Gesundheit: Ist das Ungeborene lebensunfähig, benötigen Eltern mehr Hilfe

Gesundheit: Ist das Ungeborene lebensunfähig, benötigen Eltern mehr Hilfe

26.08.2015, 10:08

Die Diagnose «Fötus lebensunfähig» lässt für viele Eltern die Welt zusammenbrechen. In dieser Situation benötigen sie mehr Beratung und Unterstützung, als sie heute im Allgemeinen bekommen.

Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Lebensende» die Studie «Sterben am Lebensbeginn» erstellt. Die Wissenschaftler untersuchten, wie Eltern in der schwierigen Situation nach einer derartigen Diagnose unterstützt werden. Am Mittwoch wurden die Ergebnisse veröffentlicht.

Insgesamt kommen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Schluss: Die Eltern werden zu wenig informiert und unterstützt, wie es in einer Mitteilung zur Studie heisst.

Die Unterstützung sei von Spital zu Spital sehr unterschiedlich, sagte Studienleiterin Valerie Fleming zur Nachrichtenagentur sda. Sie hänge nicht von der Grösse des Spitals ab, sondern von der individuellen Kultur in einem Betrieb.

Für die allermeisten Schwangeren gibt es im Voraus keinerlei Hinweise auf eine derart schwere Erkrankung des ungeborenen Kindes. Die Nachricht, ihr Baby werde voraussichtlich unmittelbar oder kurz nach der Geburt sterben, kommt deshalb überraschend wie ein Keulenschlag.

Entscheidung unter Schock

Die Eltern stehen unter Schock - müssen aber eine Entscheidung treffen: Soll die Schwangerschaft vorzeitig beendet werden, oder wollen sie die natürliche Geburt abwarten und ihr Kind dann verlieren. Viele Eltern können eine solche Entscheidung nicht aus eigener Kraft fällen, wie es in der Mitteilung heisst.

Sie brauchen erst mal Zeit. Häufig glaubten Eltern, die Zeit dränge, das todkranke Ungeborene gefährde die Gesundheit der Schwangeren. Und oft werde dann eine Schwangerschaft überstürzt - innerhalb von 24 Stunden nach der Diagnose - abgebrochen. Erklärten die Ärzte dagegen, es eile nicht, so könne das die Situation entlasten.

Bei der Entscheidungsfindung spielen laut Mitteilung einerseits religiöse Überzeugungen mit, aber auch Hoffnungen auf eine Fehldiagnose. Anderseits sind da Ängste bei der Vorstellung, Eltern eines schwerstbehinderten Kindes zu werden.

Unabhängige Beraterin

Zentral sind jetzt Informationen. Die Studie empfiehlt, den betroffenen Eltern bis 48 Stunden nach der Diagnose Gespräche mit einer unabhängigen Beraterin oder einem Berater anzubieten. Fachleute der verschiedensten Fachbereiche - unter anderem Geburtshilfe, Ethik, Seelsorge, Recht - informieren aus ihren jeweiligen Blickwinkeln über die individuellen Optionen.

Laut Fleming sagt, sollen die Eltern dabei nicht einem ganzen Kreis von Fachleuten gegenüber sitzen, sondern den Berater, die Beraterin als Bezugsperson haben. Die stellvertretende Leiterin der ZHAW-Forschungsstelle Hebammenwissenschaft glaubt allerdings nicht, dass der Einsatz solch unabhängiger Berater Realität wird - «ein schöner Traum». Aber sie hoffe, dass «etwas in der Art» komme.

Manche Eltern entscheiden sich trotz der niederschmetternden Diagnose für eine Fortsetzung der Schwangerschaft und eine natürliche Geburt. Sie wollen laut Studie als normale Eltern wahrgenommen werden. Für sie sollte ein Palliativ-Pflegeprogramm entwickelt werden.

Der verbleibenden Zeit können sie Positives abgewinnen - sie pflegen weiter die Beziehung zum Ungeborenen und können sich auf den Abschied vorbereiten. Ist es soweit, werden sie von Fachleuten eng begleitet und unterstützt. Laut Studie ist dann eher das persönliche Umfeld das Problem: Angehörige und Freunde wissen nicht, wie sie den trauernden Eltern begegnen sollen.

Kaum Zahlen erhältlich

Die Studienergebnisse sollen laut Mitteilung dazu beitragen, die aktuellen Praktiken von Gynäkologen, Hebammen, Seelsorgern und anderen Fachpersonen zu überprüfen und den spezifischen Bedürfnissen der Menschen in dieser schwierigen Situation anzupassen.

Zahlen über die Diagnose «Fötus lebensunfähig» gibt es laut Fleming kaum. Manche Ärzte sprächen von rund 100 Fällen jährlich in einem einzigen grossen Spital, offizielle Zahlen gingen von insgesamt 80 Fällen aus. In der Statistik dürften einige als Schwangerschaftsabbruch erfasst werden, einige als Totgeburt, einige als Todesfall kurz nach der Geburt. (sda)

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