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Die Suizidkapsel macht Schlagzeilen – dabei ist sie gar nicht zugelassen

Der «Sarco» wurde an mehreren Kunstveranstaltungen in Europa ausgestellt.
Der «Sarco» wurde an mehreren Kunstveranstaltungen in Europa ausgestellt.bild: exitinternational

Die halbe Welt spricht über die «Schweizer» Suizidkapsel – doch es gibt 2 Haken

Die Meldung, dass die Schweiz den sogenannten «Sarco Pod» zugelassen habe, ging um die Welt. Doch es gibt Ungereimtheiten.
08.12.2021, 16:3909.12.2021, 16:16
Corsin Manser
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Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. «Die Schweiz hat die Suizidkapsel zugelassen», berichteten Medien rund um den Globus in den vergangenen Stunden. Hier einige Beispiele:

Die Liste könnte noch lange weiter ergänzt werden. Der sogenannte «Sarco Pod» fasziniert die Redaktionen ebenso wie die Leserinnen und Leser. Auch watson berichtete darüber.

Am Ursprung des weltweiten Medienhypes steht ein Artikel von swissinfo.ch. (SWI swissinfo.ch ist der internationale Dienst der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG SSR.)

Am 6. Dezember wurde auf swissinfo.ch ein Interview mit Philipp Nitschke veröffentlicht. Nitschke ist der Mann, der die Organisation Exit International gegründet und den «Sarco Pod» erfunden hat.

«Die Maschine kann zum Sterben an jeden beliebigen Ort gebracht werden. Das kann in einer idyllischen Umgebung im Freien sein oder zum Beispiel in den Räumen einer Sterbehilfe-Organisation», sagte Nitschke zu swissinfo.ch.

Die Kapsel sei auf einem Gerät montiert, das den Innenraum mit Stickstoff flute und den Sauerstoffgehalt von 21 sehr schnell auf ein Prozent reduziere, erklärte Nitschke.

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Zwei Unklarheiten

So weit, so klar. Doch dann folgten zwei Punkte, bei denen noch einiges an Klärungsbedarf besteht.

Punkt 1: Das «Gutachten»

Weiter sagte Nitschke: «Letztes Jahr haben wir uns über die Rechtmässigkeit des Einsatzes von ‹Sarco› in der Schweiz bei der Sterbehilfe beraten lassen. Diese Prüfung ist abgeschlossen. Wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis und dass wir nichts übersehen haben. Es gibt überhaupt keine rechtlichen Probleme.»

Im Titel des originalen Interviews, welches bei swissinfo.ch auf Englisch erschien, hiess es nach den Aussagen Nitschkes: «Sarco suicide capsule ‘passes legal review’ in Switzerland.»

Die Journalistin, welche das Interview geführt hat, sagt gegenüber watson, dass die Anführungszeichen sehr wichtig seien. Das bedeute, dass jemand diesen Tatbestand behaupte. Das sei nicht dasselbe wie die Feststellung einer Tatsache.

Dennoch titelte swissinfo.ch in ihrer deutschen Übersetzung zunächst: «Suizidkapsel wird in der Schweiz rechtlich zugelassen.» Mittlerweile wurde der Titel geändert. Neu heisst es: «Suizidkapsel nach Schweizer Recht wohl zulässig.»

In der Tat ist momentan nicht klar, auf welches Rechtsgutachten sich Herr Nitschke stützt. watson erreichte den Australier am Dienstag am Telefon über eine niederländische Nummer. Er wolle uns das Rechtsgutachten nicht zustellen, sagte er, während im Hintergrund lautstark Musik lief. Auch swissinfo.ch hatte keine Einsicht in die Dokumente.

Von einer «Zulassung» kann also keine Rede sein. Bei Swissmedic winkt man auf Anfrage ab. Für solche Fantasieprodukte sei man nicht zuständig, heisst es. Man prüfe Arzneimittel. Ein Antrag von Exit International liege nicht vor.

