Im Fussball bedeutet die Glanznote Sechs: Der Spieler war nicht einfach nur gut, sondern so richtig, richtig gut. Halt die prägende Figur der Partie. Wie Steven Zuber gegen die Türkei. Nach dem 3:1 bewerteten manche Medien den Schweizer mit der Sechs, weil er so richtig, richtig gut war. Weil er mit seinem Auftritt bewies, welchen Wert er für die Nationalmannschaft haben kann, auch wenn man diesen nicht immer auf den ersten und zweiten Blick erkennt. Sondern vielleicht erst auf den dritten.
Nein, ein Überflieger im Team von Trainer Vladimir Petkovic war Zuber nie, ein Spieler, der dann und wann wichtig sein konnte aber schon. Und eigentlich kommt er ja auch immer zum Einsatz. Bei seinen 38 Auftritten und 8 Treffern erlebte Zuber den einen oder anderen lichten Moment für die Schweiz. Vor allem mit seinem Kopfballtor gegen das grosse Brasilien an der WM in Russland war er für ein paar Tage weltweit in aller Munde – auch wegen des Schubsers davor. Es war das 1:1 und damit ein wichtiger Punkt auf dem Weg in die Achtelfinals. Damals machte es den Anschein, als wäre ihm der mediale Rummel um seine Person nicht geheuer.
An Ricardo Rodriguez kam Zuber gegen Wales und Italien nicht vorbei, obwohl er bereits im Test gegen die USA als einer der Wenigen angedeutet hatte, gut drauf zu sein. Sein Glück war, dass Rodriguez gegen die Türkei eine Position zurück in die Innenverteidigung rückte und Petkovic damit Platz für Zuber schuf. Der Coach musste gespürt haben, dass es über die Seiten nur mit Zuber gehen konnte, nicht aber mit dem langsameren Rodriguez. Es war ein guter Entscheid.
Zuber bedankte sich für das Vertrauen mit den Assists zu allen drei Treffern, mit vier Abschlussversuchen, davon zwei gefährlich aufs gegnerische Tor. Zuber schloss die Räume auf den Seiten, er spielte trickreich und harmonierte mit Rodriguez, der ihn immer wieder suchte und fand – es war der häufigste gespielte Pass in diesem Spiel. Und weil Captain Granit Xhaka oft unterstützend hinzukam, liefen fast alle und die besten Angriffe über die linke Seite der Schweizer.
Petkovic hielt an Zuber stets fest, wenngleich der 29-Jährige eine schwierige Saison hinter sich weiss und mit den wenigsten Pflichtspielminuten aller 26 Kadermitglieder an die EM fuhr. In Frankfurt lief es tatsächlich nicht so gut, Zuber kam bei den Hessen nur zu Beginn der Spielzeit regelmässig als Stammspieler zum Zug. Bald gab es im linken Couloir kein Vorbeikommen an Filip Kostic, der von einer Knieverletzung zurückgekehrt war und stark performte. Beim Cup-Out gegen Leverkusen zu Beginn des Jahres hagelte es für Zuber auch noch vernichtende Kritiken.
Schliesslich sah es bald so aus, als würde er ein Opfer der eigenen Variabilität, die ihm Trainer Julian Nagelsmann einst bei Hoffenheim einverleibt und dort vor der WM 2018 zeitweise ebenfalls den Stammplatz gekostet hatte. Zuber selbst sah seine Polyvalenz nie als Nachteil, vielmehr schätzte er sie: «Ja, ich kann nicht nur links spielen, auch rechts oder vorne.» Er könnte es sogar als Linksverteidiger.
Zur sportlich unbefriedigenden Situation in Frankfurt unter Trainer Adi Hütter kam 2020 nach zwölf Jahren Beziehung die Trennung von Ehefrau Mirjana hinzu, eine ehemalige Miss Zürich, die damit an die Öffentlichkeit gegangen war. Was die vergangenen Monate mit Zuber machten, weiss man auch deswegen nicht so recht, weil er eher zurückhaltend und kein Mann vieler Worte ist. Von daher überraschte es dann schon, als nach der zweiten Schweizer Niederlage im EM-Turnier ausgerechnet der Zürcher die kontrovers diskutierte Lage des Nationalteams beschreiben und den kritischen Stimmen begegnen sollte. Er machte das ganz passabel, wirkte klar in seinen Gedanken, als er sagte:
Zuber wies im Vorfeld der schicksalhaften Partie gegen die Türken auch darauf hin, dass man nicht alles schlechtreden dürfe. Und dass er an dieser EM mit dabei sei, um unbedingt eingesetzt werden. «Ich bin überzeugt von meinen Fähigkeiten», sagte er. Solche Töne der Selbstüberzeugung sind nicht neu bei Zuber, er traf sie in jungen Jahren bereits bei den Grasshoppers, als er sich seine Sporen in der Super League abverdiente und der Schweizer Nationaltrainer noch Ottmar Hitzfeld hiess. Damals sagte er sinngemäss, fussballerisch die grösseren Qualitäten als die gestandenen Valentin Stocker und Tranquillo Barnetta zu besitzen. Hitzfeld goutierte dieses Votum selbstredend nicht, weil es eine gewisse Unruhe hineinbrachte. Zuber sollte schliesslich erst 2017 im Nationaldress für die Schweiz debütieren.
Vielleicht ist das eben gerade der Steven Zuber: Manchmal kommt das Unerwartete, auf und neben dem Platz, manchmal schlägt das Schicksal zu, auf und neben dem Platz. Im Positiven wie Negativen. Beispiele kennt der in Rikon aufgewachsene Rechtsfuss nur zu gut: 2016 ein Schädelbasisbruch im Training bei Hoffenheim nach einem Zusammenprall mit Fabian Schär; 2014 der Wechsel zu ZSKA Moskau, der viel Geld und sportlichen Erfolg brachte sowie ein Jahr später das Engagement in der Bundesliga; 2011 der schwere, selbst verschuldete Unfall, bei dem sein Auto auf dem Dach landete und Zuber dank eines riesigen Schutzengels unverletzt blieb.
Zuber hat gelernt, sich im Leben zu behaupten, dabei hilft gewiss, dass er in einer Familie mit sechs Kindern aufwuchs. Und er weiss aufzufallen, mit den Tattoos, die immer weiterzuwachsen scheinen, mit dem Feuer, wenn er ins Eins gegen Eins geht, mit der Lust an Übersteigern, auch wenn er diese nicht mehr so oft bringt wie einst. Bleibt die Frage, wie es für Zuber nach der EM weitergeht. Der Vertrag mit Frankfurt läuft bis 2023, neu wird Oliver Glasner den Klub trainieren, grundsätzlich bleibt es also bei der Philosophie des schnellen Umschaltspiels. Es würde nicht überraschen, wenn sich Zuber nochmals festbeisst. Wie in der Schweizer Nationalmannschaft.