Der gläubige Katholik Joe Biden wurde am Freitag zu einer Audienz im Vatikan empfangen. Er konnte päpstliche Aufmunterung sehr gut gebrauchen. Die letzten paar Monate waren für den US-Präsidenten ein eigentlicher politischer Kreuzweg, auf dem er von allen Seiten gequält wurde. Und das sind die Stationen, die er durchlaufen musste:
Joe Biden gewann zwar das direkte Duell gegen Donald Trump. Im Kongress hingegen sah es zunächst zappenduster aus. Die Demokraten mussten einen grossen Teil der in den Zwischenwahlen gewonnenen Sitze wieder abgeben und konnten bloss eine knappe Mehrheit behaupten.
Im Senat schien es zunächst gar, als ob die Republikaner ihre Mehrheit verteidigen könnten. Biden wäre damit schon zu Beginn seiner Amtszeit angeschlagen gewesen und hätte bloss mit präsidialen Dekreten regieren können. Dank der Dummheit von Donald Trump und mit ein bisschen Glück gewannen danach im Bundesstaat Georgia jedoch gleich zwei Senatoren überraschend die Nachwahlen. Weil bei einem Patt die Stimme der Vizepräsidentin ausschlaggebend ist, verfügten die Demokraten damit auch in diesem Gremium über eine hauchdünne Mehrheit.
Die Demokraten stellten nun den Präsidenten und hatten eine Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses. Plötzlich hing der Himmel voller Geigen. Ein Green New Deal, ein dringend nötiger Ausbau des Sozialstaates, eine ebenso dringend benötigte Reform des Steuerwesens – alles schien nun machbar.
Der Start verlief denn auch verheissungsvoll. Gegen den erbitterten Widerstand der Republikaner konnte das 1,9-Billionen-Dollar-Corona-Hilfsprogramm durch den Kongress geschleust werden. Der progressive Flügel begann bereits, von einem 6-Billionen-Programm zu träumen, mit dem die amerikanische Gesellschaft grundsätzlich umgekrempelt werden sollte.
Auch Joe Biden erlebte so etwas wie eine Image-Wiedergeburt. Einst wurde er als eher konservativer, etwas langweiliger Mitte-Politiker verspottet. Nun stand er plötzlich als neuer Franklin D. Roosevelt da, dem Präsidenten, der in den Dreissigerjahren mit dem legendären New Deal die Depression besiegt hatte. Auch Vergleiche mit Lyndon B. Johnson wurde gezogen. Dieser hatte 1964 mit dem «civil rights act» den Schwarzen wieder zu ihren bürgerlichen Rechten verholfen.
In der Euphorie wurde jedoch ein klitzekleines Detail übersehen: Roosevelt und Johnson verfügten einst über komfortable Zweidrittels-Mehrheiten im Kongress. Biden hingegen muss sich mit minimalsten Mehrheiten begnügen. Was dies bedeutet, sollte sich im Laufe des Sommers zeigen.
Wegen des Patts im Senat können die Demokraten ein neues Gesetz nur mithilfe des sogenannten «reconciliation process» verabschieden. Dazu benötigen sie sämtliche Stimmen der 50 Senatorinnen und Senatoren. Doch zwei von ihnen legten sich von Anfang an quer: Joe Manchin aus dem Bundesstaat West Virginia und Kyrsten Sinema aus dem Bundesstaat Arizona. Manchin gehört dem konservativen Flügel der Partei an und gilt als Überzeugungstäter. Die Motive von Sinema sind bis heute ein Rätsel.
In der Politik gilt das mittlerweile ein bisschen abgedroschene Bonmot, welches einst der legendäre deutsche Kanzler Otto von Bismarck in die Welt gesetzt hat. Es lautet: Bei der Herstellung von Würsten und politischen Gesetzen sollte man besser nicht hinschauen. Sonst werde einem der Appetit vergehen.
