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Filmfestival Locarno

«Blade Runner»-Star Rutger Hauer ist tot – sein letztes grosses watson-Interview

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Neben diesen blauen Augen sieht auch der Himmel über dem Lago Maggiore farblos aus: Rutger Hauer in Locarno.Bild: simone meier
Interview mit Einsichten

«Blade Runner»-Star Rutger Hauer ist tot – sein letztes grosses watson-Interview

Harley-Fan Rutger Hauer zog sich in jungen Jahren für uns aus, später zog sich Kylie Minogue für ihn aus. Ridley Scotts Blade Runner machte ihn zum Kultstar. Jetzt ist er mit 75 Jahren gestorben. watson hat ihn vor fünf Jahren interviewt – auf einem Boot.
08.08.2014, 13:2424.07.2019, 20:34
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Simone Meier
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Wieso sind wir auf einem Boot?

Rutger Hauer: Weil es auf dem Wasser ist. Das Wasser macht so «Pffffffffrrrrrt!» mit einem. Heute Morgen war ich furchbar nervös und dachte, alles geht schief, jetzt fühle ich mich ruhiger. Gibt es hier einen Aschenbecher? Ich rauche Kette.

Bitte, hier.

Grossartig! Ist das nicht grossartig? Aber das ist ein lautes Boot, es hat einen Motor, ich dachte, hier haben wir unsere Ruhe. Ich mag keinen Lärm. Das nächste Mal nehmen wir ein Segelboot. Und ich fürchte, gleich fängt der Kapitän noch an zu singen.

Wenn Sie keinen Lärm mögen, weshalb sind Sie dann gestern auf einer Harley in Locarno eingefahren?

Weil ich mich damit besser bewegen kann. Ich bin inkognito. Sonst sprechen mich die Leute dauernd an. Ich bin nicht so darauf erpicht, eine Ikone zu sein. Aber ja, Harleys sind laut, deshalb besitze ich auch keine, ich miete sie immer. Bloss diese eine, diese Japanische, die ist leise. Ich warte auf eine Elektro-Harley. Aber ich liebe die Stille. Ich bin immer auf der Suche nach den stillsten Orten der Welt. Und dann steh ich da ganz oben auf dem Mont Blanc, und schon schreit wieder irgendwer herum. Furchtbar. Aber einmal war's leise, in der australischen Wüste. Da war ich mit einer Harley und versuchte, ein Känguru zu verfolgen. Unmöglich.

Und alle Ihre Filme sind laut!

Ja klar, in den meisten geht es um laute Waffen, die Leute töten. Ich nenne sie meine experimentellen Filme...

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Rutger Hauers Harley.Bild: simone meier
Der Mann, der Harrison Ford brav und bleich aussehen liess.
Der Holländer Rutger Hauer ist 70 und eine Legende des eher blutigen Trash-Action-Kinos. Zum Kult und mehrfach in die Riege der Sexiest Men Alive gewählt wurde er dank Blade Runner (1982). Er war da der Robotermensch beziehungsweise Replikant Roy Batty, der blonde Engel mit den blauen Augen und der weissen Taube, der gegen den braven Harrison Ford kämpft. Ridley Scotts Klassiker ist ein Science-Fiction-Meilenstein. Rutger Hauer ist den paranormalen Geschöpfen seither treu geblieben, letztes Jahr verwandelte er sich für HBO in einen True-Blood-Vampir. Er ist seit 1968 mit seiner Frau Ineken zusammen, er ist Umweltaktivist und engagiert sich in der Rutger Hauer Starfish Association im Kampf gegen AIDS. In Locarno ist er Jurypräsident der Sektion Pardi di domani.

Sie sind als Präsident der Kurzfilm-Jury in Locarno. Melanie Griffith kämpft da zum Beispiel in «Thirst» um Ihre Gunst. Da treffen zwei ältere Hollywood-Herrschaften aufeinander.

Ach, am Ende sind Melanie und ich doch die gleichen Tiere. Die PR hat uns bloss verschiedene Kostüme umgehängt. Aber in meiner Arbeit als Jurypräsident geht es natürlich um die Freiheit der Kunst! Um das Leben! Nicht um Disney-Land-Fiction. Meine Frau hat das total lustig und treffend zusammengefasst, sie ist so, ich sag jetzt nicht, was sie gesagt hat, aber es war wahnsinnig lustig. Ich liebe Kurzfilme, sie sind ehrlicher, gerader, schneller, roher als längere Filme, die Leute müssen zum Punkt kommen, fertig. Die haben gar keine Zeit, sich selbst irgendwie kostbar zu finden.

Okay, reden wir über Ihre Zeit in der Schweiz.

In der Schweiz?

Ja, Sie haben hier gearbeitet.

Hab ich? Oh, ja, genau! In Dornach! Im Goetheanum. Oh Gott! Da war ich 18!

Wie sind Sie denn dahin gekommen?

Meine Eltern waren beide Schauspieler, sie haben mich in eine Rudolf-Steiner-Schule gesteckt, weil das meiner Kreativität helfen sollte. Na ja, ich habe die Lehrer dort gemocht, die waren wahnsinnig soft. Aber sie haben mich nicht gemocht, ich stellte zu viele harte Fragen und bekam keine Antworten. Als Teenager braucht man aber Antworten. Dass die Welt Scheisse ist, weiss man, aber dass man selbst Scheisse sein könnte, muss man erst lernen. Anyway, ich wollte im Ausland arbeiten, da lag das Goetheanum nahe. Ich jobbte dort drei Monate lang als Gärtner und Bühnenarbeiter.

