Die politischen Spitzen Europas haben sich am Mittwoch vor der Leistung der Schweiz verneigt. In ihren Reden strichen sie die Bedeutung des Gotthard-Basistunnels für Europa heraus. Das Jahrhundertwerk sei weitaus mehr als ein Tunnel.
«Heute ist in der Schweiz der europäische Traum Realität geworden», sagte Frankreichs Präsident François Hollande vor den 1100 geladenen Gästen in Pollegio TI. Die Schweiz habe mit diesem Tunnel Tradition und Innovation verbunden und damit eine Zukunft für Europa gebaut.
Dieser Geist sei notwendig, und dieser Wind sollte auch wieder in den Mitgliedsländern Europa wehen. «Wir befinden uns auf dem gleichen Kontinent», sagte Hollande. Europa müsse der Welt zeigen, wozu es fähig sei. Denn Europa sei auch ein Traum.
Einigkeit in der Vielfalt
Das Verbindende rückte auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in den Vordergrund. Dafür stehe der neue Tunnel symbolhaft. «Europa ist immer die Vielfalt, die uns vereint», sagte sie in ihrer Rede.
In letzter Zeit sei viel über Grenzen gesprochen worden. Diese müssten geschützt werden, versicherte Merkel. Mit dem Tunnel würden die Binnengrenzen aber durchlässiger und die Kulturen näher zusammenrücken.
Signalwirkung hat der Tunnel auch für den italienischen Premier Matteo Renzi: «In Zeiten, in der andere Mauern bauen wollen, hat die Schweiz ein Zeichen gesetzt.» Die Bezeichnung «Jahrhundertwerk» sei sicher angemessen.
Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern sprach von einem «grossen Tag für Europa». Die Schweiz habe symbolhaft gezeigt, «wie man unseren Kontinent wettbewerbsfähiger, erfolgreicher, lebenswerter machen kann.» Zu den Gratulanten zählte auch der liechtensteinische Regierungschef Adrian Hasler. Es brauche Mut, diese Vision umzusetzen. Dafür werde die Schweiz heute belohnt.
Appell an europäische Partner
Bundespräsident Johann Schneider-Ammann nutzte die Gelegenheit vor der versammelten Politprominenz, an die europäischen Partner zu appellieren. «Wir müssen die Zukunft miteinander gestalten.» Um die bilateralen Fragen zu klären, sei der Weitblick gefragt, der auch zur Realisierung des Jahrhundertwerks notwendig gewesen sei. Der Wirtschaftsminister gab sich zuversichtlich: «Ich bin überzeugt, dass wir diese grossen Herausforderungen meistern können.»
Emotionaler zeigte sich Verkehrsministerin Doris Leuthard. Sie habe den Stolz der Schweizer Bevölkerung gespürt und zugleich viel Wertschätzung durch ausländische Staatschefs erfahren, sagte sie vor Medienvertretern. Dabei versagte ihr immer wieder die Stimme, da sie vom Eröffnungstag sichtlich bewegt schien.
Die Regierungschefs aus Italien und Deutschland gaben sich auch selbstkritisch. Nach der Tunneleröffnung steige der politische Druck, bei den Zubringerstrecken endlich vorwärts zu machen. «Der Gotthard ist wie das Herz, nun fehlt noch die Aorta», erklärte Merkel. Auch Renzi hat entschieden, viel zu investieren, um die Anschlussstrecken auszubauen. (sda)