder fliehen die Russinnen und Russen?

Ausreisewillige Russen versuchen vorwiegend über die direkten Nachbarländer, ihr Land zu verlassen. Am Freitagvormittag berichteten unter anderem kasachische Behörden über vermehrte Grenzübertritte aus Russland:

Auch aus der Mongolei gibt es vergleichbare Video-Mitschnitte, wie die britische Zeitung The Sun schreibt. Und laut BBC wollen auch an der russisch-georgischen Grenze zahlreiche Menschen ihr Land verlassen. Auf Twitter berichten verschiedene User von einer mehr als sieben Kilometer langen Auto-Warteschlange an der Grenze des osteuropäischen Landes.

Bereits am Donnerstag kursierten ebenfalls Berichte über starken Ausreiseverkehr nach Finnland. Auch wenn die finnischen Behörden erste Meldungen über eine 35-Kilometer-Schlange bei einem Grenzübergang in Südfinnland dementierten, ist das Verkehrsaufkommen deutlich höher als vor Putins Ankündigung. Das berichtet Polit-Journalist Georg von Harrach:

Doch nicht nur auf den Strassen gibt es Ausreisebemühungen. Laut dem kanadischen TV-Sender CBC ist die Nachfrage nach Flugtickets ins Ausland stark gestiegen – und mit ihr die Preise der Flüge. So seien teils über 5000 US-Dollar für einfache Flüge in benachbarte Länder bezahlt worden.

Das US-Newsportal NowThis berichtet gar von Preisen bis 9000 Dollar:

Was sagt die russische Regierung zur Ausreise ihrer Bürger?

Die Regierung von Wladimir Putin bezeichnet Berichte über einen «Exodus» als übertrieben. Stattdessen verweist sie lieber auf angeblich 10'000 Reservisten, die sich freiwillig zum Kampf gemeldet hätten, noch bevor sie ihre Einberufungspapiere erhalten hätten. Dies berichteten russische Nachrichtenagenturen am Donnerstag unter Berufung auf den russischen Generalstab.

Bei anderen Eingezogenen scheint dies nicht ganz so freiwillig zu passieren. Das unabhängige und regierungskritische russische Newsportal Mediazona berichtet, dass in der in Ostrussland gelegenen Region Burjatien die Mobilisierung vielmehr «einer Razzia gleiche». Vertreter des Wehrmelde- und Einberufungsamts seien von Tür zu Tür gegangen und hätten den Männern Vorladungen überreicht, wonach sie sich in lediglich 30 Minuten bei einer Sammelstelle melden mussten.

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166 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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mrmikech
23.09.2022 15:45registriert Juni 2016
Russland erlebt einen riesigen brain drain. Putin bringt sein land einfach um. Richtig gutes "strategisches genie". Nicht.
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Macca_the_Alpacca
23.09.2022 15:30registriert Oktober 2021
Stell dir vor es ist Krieg und kein Russe geht hin.
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Amarillo
23.09.2022 15:44registriert Mai 2020
Aber am Ende ist's halt doch so, dass sich Leute mit Geld und / oder Beziehungen drücken können, und der Rest wird eingezogen. Trotzdem, es betrifft nun nicht mehr bloss ein paar verarmte Regionen weit weg von Moskau oder St. Petersburg. Und es kann auch nicht jeder schnell genug abhauen, selbst wenn er ein Ticket bezahlen könnte. Es wird nun für die Masse der Bevölkerung schwieriger, den Krieg zu ignorieren. Ob das etwas bringt, ist eine andere Frage. Die Russen sind sich das Wegducken und apathische Erdulden seit Jahrhunderten gewöhnt, der Zar, der Sozialismus, und nun die Kleptokratie...
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