Am Dienstag entscheidet der Nationalrat, ob die Personenfreizügigkeit auch für Kroatinnen und Kroaten gelten soll. Dabei geht es um weit mehr als um ein Zusatzprotokoll. Es ist ein erster Schritt auf dem steinigen Weg hin zu geordneten Verhältnissen mit der EU.
Das Protokoll III zum Freizügigkeitsabkommen war das erste Opfer der Masseneinwanderungsinitiative. Eine Woche nach dem Urnengang vom 9. Februar 2014 erklärte der Bundesrat, dass er dieses nicht unterzeichnen könne. Die Verfassung verbot nun plötzlich den Abschluss neuer völkerrechtlicher Verträge, die keine eigenständige Steuerung der Zuwanderung erlauben.
Als Reaktion darauf legte Brüssel die Verhandlungen über die Forschungszusammenarbeit im Rahmen von Horizon 2020 auf Eis. Später gelang es dem Bundesrat, für die Schweiz eine teilweise Teilnahme auszuhandeln. In dem Übergangsabkommen wurde Horizon 2020 formell mit der Kroatien-Frage und der Zuwanderungsbegrenzung verknüpft: Wenn das Kroatien-Protokoll nicht bis am 9. Februar 2017 ratifiziert ist, endet die Forschungszusammenarbeit endgültig. Falls die Ratifizierung zu Stande kommt, ist die Schweiz voll assoziiertes Mitglied von Horizon 2020.
Ratifiziert werden kann das Protokoll nur dann, wenn eine Einigung mit der EU über die Begrenzung der Zuwanderung zu Stande gekommen ist. Um es zu unterzeichnen und dem Parlament zur Genehmigung zu unterbreiten, genügte dem Bundesrat jedoch die vage Hoffnung, die nach den Konsultationen mit der EU-Kommission aufkeimten. Vorerst geht es nur darum, den Bundesrat zu ermächtigen, das Zusatzprotokoll zu ratifizieren.
Die SVP hält allerdings schon diesen Schritt für verfassungswidrig. Sie beantragt daher, gar nicht erst auf die Vorlage einzutreten. Damit dürfte sie sich im Nationalrat nicht durchsetzen. Auch die übrigen Minderheiten haben wenig Aussicht auf Erfolg.
Die Linke möchte einen ausdrücklichen Verweis auf die früheren Volksabstimmungen über die Personenfreizügigkeit in den Beschluss aufnehmen. Zudem soll der Bundesrat verpflichtet werden, bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative eine einvernehmliche Lösung zu finden. Die SVP wiederum will erreichen, dass das Kroatien-Protokoll erst ratifiziert wird, wenn der neue Verfassungsartikel umgesetzt und in Kraft ist.
Wahrscheinlich ist, dass der Nationalrat dem Kroatien-Protokoll ohne Änderungen und gegen die Stimmen der SVP zustimmt. Danach ist der Ständerat am Zug. Dieser will im Juni über das Geschäft entscheiden. Ein Referendum ist wenig wahrscheinlich, da es nur um einen Nebenschauplatz im Streit um die Begrenzung der Zuwanderung. Die SVP jedenfalls hat schon angekündigt, keine Unterschriften gegen die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit zu sammeln. (sda)