Spinner gibt es in jeder Gesellschaft, auch Verschwörungstheorien. Die These vom «Grossen Austausch» (great replacement) deckt beide Aspekte ab: Sie wird von Spinnern verbreitet und besagt, dass Immigranten die einheimische Bevölkerung verdrängen wollen.
Die moderne Version des «Grossen Austauschs» stammt aus Frankreich, wo der Philosoph Renaud Camus und der Schriftsteller Jean Raspail sie in den letzten zehn Jahren populär gemacht haben. Die Idee dahinter ist jedoch viel älter. Kathleen Below, eine auf die rechtsextreme US-Szene spezialisierte Historikerin, erklärt dazu im «New Yorker»:
In den USA beschränkt sich die These vom Grossen Austausch längst nicht mehr auf Spinner und Verschwörungstheoretiker. Sie ist im Mainstream angekommen. Die Zahlen dazu sind erschreckend. So meldete die Agentur Associated Press kürzlich, dass einer von drei Erwachsenen überzeugt ist, dass Bestrebungen im Gang seien, die «eingeborenen Amerikaner mit Immigranten zu ersetzen, um so Wahlen zu gewinnen».
Besonders verbreitet ist diese Ansicht innerhalb der Grand Old Party (GOP). Fast die Hälfte der Mitglieder der Republikaner hängen der Grossen-Austausch-These an. Namhafte Vertreter der GOP stehen öffentlich dazu, und zwar nicht nur Extremisten am äussersten rechten Rand wie Matt Gaetz und Marjorie Taylor Green. Auch Elise Stefanik, die Nummer drei bei den Republikanern, erklärte jüngst, die Demokraten würden eine Amnestie für Immigranten planen, um sich so eine permanente Mehrheit bei den Wahlen zu sichern. Auf gleiche Weise äusserste sich auch Ron Johnson, Senator aus Wisconsin.
Am meisten zur Verbreitung der Grossen-Austauch-These beigetragen hat jedoch Tucker Carlson. Die «New York Times» hat nachgezählt und ist zum Ergebnis gekommen, wonach der neue Star bei Fox News diese These rund 400-mal in seiner Sendung erwähnt hat. «Es ist mehr als eine kleine Pipeline», erklärt dazu Chris Stirewalt, ein ehemaliger Polit-Analyst bei Fox News. «Es ist ein offener Kanal.»
Ein typisches Statement von Carlson lautet wie folgt:
Die permanente Wiederholung der Grossen-Austausch-These bei Carlson zeigt Wikung. Nicole Hammer, Historikerin an der Columbia University, erklärt dazu in der «New York Times»:
Obwohl es keinen direkten Bezug zu Carlson gibt, ist Payton S. Gendron jemand, der auf diese Weise radikalisiert wurde. Der 18-jährige Attentäter hat am vergangenen Samstag in der Stadt Buffalo zehn Menschen getötet und zwei weitere verwundet. Zuvor hatte er im Internet ein 180-seitiges Dokument verbreitet, indem er sich auf die Thesen des Grossen Austausches bezieht.
Auf sein Gewehr hat der Attentäter nebst rassistischen Sprüchen auch die Zahl 14 gesprayt. Diese bezieht sich auf einen bekannten Slogan von David Eden Lane, einem bekannten Vertreter der White Supremacists aus den 80er-Jahren, der in 14 Worten den Anspruch der weissen Rasse auf die Macht begründet. Der Spruch lautet: «We must secure the existence of our people and a future for white children.»
Gendron ist beileibe nicht der Erste, der sich auf die Grosse-Austausch-These beruft. Er hat in seinem Dokument weite Passagen von Brenton Harrison Tarrant übernommen, dem Attentäter, der im März 2019 in der neuseeländischen Stadt Christchurch 51 Muslime erschossen hatte. Auch der Terrorist, der im August 2019 in El Paso (Texas) 22 Menschen hingerichtet hat, beruft sich auf diese These.
Tucker Carlson hat auf das jüngste Attentat reagiert, wie er immer reagiert. Er verurteilt zwar die Gewalt, will aber nichts damit zu tun haben und sieht sich erst recht nicht als Täter, sondern als Opfer. Die Elite wolle ihn mundtot machen, klagt er und versteigt sich gar zur These, die wahren Rassisten seien nicht etwa die White Supremacists, sondern die Demokraten mit ihrer Identitätspolitik.
Auch die Republikaner geben sich bedeckt. Ausser den üblichen Sprüchen wollten sie sich zum Attentat von Buffalo nicht äussern – mit einer löblichen Ausnahme. Liz Cheney, die in Ungnade gefallene ehemalige Nummer drei der GOP, tweetete:
Warum haben nicht viel mehr Leute Rückgrat?