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So ungefähr stellen wir uns Rutger Hauer bei den Anthroposophen vor. Bild: rutgerhauer.org

Und wie war das? Ähnlich heilig wie der Vatikan für die Katholiken?

Das Goetheanum ist so spirituell, das übersteigt selbst meine spirituellen Fähigkeiten. Ein paar Ideen sind wirklich gut, aber das kann ich auch über die Bibel und den Koran sagen. Und von Ideen allein lebt man nicht. Ein verrückter Ort.

Ein anthroposophischer LSD-Trip?

Irgendwie. Fünfstündige Eurythmie-Vorstellungen und so. Tagsüber schwebten sie auf einer Wolke, hassten Messer, scharfe Kanten und Ecken, nachts vögelte ganz Dornach miteinander. Mir war das vorher gar nicht so bewusst gewesen. Ich liebe Messer. Sie sind chirurgisch. Sie sind klar. Sie kommen auf den Punkt. Danach habe ich noch vier Wochen in Lugano als Kellner gearbeitet.

Und Ihr Italienisch war makellos, nehme ich an.

Natürlich nicht. Ich war schrecklich, und meine Kollegen hauten mich immer übers Ohr und klauten mir das Trinkgeld. Am Ende hatte ich 250 Franken, was damals viel war. Die Kollegen nahmen mich mit ins Kasino, sie spielten alle, und natürlich verlor ich die 250 Franken auf einen Schlag. Ein Monat Arbeit, weg.

Umso besser läuft Ihre Arbeit als Schauspieler. Ihre Heimat Holland überhäuft Sie mit Ehrungen. Sie wurden schon zum «besten Schauspieler des 20. Jahrhundert» gekürt und vor kurzem zum Ritter geschlagen. Hat da der König Ihr Haupt mit einem Schwert berührt?

Nein, irgendwer hat mir eine Nadel angesteckt, das war’s. Nett. Aber es war eine echte Überraschung. Ich machte gerade ein Autorennen für eine Wohltätigkeitsaktion, danach überreichten sie mir den Orden. Als Wertschätzung der Königsfamilie. Eine Woche lang fühlte ich mich besonders, danach war es bloss wieder eine Auszeichnung mehr. Und niemand nennt mich seither Sir. Ich könnte den Orden jetzt zum Beispiel an Staatsbegräbnissen tragen. Bloss geh ich da nie hin.

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Als ich neulich «Blade Runner» in einem Zürcher DVD-Laden kaufte, sagte die junge Frau an der Kasse: «Ganz klar der beste Film aller Zeiten!»

Wow, danke. Aber ja, es macht mich immer wieder dankbar, Teil von «Blade Runner» zu sein. Der Film hat mich gemacht und er hat viel für mich gemacht. Da bin ich quasi ins Tiefengewebe meines Talents vorgedrungen. Das geschieht sehr selten. Der Film ist wie mit einem Laserstrahl in mich eingeschrieben. Vorher hatte ich kein Selbstbewusstsein, gar keins. Als «Blade Runner» rauskam, waren fünfzig Prozent der Leute total begeistert, die andern fünfzig Prozent verstanden nichts, zudem haben wir das Budget im Lauf der Dreharbeiten vervierfacht, es war eine Katastrophe. Heute gilt er unbestritten als das Meisterwerk von Ridley Scott. Und Ridley sieht das genauso. Er nennt ihn seinen «Film noir». Aber der Film hat so viele Schattierungen, so viele Farben, er ist so unfassbar köstlich, wie ein Dessert. Und dieser zynische Humor! Den kann nur ein Brite kreieren.

Klären Sie uns auf. Es geht das Gerücht, Sie hätten Ihren legendären Todesmonolog als Replikant Roy Batty improvisiert.

I've seen things you people wouldn't believe... All those moments will be lost in time, like tears in rain. Time to die...

Roy Battys Sterbemonolog in Blade Runner

Schön!

Nein, ich hab das nicht erfunden. Ich hab bloss das Drehbuch zusammengestrichen, ich wollte diesen einen Satz finden. Das war mir vorher zu sehr wie in einer Oper, wo die Leute den Tod ewig hinauszögern. Ich kann das nicht ausstehen. Bei sowas entleeren sich ja alle Batterien. Aber ich wollte, das Roy Batty mit vollen Batterien abgeht. Und dann hoffte ich einfach, dass Ridley das mag. Er mochte es. Ich mein, der ganze Film dreht sich ja nur um uns Replikanten, nicht um die Hauptfigur.

Harrison Ford ist ein bleicher Zwerg.

Genau! Aber wir Replikanten sind so köstlich, so lebendig, die sind auch heute noch so interessant! Harrison Ford dagegen: Tot. Und das Verrückte an Blade Runner ist ja: Am Ende sind alle Replikanten! Da gibt es gar kein Entkommen. Was Harrison Ford da einen Film lang gemacht hat, nämlich Replikanten jagen, das war völlig überflüssig.

Noch eine letzte Frage: Sie sind jetzt Teil der TV-Serie «True Blood». Wie war's mit HBO?

Ich noch nie einen so gut organisierten, professionellen, schnellen, talentierten Laden gesehen. Das war wie eine Fabrik. Ich hatte Spass mit meinem Ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-Enkel und ich hoffte, dass ich irgendwie eine Beziehung mit Sookie finden würde, aber die Frau ist ja hoffnungslos gestört!

Sie meinen die Schauspielerin, Anna Paquin?

Nein, Sookie, die Figur, ein armes, armes Mädchen.

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