Dieses Bonmot bewahrheitete sich nun einmal mehr – und wie. Manchin und Sinema erreichten, dass zunächst Bidens «Build back better»-Programm in einen harten und einen weichen Teil aufgespalten wurde. Der harte Teil betrifft Strassen, Eisenbahnen, Häfen, etc. Der weiche Teil die sozialen und die Umweltaspekte. Angesichts des katastrophalen Zustandes der amerikanischen Infrastruktur waren selbst 16 Senatoren der Grand Old Party bereit, rund eine Billion Dollar für dieses Programm zu bewilligen.
Trotzdem ist selbst dieser Teil immer noch blockiert. Im Abgeordnetenhaus sagten sich die Progressiven nämlich: Was für Manchin/Sinema gut ist, soll uns recht sein. Sie erklärten, sie würden dem harten Teil erst dann zustimmen, nachdem der Senat auch den weichen Teil verabschiedet hat. Weil die progressive Fraktion rund 90 Köpfe umfasst, und weil sie geschlossen auftritt, konnte sie sich auch durchsetzen.
Nun war die Blockade total. Im Senat war keine Mehrheit für den weichen, im Abgeordnetenhaus keine für den harten Teil des Infrastrukturprogramms zu erreichen. Die Demokraten schienen sich einmal mehr selbst in den Fuss zu schiessen, denn trotz flehender Appelle und zahlloser Leitartikel blieben beide Seiten stur.
Es begann nun ein Feilschen wie auf einem Basar. Der ursprünglich auf 3,5-Billionen-Dollar angedachte weiche Teil wurde zurückgestutzt. Immer neue Zahlen machten die Runde, ebenso immer neue Vorschläge zur Reform der Steuergesetze. Besonders ärgerlich war dabei die Tatsache, dass sich die beiden renitenten Senatoren nicht auf eine gemeinsame Linie einigen konnten. Stimmte Manchin einem Vorschlag zu, lehnte ihn Sinema ab – und umgekehrt.
Nun hat Joe Biden endlich Nägel mit Köpfen gemacht. Vor seinem Abflug nach Italien und an den Klimagipfel in Glasgow stellte er die Umrisse eines Kompromisses vor, dem alle Demokraten zustimmen können. Dabei ist der Umfang des Programms von 3,5 auf 1,75 Billionen geschrumpft. Wichtige Teile wie der Mutterschaftsurlaub und Gratis-Colleges sind weggefallen.
Doch auch in kastrierter Form ist dieses Programm noch beachtlich. Es bedeutet vor allem, dass die USA in den nächsten zehn Jahren 555 Milliarden Dollar für einen ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft ausgeben werden. Ein intelligentes und resistentes Stromnetz wird damit gebaut, die Autoflotte der Regierung auf Elektroautos umgerüstet, ein landesweites elektrisches Tankstellennetz errichtet, Isolationen für Häuser subventioniert, etc.
Auch wichtige soziale Errungenschaften werden damit erreicht: gratis Kindergarten, beispielsweise, oder eine Ausweitung der Krankenversicherung Obamacare.
Schliesslich werden endlich auch Amerikas Superreiche zur Kasse gebeten. Viele von ihnen zahlen dank Tricks keinen Rappen Einkommenssteuer. Jeff Bezos beispielsweise hat gar eine Steuerrückerstattung für seine Kinder erstritten. Damit wäre Schluss. Auch die Konzerne müssen eine Unternehmenssteuer von mindestens 15 Prozentpunkten entrichten.
Die hochfliegenden Pläne der Progressiven werden damit nicht erfüllt. Trotzdem ist auch die kastrierte Version von «Build back better» eine grosse politische Leistung. Sollte sie tatsächlich nächste Woche vom Kongress verabschiedet werden, dann kann Joe Biden auf ein erfolgreiches erstes Amtsjahr zurückblicken – und die Amerikaner können herzhaft in eine schmackhafte Wurst beissen.
Das Murmeltier grüsst in den USA nicht nur täglich, sondern auch alle 2, resp. 4 Jahre…
Manchin tritt 2024 wohl nicht mehr an, ist ein Lobbyist für Kohle und stellt sich völlig stur, wenn es um den Ausbau von Sozialleistungen geht.
Sinema versteht niemand wirklich; sie ist als Progressive gestartet und driftet jetzt gegen rechts ab...
Tja, mal genauer hinschauen, wie das weiter geht...