Punkt 2: Die Zusammenarbeit mit den Schweizer Organisationen

Weiter sagte Nitschke, er sei zuversichtlich, dass der «Sarco» bereits 2022 in der Schweiz eingesetzt werden könne. Dafür werde man mit lokalen Organisationen arbeiten. Nitschke: «Wir haben mit verschiedenen Gruppen in der Schweiz gesprochen, auch mit solchen, mit denen wir bereits bei einzelnen Fällen von Sterbehilfe zusammengearbeitet haben, um ‹Sarco› für den Einsatz in der Schweiz anzubieten. Dies würde in Zusammenarbeit mit einer lokalen Organisation geschehen.»

Fragt man allerdings bei den grossen Schweizer Organisationen nach, die assistierten Suizid anbieten, will man nichts vom «Sarco» wissen.

Die bisherige Praxis der professionellen Freitodbegleitung mit ausgebildeten Mitarbeitenden und Ärztinnen und Ärzten habe sich bewährt, schreibt Dignitas. «Angesichts dieser etablierten, sicheren und bewährten Praxis können wir uns nicht vorstellen, dass eine technologisierte Kapsel für ein selbstbestimmtes Lebensende in der Schweiz auf breite Akzeptanz und/oder Interesse stossen wird.» Auch bei Dignitas fragt man sich: «Um was für eine ‹rechtliche Zulassung› geht es? Wer hat das ‹Gutachten› erstellt und was war die gestellte Frage?»

Ähnlich klingt es bei Exit Deutsche Schweiz: «‹Sarco› oder die Suizidkapsel erachten wir nicht als Alternative zu den Freitodbegleitungen, wie sie EXIT durchführt. Bei der skizzierten Methode zur Sterbehilfe von Herrn Nitschke bestehen viele Fragezeichen», sagt Vizepräsident Jürg Wiler zu watson.

ARCHIV --- ZUR GV VON EXIT DEUTSCHE SCHWEIZ STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILD ZUR VERFUEGUNG --- Zwei Mitglieder von Exit informieren sich an einem Stand, am 20-Jahre-Jubilaeum der Sterbehilfeorganisat ...
Exit will den «Sarco Pod» nicht anbieten.Bild: KEYSTONE

Auch bei der Organisation Ex International heisst es: «Wir hatten keinen Kontakt mit Herrn Nitschke. ‹Ex International› hat nicht vor, den Sarco in nächster Zeit einzusetzen.»

Wer mit Nitschke in der Schweiz zusammenarbeiten will, bleibt also unklar. Eine weitere Organisation, die swissinfo.ch gegenüber watson erwähnte, beantwortete eine entsprechende Anfrage nicht.

Herr Nitschke selber wollte watson am Telefon ebenfalls nicht mitteilen, mit welchen Schweizer Organisationen er zusammenarbeitet. Die Verbindung unseres Telefonats wurde nach wenigen Minuten unterbrochen. Auf mehrfache Anrufe und eine E-Mail reagierte er nicht mehr.

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27 Kommentare
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Blubbb
08.12.2021 17:02registriert November 2020
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International anerkannter Experte für ALLES
08.12.2021 17:18registriert Juli 2021
Krass. Ein Artikel, alle schreiben ihn ab, keiner prüft den Wahrheitsgehalt. Immerhin hat Watson dann doch noch nachgeforscht. Bravo 👏
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PhilippS
08.12.2021 17:13registriert September 2016
Kurz: Die ungefilterte und ungeprüfte Übernahme und Verbreitung von News, ist das Hauptproblem der ‚Qualitätsmedien’ (die Anführungszeichen sind wichtig, da Feststellung nicht Tatsache).

Und daran ändert auch das Mediengesetz nichts. Ist aber ein schönes Beispiel, woher das Misstrauen einiger ggü den Medien grundsätzlich kommt.
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