Alle reden von der Elektromobilität, beschwören ihren Durchbruch, weisen auf ihre Bedeutung angesichts der Klimaziele hin. Doch was hilft das, wenn Kunden zu wenig E-Autos bestellen und Hersteller verwundbar sind, weil sie Batteriezellen zukaufen müssen?
Der VW-Konzern hat lange überlegt. Manche Kritiker meinen: zu lange. Nun aber hat das Unternehmen in Salzgitter, im Südosten von Niedersachsen, – bisher Sitz des Werks für Verbrennungsmotoren – eine Pilotfertigung für Zellen hochgezogen. Am Montag wurde die Anlage eröffnet.
#Volkswagen hat mit der Produktion eigener Batteriezellen für Elektroautos begonnen - mit dem Start einer Pilotanlage in Salzgitter. In den nächsten Jahren soll mehr als eine Milliarde Euro investiert werden. pic.twitter.com/t9xL80shzi
— ZDF heute (@ZDFheute) September 23, 2019
Zunächst sollen mit der Anlage weitere Erfahrungen gewonnen werden – das Projekt könnte aber auch die Basis für eine Zellherstellung im grossen Rahmen sein.
Bis zum Jahreswechsel 2023/24 werden in Salzgitter mehr als eine Milliarde Euro investiert. Dann soll auch eine mit dem schwedischen Partner Northvolt gebaute Zellenfabrik, eine sogenannte Gigafactory, in Betrieb gehen.
Nur zusammenbauen oder alles selbst herstellen? Vor dieser Frage stehen die Autokonzerne bei der E-Mobilität. Eine eigene Produktion von Batteriezellen sichert Unabhängigkeit, kostet aber Milliarden.
Ziel sind eine grössere Selbstständigkeit und weniger Einfluss für marktbeherrschende Zulieferer wie Samsung und LG (Südkorea) oder CATL (China). VW-Konzernchef Herbert Diess hatte dem «Handelsblatt» gesagt: «Ich finde es erschreckend, dass wir in diese Abhängigkeit geraten sind.» Vor allem CATL versuchte zuletzt, in Deutschland stärker Fuss zu fassen, in Thüringen entsteht ein riesiges Zellwerk.
Mittelfristig sollen mehr als 1000 Jobs in Salzgitter entstehen – 300 im jetzt eröffneten Entwicklungszentrum, weitere 700 im Gemeinschaftsunternehmen mit Northvolt. Die Zellfabrik wird ab dem kommenden Jahr errichtet, sie ist auf die Grössenordnung von 16 Gigawattstunden (GWh) ausgelegt.
«Durch die Bündelung der Kompetenzen am Standort stellen wir sicher, dass wir die Weiterentwicklung der Batteriezellen als Schlüsselkomponente der Elektrifizierung selbst vorantreiben und schnell in die Serienfertigung überführen können», sagte VW-Beschaffungsvorstand Stefan Sommer.
In der ersten Stufe handele ich sich um eine reine Pilotanlage, deren Zellen für Prototypen bestimmt sind. Die Kapazität liege dabei zunächst unterhalb einer GWh, langfristig peile man konzernweit 150 GWh an.
In Salzgitter erproben rund 300 Mitarbeiter neue Fertigungsverfahren für Lithium-Ionen-Akkus. Dafür steckt der Konzern zunächst 100 Millionen Euro in den Standort.
Der Grossteil der derzeit 8000 Beschäftigten im Werk ist in der Produktion von Verbrennungsmotoren eingesetzt. Wie viele von ihnen «durch Hochfahren der Batteriezelle transformiert werden können», sei noch nicht klar, erklärte Sommer. «Wir werden uns bemühen.» Ein Drittel der Mitarbeiter in der Pilotfertigung stamme heute bereits aus der eigenen Belegschaft.
In seiner Einheit für konzerninterne Zulieferungen wie Motoren, Getriebe oder Lenkungen hat VW inzwischen ein separates Geschäftsfeld für Batteriezellen aufgebaut. An dem Gemeinschaftsunternehmen für den geplanten Werksbau in Salzgitter halten die Wolfsburger und Northvolt je die Hälfte der Anteile. Volkswagen investiert 900 Millionen Euro in die Gemeinschaftsfirma sowie in Northvolt selbst.
Nach Angaben von VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh ist die eigene Produktion der Zellen schon wettbewerbsfähig. «Die Preise liegen teils unter dem Niveau des Marktes.»
Osterloh wies darauf hin, dass die Pilotfertigung konzernintern allerdings lange umstritten war: «Wir dürfen nicht vergessen, wer den Weg geebnet hat.» Seit 2010 habe die Mitarbeitervertretung eine eigene Zellfabrik gefordert.
Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) sagte, der Start der VW-Pilotlinie sei «ein wichtiges Signal für den weltgrössten Automobilhersteller». Er machte jedoch auch klar: Die Mitarbeiter von Volkswagen müssten «mitgenommen werden». Weil für die E-Mobilität insgesamt weniger Arbeitsvolumen nötig ist als für den Bau von Verbrennungsmotoren, dürften viele klassische Jobs in der Branche wegfallen, während in neuen Bereichen Stellen geschaffen werden.
Wie ist die Lage beim heimischen Konkurrenten Daimler?
Der Stuttgarter Autobauer hatte seinen Ausflug in die Zellproduktion im sächsischen Kamenz schon Ende 2015 eingestellt. Sie war zu teuer und nicht konkurrenzfähig mit den Billigzellen aus Asien. Im vorigen Jahr schloss Daimler Lieferverträge im Wert von 20 Milliarden Euro. Der Autobauer gibt vor, was die Zellen können sollen, und baut sie dann in seine Batterien ein. Zur Automesse IAA gab Daimler eine Kooperation mit dem chinesischen Hersteller Farasis Energy bekannt.
CATL wiederum liefert Zellen für die schweren Lastwagen, die von 2021 an in Serie mit Elektromotor gefertigt werden sollen. Die Batterien baut Daimler aber selbst. Weltweit steckt der Konzern mehr als eine Milliarde Euro in ein Netz aus mehreren Batteriefabriken für Pkw.
Die Münchner bauen die Batterien für ihre Hybrid- und E-Autos selbst, etwa im Werk Dingolfing. Die Zellen werden extern eingekauft. Das dürfte bis auf Weiteres auch so bleiben. «Es gibt keine Pläne, selbst in die Produktion einzusteigen», sagte ein Sprecher. Eine Forschung zu Batteriezellen und Elektrochemie hat jedoch auch BMW aufgebaut, um mit Lieferanten auf Augenhöhe verhandeln zu können. Für das Werk von CATL vergaben die Bayern als erster Kunde einen Milliardenauftrag.
(dsc/sda/awp/dpa)
Wie die ach so fortschrittlichen Grosskonzerne so etwas verpassen können ist mir ein Rätsel.
Jetzt kommen langsam die ersten E-Autos aus Europa und werden uns als Errungenschaft verkauft.
Auch die über alles erhabenen deutschen Autohersteller haben wohl eingesehen, dass sich die Zukunft nicht aufhalten lässt.
Später wird man mal sagen, dass sich an dieser Stelle BMW ins Aus manövriert hat.