Die Flüchtlingskrise in Europa und die Tragödie auf der österreichischen Autobahn mit bis zu 50 toten Flüchtlingen haben die Konferenz zur EU-Integration der Westbalkan-Staaten in Wien dominiert. Die genaue Zahl der verwesten Körper wird am Freitag erwartet.
Am Donnerstagvormittag hatte die österreichische Polizei an der Autobahn 4 im Burgenland südöstlich von Wien einen am Strassenrand abgestellten Kühllastwagen sichergestellt. Er war nach ersten Erkenntnissen der Ermittler in der Nacht aus Ungarn gekommen.
Im Laderaum fanden die Beamten mehrere Dutzend Leichen. Klarheit über die genaue Zahl der teilweise bereits verwesten Opfer erhoffen sich die Behörden bis Freitagvormittag. Landespolizeichef Hans Peter Doskozil sprach von mindestens 20 oder auch 40 bis 50 Toten. Der Fundort befindet sich in der Nähe der ungarischen Grenze.
Merkel und Faymann fordern einheitliche EU-Politik
Die Teilnehmer der Konferenz in Wien zeigten sich erschüttert über das Unglück. Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel wollen ein gemeinsames Vorgehen in der Flüchtlingskrise in der EU forcieren, gemeinsam mit Frankreich, Italien und Griechenland.
Merkel mahnte in Richtung EU-Partner, die sich bisher zögerlich oder gar ablehnend zeigten, Flüchtlinge zu übernehmen. «Die Welt schaut auf uns. Österreich und Deutschland und viele andere sind dazu bereit, und wir werden darüber mit Nachdruck reden», sagte sie.
Merkel sprach sich für eine faire Verteilung von Flüchtlingen aus und sah eine direkte Verbindung zwischen geplanten Registrierungszentren in Italien und Griechenland, von denen aus Flüchtlinge verteilt werden sollen, mit Quoten.
Sie will vor allem Asylanträge von Personen mit hoher Aufnahmechance, wie etwa Syrer, und Anträge von Personen mit äusserst geringer Aufnahmechance, wie Bürger des Westbalkans, schnell bearbeitet wissen.
Faymann forderte einmal mehr eine «faire Verteilung mit verpflichtenden Quoten». Die Schlepperkriminalität verurteilte er scharf.
Beim Arbeitsessen der Konferenzteilnehmer wurde im Beisein von Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer eine Schweigeminute für die umgekommenen Flüchtlinge auf der Autobahn A4 abgehalten.
Statt Beschuldigungen echte Zusammenarbeit
Die EU-Kommission habe verbindliche Aufnahme-Quoten schon im Mai vorgeschlagen, es liege an den Mitgliedsstaaten, solche zu beschliessen, sagte die Aussenbeauftragte Federica Mogherini in Wien.
Die Dublin-Regelungen funktionieren aus ihrer Sicht in der aktuellen Situation nicht. Sie werde in Kürze auch eine Liste sicherer Herkunftsstaaten vorlegen, die für alle EU-Länder gelten solle, kündigte Mogherini an.
Der Westbalkan ist zu einer Durchgangsroute für Flüchtlinge aus der Nahost-Region geworden, die von Griechenland weiter über Mazedonien und Serbien nach Ungarn und schliesslich in Zielländer wie Deutschland, Österreich oder andere west- und nordeuropäische Staaten wollen.
Aber auch zahlreiche Bürger der Westbalkan-Staaten selbst, insbesondere des Kosovo, aber auch Serbiens wollen in der EU Asyl erhalten. Die sechs Erweiterungsländer bekräftigten, dass sie sich selbst als sichere Staaten sehen.
Der Flüchtlingsansturm auf Europa hielt unterdessen an. Laut ungarischer Polizei kamen allein am Mittwoch 3241 Einwanderer über die Grenze zu Serbien ins Land - so viele wie noch nie an einem Tag.
Hilfspaket von 600 Millionen Euro
Wichtigster Beschluss der Konferenz in Wien ist ein 600 Millionen-Euro-Paket für zehn grenzübergreifende Infrastrukturprojekte für Albanien, Montenegro, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Mazedonien. Unter anderem geht es um eine Autobahn vom serbischen Nis über die kosovarische Hauptstadt Pristina bis zur albanischen Küstenstadt Durres. Weiter wird die Eisenbahnstrecke zwischen Belgrad und Sarajevo modernisiert.
Beschlossen wurde auf der Konferenz auch die Errichtung zweier Zentren in Tirana und Belgrad, die den Jugendaustausch innerhalb der Region und mit den EU-Staaten fördern sollen. (sda/apa/afp/reu/dpa)